Dein digitales Lagerfeuer
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 Lesedauer: 5 Minuten

Netzkloster: Zoom-Meditation – wie funktioniert das?

Die abendlichen Meditationssitzungen im Netzkloster heissen Vigilien, wie in traditionellen Klöstern. Wir verbinden uns allerdings via Zoom. Die Meditationsplätze in unseren jeweiligen Zuhause bilden für die Dauer der Zoom-Meditiation das Netzkloster, ein fast ausschliesslich digitales Kloster.

Ich schalte mich wie gewohnt mit dem Smartphone dazu, nach einem Tag, an dem ich mich brüchig fühlte, wie ohne Schutzschicht. Das Smartphone stelle ich, wie üblich, auf einen runden Tisch in unserem Arbeitszimmer und zünde ein Teelicht an.

Ausser und neben mir

Die einführenden Worte aus den Schriften der spanischen Mystikerin Teresa von Avila, mit denen die gemeinsame Stillezeit heute eingeleitet wird, erscheinen wie für mich bestimmt.

Nichts soll dich verwirren, nichts dich erschrecken.

Alles geht vorbei.

Gott allein bleibt derselbe.

Die Geduld erreicht alles.

Wer Gott hat, dem fehlt nichts: Gott allein genügt.

Nach einer Weile in Stille gelingt die Abstandnahme von Sorgen und Stressgefühlen – und unvermittelt, wie wenn die Sonne hinter Wolken hervorkommt, breitet sich Freude darüber aus, mit anderen einen Raum der Stille zu teilen.

Wir sitzen in Räumen mit oder ohne Bücherregalen, in Arbeitszimmern mit Dachbalken, im Dämmerlicht oder Kerzenschein, mit geschlossenen oder offenen Fenstern, in wechselnden Lichtsituationen, je nach Jahreszeit und Witterung.

Der Raum, der zwischen uns liegt, lässt sich beim Meditieren mit staunenswerter Leichtigkeit überbrücken.

Nähe trotz Ferne

Das verbindende Medium ist Zoom. Durch das Schweigen und die meist geschlossenen Augen entfällt, was viele von uns spätestens seit der Corona-Pandemie mit Zoom verbinden: Zoom fatigue – Zoom-Müdigkeit, das Gefühl, dass man merkwürdig ausgelaugt und entgeistert ist nach Sitzungen.

Bei der Zoom-Meditation ist es umgekehrt: Man fühlt sich hinterher gestärkt.

Expert:innen erklären die kognitive Überlastung bei Zoom-Konferenzen damit, dass nonverbale Signale – Gestik, Körpersprache und auch die Hände – oft nicht vollständig sichtbar sind oder schwerer wahrgenommen werden können. Unser Gehirn müsse mehr leisten, um fehlende Informationen zu überbrücken.

Zudem sei man ständig damit befasst, wie man in dem Moment auf andere wirkt.

Seelische Fühler

All das fällt bei der Zoom-Meditation weg, wo wir die meiste Zeit schweigen und die Augen geschlossen halten.

Wir tragen einander bei der Zoom-Meditation über räumliche Distanzen hinweg durch die Stille.

Die anderen Meditierenden sind zum Teil tausend Kilometer entfernt, manche sogar noch mehr. Eine Person schaltet sich aus Thailand dazu; aufgrund der Zeitverschiebung ist unsere Morgenmeditation seine Mittagsmeditation.

Wir sind bei der Zoom-Meditation keineswegs nur ein bisschen oder halb zusammen, wie auf technischen Krücken, sondern spüren die Präsenz der anderen sogar stark. Und obwohl nur zu Beginn und am Schluss einige wenige Worte gewechselt werden, prägen sich die Netzschwestern und -brüder ein: ihre Stimme, ihr Wesen, ihre Behutsamkeit.

Meistens wird nicht mehr als ein Gruss und ein Dankeschön ausgetauscht. Manchmal sagt einer, dass er einen Schmerz schwer verwindet, wenn beispielsweise ein nahe stehender Mensch gestorben ist.

Die seelischen Fühler sind weit ausgestreckt.

Übrigens: Mein Gast beim RefLab-Podcastfestival am 6. September in Zürich ist der Jesuit, Zen-Meister und Bestsellerautor Niklaus Brantschen. Wir sprechen über sein jüngstes Buch: «Du bist die Welt. Schamanischer Weisheit auf der Spur» Es geht um schamanische Spiritualität und wie sich das mit Christ:in-Sein verträgt. Es gibt noch Karten!

Digitale Intimität

Über die Qualität und Besonderheit der Sitzungen im Netzkloster sagt ein Mitmeditierender:

«Es ist etwas Besonderes, dass man in einen wirklich ungestörten Raum gehen kann, mitten aus dem vertrauten Ort seines Zuhauses heraus, nur einen Klick entfernt.»

«Es wird eine Verbindung hergestellt. Die Wirkung ist echt. In gewisser Weise fühlt es sich sogar näher an. Auch ein bisschen persönlich. Zwischendurch gibt es diese sehr menschlichen Dialoge, wenn auch nur kurz.»

«Ich bin nicht sehr technikaffin, und einmal konnte ich mich nicht einloggen – da habe ich gemerkt, dass allein das Wissen, dass andere zur gleichen Zeit mit den gleichen Gedanken dasitzen, etwas bewirkt. Das ist wirklich faszinierend. Und niemand schaut einen komisch an, wenn man mal nicht da ist.»

Zwischen denen, die sich regelmässig dazuschalten, entsteht etwas, das man vielleicht als «digitale Intimität» bezeichnen kann: eine lose und dennoch überraschend tiefe Verbindung in der digitalen Stille.

Sich mit Abwesenden im Gebet zu verbinden ist nichts Neues. Es gibt das in den meisten Religionen und spirituellen Traditionen. Neu aber sind die technischen Möglichkeiten.

Einfach dasein

Wir stellen fest, dass wir in der Lage sind, uns auf eine tiefe Weise miteinander zu verbinden, obwohl wir uns nur online treffen. Die Netzäbtissin Sarah Dochhan sagt:

«Wir können es nicht vollständig erklären, aber wir spüren, dass es so ist.»

Niemand muss in dem gemeinsamen Raum, der entsteht, etwas demonstrieren oder beweisen, keiner braucht sich verstellen. Wenn jemand lieber im Hintergrund bleibt, ist das auch in Ordnung, wie bei analogen Zusammekünften auch.

Einfach da zu sein genügt.

Mich überkommt der Gedanke, wie schön es sein wird, den Menschen aus den Zoom-Sitzungen im analogen Raum zu begegnen. Einmal jährlich lädt das Netzkloster zu einem Treffen vor Ort ein, in der Nähe von Basel.

Wird es sich anfühlen wie die Begegnung mit vertrauten Menschen?

Mein Noviziat geht zu Ende und auch diese Blogserie. Ich bin jetzt Teil eines Experiments mit offenem Ausgang und gespannt, wie es weitergeht.

Wenn du neugierig geworden bist, kannst zu ins Netzkloster hineinschnuppern: www.netzkloster.ch

Beim 2. RefLab-Podcastfestival «Alles wird gut» am 6. und 7. September 2025 in Zürich kannst du an geführten Meditationen des Netzklosters teilnehmen.

Eine Podcastepisode mit dem Netzkloster findest du hier.

Netzkloster für Einsteiger:innen – Kommende Termine:

  • Inspectio Schnupperabende: 11. September 2025 und 8. Januar 2026
  • Formatio-Kurs: 6-wöchiger Online-Kurs mit Simon Weinreich für Einsteiger:innen, ab Donnerstag 30. Oktober, jeweils 19.30-21 Uhr

Vertiefung für Abonnenten (Auszüge)

  • Innere Rückzugsorte spüren, mit Sarah Dochhan, Mittwoch, 1. Oktober, 19.30-21 Uhr
  • Einführung in die integrale Spiritualität mit Martin Henniger, 19.30-21 Uhr, Sonntag, 16. November 
  • «Überwintern» – 10-wöchiger Novatio-Meditationskurs für eine resiliente Spiritualität, mit Sarah Dochhan,  Mittwoch 7. Januar 2026, jeweils 19.30-21 Uhr

Mystik im Alltag ist der Titel einer aktuellen Beitragsreihe von Martin Thoms. 

Was ist Mystik? – von Evelyne Baumberger.

Mystik im Alltag: Eine Beitragsreihe von Martin Thoms.

Geführte Meditation von Leela Sutter.

Foto von Philip Oroni auf Unsplash 

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