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Zwischen Ich und Wir. Die Zukunft der Religion

Wie immer beginnt Ausgeglaubt mit zwei persönlichen Momenten: Manuels «Stossgebet der Woche» gilt seiner eigenen Verplantheit – nach einer RefLab-Veranstaltung hetzt er wie ein Gejagter zum Zug, um pünktlich an ein Geburtstagsfest zu kommen, nur um dort festzustellen: Das Fest findet erst in mehreren Wochen statt. Stephan dagegen jubelt im «Hallelujah der Woche» über eine neue Leidenschaft: Tennis. Er hat erst vor kurzem angefangen zu spielen – und ist schon ziemlich beeindruckt von seinen eigenen Fortschritten.

Von dort aus geht’s ins eigentliche Thema: die Zukunft der Religion. Stephan und Manuel knüpfen an ihre letzten beiden Gespräche über Individualismus und Kollektivismus an und fragen, wie sich beides im Christentum verschränkt – und vielleicht auch gegenseitig korrigiert.
Einerseits hat das Christentum in seiner Geschichte stark individualisierende Kräfte freigesetzt: Der reformatorische Gedanke, dass jeder Mensch unmittelbar vor Gott steht, hat das moderne Selbstbewusstsein, die Gewissensfreiheit und das Ideal persönlicher Verantwortung entscheidend geprägt.
Andererseits stammen die biblischen Texte selbst aus ausgesprochen kollektivistischen Kulturen, in denen Familie, Clan und Sippe die Identität bestimmten. Jesus und Paulus stellen genau dieses Primat infrage – und schwören ihre Anhänger auf eine neue Form von Gemeinschaft ein: das Reich Gottes, in dem soziale, ethnische und geschlechtliche Grenzen keine Rolle mehr spielen («Weder Jude noch Grieche, weder Sklave noch Freier…»).

Von hier aus spannt das Gespräch einen Bogen in die Gegenwart: Wie hat das Christentum über Jahrhunderte hinweg die westliche Gesellschaft geprägt – und warum verliert es heute seine Selbstverständlichkeit? Was bedeutet die oft zitierte «metaphysische Obdachlosigkeit» des modernen Menschen, der zwischen Selbstverwirklichung und Sinnsuche pendelt? Und wovon darf oder soll man als protestantischer Christ heute noch träumen?

Eine Rückkehr zur alten Grösse? Wohl kaum – und sicher nicht auf dem autoritären Weg, auf dem christliche Nationalisten in den USA derzeit Macht zurückerobern wollen. Aber was wäre die Alternative? Einfach «kleinere Brötchen backen»? Und wenn ja – wie könnten die aussehen? Manuel und Stephan diskutieren, ob die basisdemokratische Struktur der reformierten Kirche dabei hilft, Machtmissbrauch zu verhindern – oder ob sie zugleich mutige Initiativen und visionäre Aufbrüche bremst.

Ein intensives Gespräch über Glauben zwischen Autonomie und Bindung, und über Kirchenstrukturen zwischen Tradition und Aufbruch.

2 Gedanken zu „Zwischen Ich und Wir. Die Zukunft der Religion“

  1. In der Folge höre ich sehr viele Überlegungen über Strukturen, Ressourcen, Entwicklungen, die messbar und bis zu einem gewissen Grad sichtbar sind. Nun gehen wir als Kirche aber ja noch von einer weiteren Dimension aus – ein Gott, der irgendwie in diese Welt hineinwirkt – in welcher Form auch immer…
    Wie seht ihr diesen Faktor in der ganzen Überlegung zur Kirchenzukunft? Wie dockt ihr vielleicht auch persönlich an diesen Gott an und versucht aus dieser Kraft heraus Kirche zu bauen? Wo rechnet ihr mit Gott oder wo seid ihr vielleicht auch ernüchtert worden, weil Gott eben nicht so wirklich “wirkt”? Ist das für euch überhaupt ein Aspekt, der eine Rolle spielen wird (viel Spass beim beantworten dieser Frage ;-))? Könntet ihr diesen Aspekt auch noch beleuchten? Ich fände dies super spannend!

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  2. Spannende und wichtige Thematik. Aber wieso wird gefühlt während der halben Folge (wieder einmal) über die beiden Schlagworte „Evangelikal“ und „USA“ gesprochen? Ich finde es schade, dass für diese Themen so viel Energie und Zeit aufgewendet wird.
    Die für mich relevante Frage wären viel mehr, was eigentlich die zentralen Aufgaben der Kirche sind und wie dass im kirchlichen Leben bei uns Niederschlag finden kann. Und wie eine gute Balance zwischen Individuum und Gemeinschaft in diesem kirchlichen Leben aussehen kann.

    Mehrfach wurde in den letzten Folgen der Begriff der „Tradition“ resp. der Begriff des „Traditionsabbruchs“ verwendet. Da stellt sich für mich die Frage, was aus reformierter Sicht unter Tradition verstanden wird und was daran bewahrenswert, identitätsstiftend resp. sinnstiftend sein kann.
    Historisch begründen sich alle protestantischen Kirchen in der Kritik und der Abspaltung gegenüber der katholischen Kirche. Die Stunde null der reformierten Tradition und reformierten Theologie liegt als irgendwo im 16. Jahrhundert.
    Im katholischen (und orthodoxen) Verständnis geht die eigene Tradition zurück bis zu den Aposteln. Ihr Selbstverständnis entspringt deshalb nicht aus der Opposition gegen irgend etwas. Auch ist ihr theologischer zeitlicher Bezugsrahmen ein viel Längerer.
    Wenn man sich die Geschichte der Kirche bei uns über den ganzen Zeitraum von rund 2000 Jahren anschaut, wird man feststellen, dass es im ersten Jahrtausend nach Christus durchaus schon mal Zeiten gab, in denen die Kirche keine staatstragende Funktion hatte und nur über bescheidene finanzielle und personelle Mittel verfügte. Gäbe es da in der Geschichte Anhaltspunkte für heute? Konkret für die Frage, wie eine Kirche in der Position als Minderheit in der Gesellschaft aussehen könnte. Und natürlich auch für die Frage zu dem Spannungsfeld zwischen Individualismus und Gemeinschaft. Ich denke da beispielsweise an Benedikt von Nursia, welcher auch immer wieder in seinen Regeln betonte, dass die Menschen verschieden seien und dass dies zu beachten sei.

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