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 Lesedauer: 5 Minuten

Singlesein: Die Pärchen-Bärchen und ich

In einer Beziehung oder einer WG teilt man sich Altglas- und Karton-Berge. Man putzt gemeinsam, kümmert sich darum, wenn die Fenster dreckig sind und bringt auch mal Abfallsäcke oder Milch mit. Auch die Ferien sind geregelt:

In einer Beziehung ist irgendwie klar, dass man sicher einmal im Jahr gemeinsam verreist. Als Single ist das anders. Das Rundum-Sorglos-Paket fällt weg.

Man muss den Alltag allein schmeissen und sich eigenhändig um den Urlaub kümmern. Das ist eine der ersten und unmittelbarsten Erfahrungen, an die ich mich erinnere: Die Plötzlichkeit, mit der man von «Ich bin Teil eines Teams» zu «Ich muss mich alleine organisieren» wechselt. Natürlich hatte ich Single-Freundinnen. Doch die hatten ihre Ferien gebucht oder konnten beruflich nicht weg. Aber das war eine Minderheit. Eine weitere Wahrheit war, dass viele Freundinnen in meinem Umfeld bereits langfristig verpaart waren. Als Single Ende 20 befindet man sich ein bisschen in einer Minderheit.

Ferien Alleine 1.0

Was macht man also als unerfahrener Neu-Single? Ich beschloss, es mir so einfach wie möglich zu machen und machte zuerst Ferien, in denen die äusseren Rahmenbedingungen weitestgehend vorgegeben waren. Ich fuhr eine Woche in ein Surfcamp. Überraschend viele Menschen waren allein angereist. Noch viel überraschender war, dass nicht wenige der Frauen eine ähnliche Situation durchlebt hatten. Gemeinsam tranken wir Rosé (oft), bezwangen die Wellen (manchmal) und lachten uns selbst dafür aus, dass jede einen Notfallplan gemacht hatte, falls sie sich gänzlich allein in ihrem Zelt wiedergefunden hätte. Am Ende musste keine einzige die heruntergeladene Netflix-Serie schauen oder die mitgebrachten Bücher lesen. Es war eine der besten Erfahrungen: sich an einen völlig unbekannten Ort wagen, fallen und gehalten werden. Wir alle waren traurig und berührt, als wir uns voneinander verabschiedeten.

Ferien Alleine 2.0

Die viel grössere Challenge war, ganz allein in einen Wellnessurlaub zu fahren. Ich wollte mich selbst herausfordern. Im Kopf das Bild, das manchen womöglich vertraut vorkommt: Man will die coole Frau sein, die selbstbewusst und allein mit ihrem Glas Rotwein am Tisch sitzt und ihr Ding durchzieht. Ich entsprach diesem Bild vielleicht äusserlich. Ob es wirklich so war, kann ich nicht beurteilen, da ich mich mit keinem der anderen Hotelgäst*innen unterhielt.

Innerlich war es eine Achterbahnfahrt.

Bereits am ersten Abend realisierte ich, dass ich eine der wenigen Alleinreisenden war. Nicht vollkommen unwissentlich, aber heftiger als erwartet war ich im Paradies der Pärchen-Bärchen angelangt. Während es im Surfcamp ein Rahmenprogramm gegeben hatte, gab es hier nichts ausser der täglich geöffneten Sauna und den Mahlzeiten. Soziale Anknüpfungspunkte gleich null, abgesehen vom 50-jährigen, griechischen Masseur, der mich mit seinen Lebensweisheiten eindecken und mit mir Rotwein trinken wollte.

Meine Freundin, das Rotweinglas

Ohne jegliche soziale Kontakte fühlte ich mich einsam und so richtig scheisse. Es war nicht, dass ich beim Wellnessen an meinen Exfreund denken musste: Er hatte heisse Temperaturen und Schwitzen gehasst. Ich hatte ihn während unserer Beziehung ein einziges Mal in eine Sauna hineinbekommen. Vielmehr verband ich tiefe, innige Momente mit Freundinnen damit. Stundenlang konnten wir auf heissen Steinen liegen, uns von der Nebeldusche berieseln lassen und eingepackt in flauschige Tücher unsere Leben zu bequatschen. Ich verbrachte jeden Tag alleine. Abends richtig klischeemässig mit dem Glas Rotwein, denn Nein, das mit dem Masseur war mir nicht geheuer.

Aus lauter Verzweiflung begann ich, die Pärchen um mich herum zu beobachten.

Ein Paar schien sehr unzufrieden zu sein, trotz des wunderschönen Ambientes. Beide, stilsicher gekleidet und gutaussehend, machten unglückliche, ausdruckslose Gesichter. Ein anderes schwieg sich missmütig, ja beinahe passiv-aggressiv an. Bei einem Paar starrte mich der Mann die ganze Zeit unverhohlen an. Ein weiteres diskutierte darüber, wie unpassend eine spezifische Lampe links hinten fürs Designkonzept war. Echt jetzt?!

Ich will nach Hause

Ich redete mir selbst ein, dass ich in keiner dieser Beziehungen stecken wollte, obwohl ich mir nichts mehr als Gemeinschaft wünschte. Also attackierte ich die Menschen in meinem Kopf: Was hatte der eine Typ? Hatte der noch nie eine alleinreisende Frau gesehen? Wäre er auch gerne allein am Tisch gesessen? Einen Moment später schalt ich mich. Bildete ich mir all das nur ein, weil ich selbst empfindlich auf mein Alleinsein reagierte? Ich konnte es nicht leugnen: Meine innere Feministin war entsetzt, dass ich alles um mich herum so hypersensibel wahrnahm und es mir schwer fiel, abzuschalten und geniesserisch-allein am Tisch zu sitzen. Dass ich es nicht zelebrierte, sondern froh war, wenn ich den Nachtisch gegessen hatte und aufstehen konnte, oder ein Buch bei mir hatte, um mich vor den vermeintlichen oder tatsächlichen Blicke der anderen zu verstecken.

Meine Freundin, das Smartphone

An Tag drei gab ich auf und erklärte mein Handy zu meinem Dinner-Date. Da ich noch immer keine weiteren Gäst:innen kennengelernt hatte, wollte ich mich wenigstens mit Freundinnen unterhalten. Ich schickte ihnen Updates von meinen Paarbeobachtungen. Sie krümmten sich vor Lachen über die Pärchen-Bärchen und ich fühlte mich sofort besser. Ich lernte: Ich muss es nicht geil finden, allein mit Rotwein am Tisch zu sitzen. Es ist ein Mythos, dass man ständig völlig cool und selbstbewusst mit dem eigenen Singlesein umgeht. Es ist okay, dass es gut tut, virtuell mit Freundinnen zu lachen. Sie feierten meinen Mut und ich war froh, dass ich wusste, dass da Menschen waren, selbst wenn sie physisch nicht anwesend waren. Dass Zuhause Rotwein in Gemeinschaft wartete. Am Ende der Woche wusste ich: Surfen, jederzeit wieder. Wellnessen allein? Probably not so much.

 

Graphik: Rodja Galli

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