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 Lesedauer: 3 Minuten

Ein Lob des Chillens

Will ich in diesem Text die Kirche loben, auf Berndeutsch: d’Chile? Oder möchte ich vielmehr für das Land Chile werben (und bin orthografisch inkorrekt)? Nein, ich will in diesem Beitrag das ausgedehnte Faulenzen, den Müssiggang, die gelassene Trägheit oder zeitgenössisch interpretiert, das Chillen loben.

Jawoll, ich preise die Unproduktivität in Zeiten der Inflation und Krise an! Aber nicht energisch, nicht intensiv: ich mache es, wann ich Lust habe, lässig locker herumlungernd und in ungewaschenen Pyjamahosen.

Hast du eine Checkliste, die deine Checklisten zusammenfasst? Dann bist du ein Kandidat für meine Kur: Nimm’ bitte auf deinem Sofa Platz, am besten liegst du von Anfang an in Fötusstellung, eine flauschige Decke wäre gut, dann wird sämtliche Hyperaktivität aus deinen Adern weichen. Versprochen.

Unnötiger Aktivismus: Ade! Je mehr du verpasst, desto mehr findest du dich!

Der britische Philosoph, Mathematiker und Religionskritiker Bertrand Russell schrieb im Jahr 1935 in seinem Buch «Lob des Müssiggangs»:

«Ich glaube nämlich, dass in der Welt viel zu viel gearbeitet wird, dass die Überzeugung, Arbeiten sei an sich schon vortrefflich und eine Tugend, ungeheuren Schaden anrichtet, und, dass es nottäte, den modernen Industrieländern etwas ganz anderes zu predigen, als man ihnen bisher immer gepredigt hat.»

Und ein paar Seiten später:

«Früher waren die Menschen noch fähig, sorglos und verspielt zu sein, was bis zu einem gewissen Grad durch den Kult mit der Tüchtigkeit verschüttet wurde. Der moderne Mensch glaubt, alles, was geleistet wird, müsse zugunsten von etwas anderem getan werden, aber niemals um seinetwillen.»

Amen, Dr. Russell! Und Sie hatten weder Internet noch Smartphone. Übrigens die Zitate habe ich Copy & Paste eingefügt, ohne Seitenangaben. Mag nicht.

Ja, ich könnte rausgehen. Das stimmt. Ich könnte das Bruttosozialprodukt signifikant erhöhen. Auf alle Fälle. Vielleicht noch ein paar Kilometer Joggen. Bestimmt.

Ich mache es aber nicht. Ätschibätsch!

Wieso kochen, wenn ich noch hartes Brot, zwei Essiggurken und Käse habe? Ein Sandwich nach allen Regeln der Kunst zusammenstellen? Eigentlich müsste ich aufstehen und zum Kühlschrank laufen, lass’ es aber lieber sein.

Die Kraft reicht noch gerade aus, um die Fernbedienung zu nehmen. Ich muss mich zwar noch ein bisschen strecken, das ist ärgerlich, aber um einen Minimalaufwand kommt man nicht herum.

Natürlich versuchen mich meine Gedanken zu bändigen: «Du verpasst so viel! Das Leben findet draussen statt. Die Pandemie ist vorbei! Let’s go!»

Ja, sie ist (wahrscheinlich) vorbei. Aber ich müsste aufstehen, entweder ein Loch im T-Shirt stopfen oder mich sogar UMZIEHEN (!), vorher duschen, im schlimmsten Fall den Bart abrasieren. Geht auf alle Fälle nicht. Dann noch 200 Meter bis zur Bushaltestelle laufen. Nein, du spinnst.

Falls ich rausgehe, nur weil die Paprika-Chips alle sind.

Ach, Faulheit. Umarme mich kraft-, aber nicht lieblos, sei meine Freundin. Lass‘ uns doch ein bisschen dösen.

Ich mag jetzt nicht mehr schreiben. Zwischentitel setze ich nicht. Dieser Text ist sowieso viel zu lange geworden. Tschüss.

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3 Kommentare zu „Ein Lob des Chillens“

  1. Und kennt ihn den?

    Den Meier.

    Den Gerhard?

    Mit seiner Wunderblume Massliebchen:

    „Viele meiner Kollegen waren Macher. Und Gemachtes ist leichter nachzuvollziehen. Ich war ein Wesen, das aus der Müdigkeit kam. Vielleicht kommt auch das Massliebchen von dort?“

    (Erster Satz aus: „Land der Winde“, Bibliothek Suhrkamp 1268)

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