Karriere … was soll das jetzt?
Ich mag diese wachmachenden Buchtitel, die seit einigen Jahren im Trend liegen: „Gott. Eine Biographie“, von Jack Miles. „Jesus. Eine Weltgeschichte“, von Markus Spieker. „Der Heilige Geist. Eine Biographie“, von Jörg Lauster. Sie rufen sofort eine Menge kritischer Fragen wach, von denen die hier besonders gewichtig sind:
Wird der Heilige Geist zu etwas, das er bis dahin nicht gewesen ist? Und wenn ja, wer besitzt denn die Informationen über Gott, um erkennen zu können, was sich da wie verändert? Entwickelt sich nur unser Denken weiter, oder durchläuft Gottes Geist selbst einen Prozess?
Es gibt viele (theologische) Gründe, den Heiligen Geist von solch menschlichen Deutungen wie „Karriere“ freizuhalten. Trotzdem wage ich es, mit biblischer Unterstützung, weil ich mir davon eine frische Perspektive auf das verspreche, was an Pfingsten geschehen ist.
Die luftige Lebendigmacherin
Es dauert ganze zwei Verse, und schon beginnt die Bibel die Geschichte des Heiligen Geistes zu erzählen. Er ist eine sie, weiblich jenseits aller Geschlechterklischees – die ruach Gottes. Es klingt, als würde sie etwas ausbrüten, nämlich das Leben selbst. Am Anfang der Schöpfung rauscht sie flügelschlagend über dem Wasser (1Mose 1,2).
Später wird sie Menschen und Tieren eingehaucht und macht sie zu lebendigen Wesen – Atem Gottes. Steckt sie auch hinter dem Wind, der dem Volk Gottes in der Wüste Wachteln zuweht; dem Sturm, der das Wasser zurückpeitscht und einen Weg durch das Meer freimacht?
Fast ein wenig horrormässig liest sich die Vision des Propheten Hesekiel: Der Geist Gottes durchweht ein Feld mit lauter Knochen, fügt sie zusammen, lässt Sehnen, Muskeln und Haut drüber wachsen und erweckt Tote zu einem neuen Leben.
Ob zärtlich säuselnd, intim hauchend, kräftig wehend oder stürmisch brausend: Die ruach steht für die unsichtbare, oft anonyme, Gegenwart und Kraft Gottes in der Welt, die Leben schafft, erhält und erneuert.
Ihr Meisterinnenstück macht sie in der Auferweckung Jesu Christi von den Toten. Das ist mehr als Wiederbelebung, das ist Vollendung des Menschseins.
Die ermächtigende Kraft
Die ruach Gottes erfüllt den Kosmos und kommt zugleich über einzelne Menschen. Die sind dann fähig, künstlerisch, handwerklich, priesterlich, prophetisch oder königlich zu handeln. Geistträger:innen haben in prekären und ausweglosen Lagen die entscheidende Inspiration, verbreiten Hoffnung, stellen kollektive Handlungsfähigkeit wieder her und führen das Volk Gottes in die Zukunft.
Die Geschichte des Geistes Gottes lässt sich gar nicht erzählen ohne die Charismatiker:innen, die geistermächtigt Geschichte geschrieben haben.
Auffällig ist, wie wild es dabei zugehen kann: Menschen geraten einzeln oder zusammen in Ekstase, lassen sich zu aussergewöhnlichen Handlungen hinreissen. „Der Prophet ist ein Narr, der Mann, der den Geist hat, ist verrückt“, kommentieren die Leute dann.
Verstörend ist es, wenn Charismatiker in irrationaler, eruptiver und moralisch abscheulicher Weise handeln. Man denke nur an den Raufbold Simson, von Jeftah, der seine Tochter opfert, ganz zu schweigen. Was dachte sich Elia, als er hunderte von Baalspriester:innen abschlachten liess? Mir scheint, die Geschichte des Heiligen Geistes enthält manche Kapitel seines Missbrauchtwerdens.
Mindestens vier Karriereschübe
Ruach – eine schöpferische Kraft, durch die Gott in der Welt gegenwärtig ist und bestimmte Menschen überkommt und befähigt. Dabei bleibt es nicht.
Es sieht so aus, als würden die Erfahrungen, die Gott in seinem Geist mit den Menschen macht, zu einer Personalisierung seiner Gegenwart führen.
Ich verfolge diese für alle Beteiligten aufregende Karriere anhand von vier Schüben.
1. Messianisch und für alle
Schon in der hebräischen Bibel deutet sich an, dass Gottes Geist nicht nur einem Mose vorbehalten bleibt, sondern auf siebzig Leitungspersönlichkeiten überspringt.
Es geht um die Hoffnung, dass eines Tages jeder einzelne Mensch des Volkes Gottes mit göttlichem Geist gesalbt und erfüllt wird. Männer und Frauen … in einer patriarchalen Gesellschaft! Alt und jung … mitten in der Dominanz der erfahrenen Altehrwürdigen. Knechte und Mägde – während Sklavenhaltung unverzichtbar scheint.
Lernt der Geist Gottes, dass Partizipation, Teamarbeit und Demokratie zielführender sind als alles, was er bisher probiert hat? Dann käme diese Lernerfahrung an Pfingsten zu einem vorläufigen Höhepunkt.
2. Personhaft und personalisierend
Was es wirklich heisst, geisterzeugt, geistgesalbt, geistbegabt und geistgeleitet zu leben, das erschliesst sich unüberbietbar im Messias, und die Christen identifizierten ihn in Jesus aus Nazareth. War es für den Geist Gottes ein Fortschritt, jetzt auch der Geist Christi zu sein?
Für die Jünger:innen wird es ein Schock gewesen sein, als Christus ankündigte: „Es ist zu eurem Wohl, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, wird der Fürsprecher nicht zu euch kommen; wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden.“
Jesus macht die Bühne der Gegenwart Gottes frei für den Heiligen Geist. Eine Zumutung – auch für den Heiligen Geist?
Denn ab Pfingsten ist es nun seine Aufgabe jedem und jeder einzelnen individuell gegenwärtig zu sein. So wird die Geschichte dann auch weitererzählt: Gottes Geist spricht, leitet, lehrt, führt, inspiriert und begabt die Menschen nicht nach dem Prinzip Giesskanne, die für alle gleich über alle hinwegrauscht. Er wirkt in Entsprechung zur individuellen Persönlichkeit, die er erfüllt und so hervorbringt. Und umgekehrt gilt es auch: Man kann ihn belügen, herausfordern, betrüben und dämpfen. Er wird zu einem eigenständigen Handlungsagenten.
3. Empathisch und beistehend
Eine der berührendsten Erfahrungen der personalen Geistgegenwart machen Menschen in den abgründigen Tiefen des Lebens: Der Geist Gottes stöhnt und seufzt mit uns. Er tritt auf unsere Seite, wenn wir Kraft, Hoffnung und Glaube verlieren. Er vertritt uns vor Gott. So paradox es klingt, so schön ist es:
Gott kann im Geist so sehr aus sich heraus- und auf mich, ja in mich eingehen, dass ich mit Gott Gott selbst gegenüberstehe.
Die dramatische Geschichte mit uns, hat den Geist Gottes offenbar mitfühlend und mitleidend werden lassen.
4. Anders und göttlich
Ich habe erst angefangen zu begreifen, was es bedeuten könnte, dass Jesus Christus das Rampenlicht auf den Heiligen Geist richtet. Er geht und lässt „einen anderen Beistand“ an seine Stelle treten. Ich ahne seit Pfingsten eine gesteigerte Gegenwart Gottes in der Welt, den Menschen und der Kirche.
Die Christenheit kam schon bald auf die Idee, die personalisierenden Tendenzen des Geistes Gottes beherzt zu Ende zu denken.
Die ruach Gottes schafft es als dritte Person der Gottheit ins Glaubensbekenntnis von Nicäa und Konstantinopel (381 n.Chr.). In gewisser Weise ist sie damit ganz oben angekommen.
Vielleicht sind das die letzten Sprossen seiner Karriereleiter:
Wenn Menschen sich von ihm ergreifen lassen, begeistert von ihren Geisterfahrungen erzählen und miteinander nachdenken, was es mit dem Heiligen Geist auf sich hat.
Ob wir ihn oder sie dann als Kraftfeld, Energie oder quasi Person glauben, Hauptsache wir halten uns in diese befähigende Gegenwart und laden sie ein. Es sind die schönen und schweren Geschichten der Menschen, in denen Gottes Geist seine geheimnisvolle „Karriere“ macht.