Ich stehe auf einem Minenfeld. Überall Nebel und Rauchschwaden. Die Erde klafft immer wieder auseinander, Krater durchlöchern die Oberfläche. Es leuchtet und blitzt. Der Boden bebt unter meinen Füssen. Ein metaphorisches Minenfeld.
Menschen bereiten sich auf einen Winter mit Kerzen und Wärmflaschen vor, Frauen im Iran gehen auf die Strasse, in der Ukraine ist Krieg, Depressionen und Covid lauern vor der Tür, ich laufe Gefahr, mit jedem meiner Sätze die nächste Bombe explodieren zu lassen. Alles nichts Neues unter der Sonne.
Ich warte nur auf die nächsten Einschläge.
Ich fühle mich in Weltuntergangsszenarien zuhause. Die Zukunft fühlt sich neblig an. Nicht pink, wie Inèz Schaefer und Peter Fox mir in ihrem Song «Zukunft pink» weissmachen möchten. Eine gutgemeinte Wunschvorstellung, die wenigstens für rhythmische Körperzuckungen sorgt. Vielleicht einfach übers Minenfeld tanzen?
In «Der letzte Song» von Kummer (feat. Fred Rabe) klingt der Blick in die Zukunft eher dunkelgrau meliert.
«Ich wär’ gerne voller Zuversicht
Jemand, der voll Hoffnung in die Zukunft blickt
Der es schafft, all das einfach zu ertragen
Ich würd’ dir eigentlich gern sagenAlles wird gut
Die Menschen sind schlecht und die Welt ist am Arsch
Aber alles wird gut
Das System ist defekt, die Gesellschaft versagt
Aber alles wird gut
Dein Leben liegt in Scherben und das Haus steht in Flammen
Aber alles wird gut
Fühlt sich nicht danach an, aber alles wird gut.»
Freundlich formuliert: ein nüchterner Blick. Ein Aushalten von allem, was jetzt gerade nicht gut ist. Minenfeld und so. Und radikale Akzeptanz der eigenen Überforderung. Denn die spüre auch ich – in dem Versuch, mein Leben irgendwie auf die Reihe zu bekommen. Vom Blick in die Zukunft ganz zu schweigen.
Peter Fox, Kummer und ich sind nicht allein mit den Vorstellungen zu dem, was kommt, wenn der Nebel sich verflüchtigt. Die Musik ist voll davon. Und Songtexte deutschsprachiger Rapformationen klingen plötzlich wie die Offenbarung des Johannes aus der Bibel.
Vom Weltuntergang ist gut reden bzw. singen.
«Die Sonne wurde schwarz wie ein Trauergewand, und der ganze Mond wurde wie Blut, und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde wie die Winterfrüchte vom Feigenbaum, wenn er vom Sturmwind geschüttelt wird. Und der Himmel verschwand wie eine Buchrolle, die man zusammenrollt, und jeder Berg und jede Insel wurde von ihrem Platz gerückt.» (Offb 6,12-14)
«Ein Sturm zieht auf, alles wird vernichtet. Niemand kann mehr sehen, weil der Qualm sich verdichtet. Feuerwände lodern, die auf Häuser übergehen. […] Die Hitze unerträglich – überflutet unsere Lungen.» («OK Ciao», The toten Crackhuren im Kofferraum)
«Und wir singen im Atomschutzbunker: Hurra, diese Welt geht unter! Hurra, diese Welt geht unter! Auf den Trümmern das Paradies.» («Hurra, diese Welt geht unter», K.I.Z. mit Henning May)
Und nach dem Weltuntergang das Paradies?
«Hier bei uns in der Zukunft gibt es goldene, rote und blaue Planeten, bunte Kreaturen, die auf ihnen leben.» («Zukunft», Moop Mama)
«Wir wollen die Freiheit der Welt und Strassen aus Zucker. Schneien solls Geld und ab und zu Futter.» («Mindestens in 1000 Jahren», Frittenbude)
«Es gab genug für alle und alle waren sich genug.» («Paradies», Bosse)
Wird jetzt doch alles gut?
In den Songtexten der Musiker*innen flimmern Bilder von Zukunft in meine Gegenwart. Mal sind sie pink, mal wird schwarzgemalt. Mal bleibt nur ein weisses Rauschen. Wie ein Projektor, der auf die Nebelwand unserer Zeit strahlt und die Rauchschwaden um mich für einen Moment erleuchtet. Mit jedem Leuchten halte ich die Gegenwart ein bisschen besser aus.
Die Zukunft klingt schillernd. Und der Weltuntergang hat bisher auch auf sich warten lassen. Und, inmitten von Minen, Explosionen und Stacheldraht, fliesst ein Hauch von Trost wie Öl über meinen Kopf. Mein Blick wird sanft. Zukunftsmusik ist Balsam für meine Angst. Egal wie sie klingt. Und ihre Bilder machen mir Mut.
Eine Musik, die ausmalt, wie die Welt sein könnte und die Zukunft in Worte fasst. Visionen, die ich mir heute kaum vorstellen kann, zeigen mir, dass ich auf ein neues Morgen hoffen kann.
Also vielleicht einfach die Kopfhörer aufsetzen, Zukunftsszenarien lauschen, Bilder flimmern lassen und den Nebel und Rauch vorbeiziehen lassen. Oder ein bisschen tanzen. Trotz allem.
Photo: Camille Couvez, Unsplash
Lyrics: Das Paradies, Bosse: Axel Bosse
Der letzte Song (Alles wird gut), Kummer (feat. Fred Rabe): Karl Schumann, Felix Brummer, Steffen Israel, Patrick Denis Kowalewski, Flo August
Hurra, diese Welt geht unter! K.I.Z: Gerrit Wessendorf, Tarek Ebene, Nico Seyfrid, Maxim Druener, Moses Schneider, Kevin Thomas-paolucci, Rajesh Roshan Nagrath.
Mindestens in 1000 Jahren, Frittenbude: Johannes Roegner, Jakob Haeglsperger, Martin Steer
OK Ciao, The toten Crackhuren im Kofferaum (feat. Pöbel MC): Mareen Kiessig, Thomas Echelmeyer, Roy Dick, Sebastian Schiller
Zukunft, Moop Mama: David Woehrer, Lukas Roth, Marcus Kesselbauer
Siehe auch den RefLab-Beitrag: «Ich seh’ die Zukunft pink» von Johanna Di Blasi zu Peter Fox und Greta Thunberg.
1 Gedanke zu „listen to the future“
Der Aufsatz von Janna Horstmann beginnt mit “Die Gegenwart ist ein Minenfeld, die Zukunft liegt im Nebel.” Alles in allem kommt anschließend ein Szenario daher, welches sich total unterscheidet von meiner Sicht der Dinge. Ich sehe “die Gegenwart” als ein anderes Wort für die Wirklichkeit. Diese ist “nichts weiter” als die Summe der momentan gedachten Gedanken. Das Denken von Gedanken ist nur lebendigen Lebewesen möglich. Das lebendige Leben findet statt nur vor noch toter Zukunft, aber nach schon wieder toter Vergangenheit. Somit ist Gegenwart alias Wirklichkeit ohne zeitliche Ausdehnung. Damit ist sie Schnittstelle mit der Transzendenz Gottes.