«Ich hole noch schnell mein Netzkabel!». Das Netzkloster ist eine Erfahrung der anderen Art. Es braucht nicht viel: Eine geeignete Sitzunterlage, eine Kerze, Earbuds, eine Zoom-Verbindung und Freude an Kontemplation.
Gerahmt von kurzen Sätzen aus der mystischen und spirituellen Literatur gehen im Netzkloster meditionsfreudige Menschen – Junge und Ältere – mehrfach täglich gemeinsam in die Stille.
Nur einen Klick entfernt
30 Minuten dauern morgendliche, mittägliche und abendliche Zusammenkünfte (Silene, Sext, Vigilia), die täglich abgehalten werden. 25 Minuten davon werden in kontemplativer Stille mit meist geschlossenen Augen verbracht.
Wieso machen Menschen das? Und was macht es mit ihnen?
Im Podcast-Gespräch mit Johanna Di Blasi geben der Netzabt Simon Weinrich (Zürich) und die Netzäbtissin Sarah Dochhan (Bremen) Einblicke in ein besonderes und einzigartiges Projekt: Klosterleben 100 Prozent digital. Oder fast 100 Prozent.
Einmal pro Jahr treffen sich die Netzschwestern und -Brüder im analogen Raum.
Übrigens: Beim 2. RefLab-Podcastfestival «Alles wird gut» am 6. und 7. September 2025 in Zürich, mit vielen tollen Gästen (von den Pfarrerstöchtern über Olivia Röllin bis zu Wolfgang M. Schmitt) kannst du an geführten Meditationen des Netzklosters teilnehmen. Mein Gast wird der Jesuit, Zen-Meister und Bestsellerautor Niklaus Brantschen sein. Wir sprechen über sein jüngstes Buch: «Du bist die Welt. Schamanischer Weisheit auf der Spur» Sichere dir Karten!
Mein Podcast «TheoLounge» wird ab Herbst mit neuem Namen weiterlaufen: «Himmel und Erdung. Spirituell leben in der NetzZeit».
Integrale Spiritualität
Sarah Dochhan ist Theologin, Soziologin und Lehrerin für Meditation, Körperarbeit und Yoga. Sie lebt in Bremen. Simon Weinreich ist hauptberuflich reformierter Pfarrer in der Nähe von Zürich.
Im Netzkloster wird eine integrale Spiritualität über nationale und Glaubensgrenzen hinweg gepflegt – christliche Gebete finden ebenso Raum wie Elemente asiatischer Spiritualität (Klangschale, Yoga). Das Motto: «gemeinsam.online.meditieren»
Raum halten – Keeping Space
Ein wichtiges Element bei den Sitzungen ist die Rahmung oder das «Raum halten», entlehnt aus der Achtsamkeitskultur. Die Netzäbtissin erklärt dazu:
«Ich glaube, es braucht, um diesen Weg nach innen zu gehen, auch einen gewissen äusseren Raum. Und wenn da eine Person ist, die eine Art Geländer baut, um da hinabzugehen in diese Tiefe, dann ist es einfacher, als wenn ich mich einfach alleine hinsetze und schweige.»
Was dann im inneren Raum geschieht, haben wir nicht in der Hand:
«Das ist dann Gnade. Irgendetwas ereignet sich dort und manchmal auch nichts. Manchmal sind wir einfach nur dort, aber manchmal ereignet sich auch etwas und das ist dann einfach tiefe Erfahrung.»
Via Cordis
Zur Tradition, der das digitale Kloster folgt, erklärt Netzabt Simon Weinreich:
«Wir sind in der Tradition der Via Cordis unterwegs, des Herzensgebets, das mit dem Segnen ganz viel gemeinsam hat. Es geht darum, dass die Stille im Mittelpunkt steht und Raum bekommt.»
«Ich glaube, dass wir in unserem Leben sehr viel mit Content und Inhalten regelrecht bombardiert werden und dass es das nicht unbedingt auch noch in der Meditation braucht. Es braucht vielmehr eine gute Rahmung und ein gutes Ritual, um in diesen eigenen inneren Raum zu finden und dann diesen Raum sich entfalten zu lassen und das tut dann die Stille.
Offen für alle
Das Netzkloster gibt es mittlerweile seit vier Jahren. Es wurde 2021, in der Coronazeit, von Dave Jäggi ins Leben gerufen: als lebendiges Netzwerk von Menschen, offen für alle. Das Projekt versteht sich als Fresh-X der evangelisch-methodistischen Kirche Schweiz, seit 2025 wird es von der Reformierten Kirche des Kantons Zürich mitgetragen.
Die Meditierenden kommen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich, einige leben auch auf anderen Kontinenten.
Das digitale Kloster ersetzt nicht Begegnungen im 3-dimensionalen Raum, aber es schliesst Lücken im spirituellen Netz der Kirchen. Vor allem für Jüngere ist es oftmals die erste Begegnung mit christlich-mystischer Tradition.
«Tagebuch einer Netznovizin»
Auf der App des Netzklosters sind bisher rund 350 Nutzer:innen registriert, den treuen Kern bilden rund 50 Personen (diese haben den Jahresbeitrag von 140 Franken/110 Euro entrichtet).
Interessierte können jederzeit hineinschnuppern, um herauszufinden, ob die im Netzkloster gepflegte Spiritualität zu ihnen passt.
Meine eigenen Erfahrungen mit Gemeinschaft und Stille im Netzkloster schildere ich in der Serie «Tagebuch einer Netz-Novizin» – ab Mittwoch auf dieser Plattform.
Novizen heissen übrigens Klosterneulinge.
Im Netzkloster ist das kein offizieller Titel, aber ich finde ihn passend für Anfänger:innen wie mich, die sich in den verwinkelten digitalen Räumen des virtuellen Klosters erst noch zurechtfinden müssen.
Netzkloster für Einsteiger
- Inspectio Schnupperabende: 11. September 2025 und 8. Januar 2026
- Formatio-Kurs: 6-wöchiger Online-Kurs mit Simon Weinreich für Einsteiger:innen, ab Donnerstag 30 Oktober, jeweils 19.30-21 Uhr
Vertiefung für Abonnenten (Auszüge)
- Innere Rückzugsorte spüren, mit Sarah Dochhan, Mittwoch, 1. Oktober, 19.30-21 Uhr
- Einführung in die integrale Spiritualität mit Martin Henniger, 19.30-21 Uhr, Sonntag, 16. November:
- «Überwintern» – 10-wöchiger Novatio-Meditationskurs für eine resiliente Spiritualität, mit Sarah Dochhan, Mittwoch 7. Januar 2026, jeweils 19.30-21 Uhr
Viel Gesehenes aus dem Archiv: «Was ist eigentlich Mystik?» von Evelyne Baumberger.
Abbildung: Zoom-Meditation im Netzkoster