Dein digitales Lagerfeuer
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Glaubensdinge

In lutherischen Gottesdiensten gibt es manchmal diesen einen Moment, in dem ich unsicher werde. Wenn wir «gemeinsam unseren christlichen Glauben bekennen». Wie war noch gleich der genaue Wortlaut? Und was heisst das eigentlich, meinen Glauben bekennen?

Ich bin Christin, klar. Und ich bin evangelisch. Ich war lutherisch und bin jetzt reformiert. Eher progressiv als konservativ, bei einem Glauben, der definitiv lebensdienlich sein muss, was auch immer das im Einzelfall bedeuten mag. Volkskirchlich sozialisiert wäre wohl auch eine treffende Zuschreibung.

Ich finde bestimmt noch ganz viele verschiedene Adjektive, denen ich mich zuordne. Eine wirkliche Aussage, über das, was ich glaube, ist es aber in den seltensten Fällen. Und wenn ich ehrlich bin, haben die Begriffe auch mehr mit den Anderen als mit mir zu tun.

ganz persönlich

Wie lassen sich diese grossen Worte füllen, oder besser: Wie fülle ich sie ganz persönlich. Denn darum geht es doch, wenn mich jemand fragt: Woran glaubst du? Eine klassische Gretchenfrage.

Nicht mehr als eine Frage, die wohl jeder Mensch ein ganz bisschen anders beantwortet, nicht weniger als ein Bekenntnis, was dann folgt. Und da es sich um die Frage nach dem Glauben handelt, ein Glaubensbekenntnis.

Es gibt klassische Antworten, vorformulierte Sätze und Bilder. Nicht selten habe ich auf die Frage etwas herum palavert, mich in Phrasen verloren, irgendetwas mit Liebe und Hoffnung; und wenn es etwas gehaltvoller werden sollte, dann auch gerne noch die Auferstehung. Meistens fragen dann nur Kinder genauer nach.

Aus persönlichen Überzeugungen wurden allgemein gültige Aussagen. Ich vermute, damit bin ich nicht allein.

erkenntnisreich

Der Theologe Dietrich Bonhoeffer konnte es sich nicht leisten, bei hohlen Phrasen zu bleiben. Für ihn stellte sich erst die Frage nach dem Wie, bevor er sich mit dem Woran auseinandersetzte. In einem Brief aus dem Gefängnis erzählt er von einer Begegnung:

Ich erinnere mich eines Gespräches, das ich vor 13 Jahren in Amerika mit einem französischen jungen Pfarrer hatte. Wir hatten uns ganz einfach die Frage gestellt, was wir mit unserem Leben eigentlich wollten. Da sagte er: ich möchte ein Heiliger werden; das beeindruckte mich damals sehr. Trotzdem widersprach ich ihm und sagte ungefähr: ich möchte glauben lernen.

Lange Zeit habe ich die Tiefe dieses Gegensatzes nicht verstanden. Ich dachte, ich könnte glauben lernen, indem ich selbst so etwas wie ein heiliges Leben zu führen versuchte. Später erfuhr ich und ich erfahre es bis zur Stunde, dass man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt.

Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen […] und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben, – dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, […] und ich denke, das ist Glaube […].

Für Bonhoeffer erklärt sich mit der Erkenntnis des Wie auch das Woran. Seine persönliche Glaubensüberzeugung wurde zum Politikum, andere Glaubensüberzeugungen werden es heute noch.

zu mir gehörig

Wenn ich mich frage, was für mich Glauben bedeutet, schaue ich zuerst in mich hinein. Nicht auf Phrasen oder grosse theologische Konstrukte.

Ich benenne, welche Gedanken zu mir gehören. Welche Gedanken ich schön finde. Welche Gedanken ich links und rechtsherum in meinen Händen drehe, von allen Seiten begutachte. Ich taste mit meinen Fingerkuppen die Oberfläche ab, spüre nach, welcher Eindruck in meiner Hand zurückbleibt.

Stimmt für mich alles an diesem Gedanken? Ja, dich finde ich schön! Du bleibst bei mir. Dich stelle ich in meine Vitrine mit den Glaubensdingen. Hinter der Glasscheibe zeigt sich nur Ausgewähltes. Nur was ich dort ausstelle, zeige ich meinen Gästen.

Du darfst dir meine Vitrine gerne anschauen, ich zeig dir meine Lieblingsstücke. Ich erzähle dir ihre Geschichte, meine Geschichte, wenn du mich fragst.

Ich will von meinen Glaubensdingen erzählen, weil sie mir wichtig und heilig sind. Weil sie zeigen, mit welchen Augen ich auf diese Welt schaue.

sichtbar und grundlegend

Die Schahada, das Glaubensbekenntnis des Islam, erscheint mir wie ein Vorzeichen, das gesetzt wird, ebenso wie eine Perspektive auf die Welt. Alles, was ich bete, alles, was ich tue, steht unter dem Bekenntnis:

Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Gott und dass Mohammed der Gesandte Gottes ist.

Der Satz ist das Lieblingsstück in der Vitrine. Was noch darin Platz finden soll, muss dazu passen.

Im Judentum sind die Glaubensdinge, die zu uns gehören, ganz physisch ein Teil von uns. Geschrieben auf die Türpfosten, auf einem Stück Papier mit Lederriemen auf die Hand gebunden. Im Schema Israel, einem der höchsten Gebote des Judentums, heisst es:

Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der HERR ist einer. Und du sollst den Herrn, deinen Gott liebhaben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Und die Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist. Wenn du dich niederlegst oder aufstehst. Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen den Augen sein und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.

zusammen gestellt

Was ich glaube, gehört zu mir. Ganz egal, ob es bestimmte Worte sind oder Überzeugungen, die ich gewonnen habe. Ich trage sie als Zeichen auf meiner Hand oder stelle sie zu meinen anderen Glaubensdingen in die Vitrine. Als sichtbares Zeichen: Hier, das ist, was ich glaube.

Mit den Gedanken, die ich für wahr halte, die ich in meine Vitrine gestellt habe, mache ich mich angreifbar, verletzlich. So wie mit Liebesbekenntnissen, falls sie nicht auf die gewünschte Resonanz stossen. Das Bekenntnis von Glaubensdingen grenzt manchmal mehr ab, als dass es verbindet. Das Andere aushalten, ist besonders bei Glaubensfragen herausfordernd.

Aber es macht Austausch möglich. Du musst nicht dieselben Glaubensdinge schön finden wie ich. Deine Glaubensdinge sehen vermutlich auch ganz anders aus als meine. Aber wenn du mir zeigst, was dir wichtig ist, kann ich dich vielleicht auch besser verstehen.

Hier stelle ich meine Glaubensdinge zusammen, meiner Heiligtümer und Wichtigkeiten:

mein bekenntnis

Ich glaube an Gott.

Nicht den Vater, nicht den Allmächtigen. Aber eine Schöpferin des Himmels und der Erde, wo wir viel leben und irgendwann sterben.

Und an Jesus Christus, einen geborenen Sohn. Aus Blut und mit Schmerz.

Unseren WunderRat, FriedeFreund, HinterhofHeld, LiebesBruder, TischGemahl und unsere HoffnungsHeimat.

Ein Sohn seiner Mutter Maria. Ein Leidensgenosse der Vertriebenen und Verurteilten, die gemeinsam gekreuzigt gestorben und begraben wurden. Begraben unter Staub und Trümmern. Und es noch werden. Und es immer noch werden.

Am dritten Tage auferstanden von den vielen Toten. Denen in Gaza und Israel, in Russland und der Ukraine, in Mexico und im Mittelmeer und auf dem Friedhof die Straße runter auf der linken Seite.

Aus dem Grab gestiegen. Freunde besucht. Maria gesehen. Wird schon weitergehen, geht es ja immer irgendwie. Und dann wieder los. Er war bei seinen Liebsten, aber nur zu Besuch.

Es geht weiter, in den Himmel, über die Wolken, wo die Freiheit grenzenlos ist und das Blau so schön. Die Störche ziehen Richtung Süden, dort wo wir sie nicht mehr sehn. Wo wir auf Wolke Sieben kurz vorbei schweben und winken, schön hier oben, auf Wiedersehen!

Er sitzt zur rechten Freddy Mercurys oder David Bowies, die mit ihren Engelsstimmen die altbekannten Lieder singen. We could be heros, just for today. Eine allmächtige Party.

Von dort werden sie kommen und einen Dancefloor errichten, und die Lebenden und die Toten werden einander in den Armen liegen und zu David Bowie von Jesus Christ Superstar singen. Sie kommen aus den Gräbern und von den Krankenstationen, von den Kaffeekränzchen und aus den Hörsälen. Und wir lieben uns, weil wir nicht mehr wissen, was Hass ist.

Ich glaube an einen heiligen, herrlichen Geist. Und Menschen die dadurch heimlich still und leise zu Liebestätern werden. Die mit Vergebung im Gepäck die Welt bereisen. Die aufstehen, für die vielen Toten, mit Herz und ohne Zweifel.

Ich glaube das reicht fürs Erste.

Ich weiss nicht, was Gottes Wunsch für diese Welt ist. Oder ob es Gott gibt. Ich glaube zumindest daran. Aber ich weiss, wie sich Liebe anfühlt. Und irgendwie denke ich, dass es sich um ein und dasselbe handelt.

 

Zu 1700 Jahre Glaubensbekenntnis von Nicäa gibt es einen spannenden Podcast von Andreas Loos und Thorsten Dietz («Geist.Zeit»). Eine Besonderheit der reformierten Tradition besteht in der «Bekenntnisfreiheit». Dies meint nicht Freiheit vom Bekenntnis, sondern Freiheit zum Bekenntnis.

Manuel Schmid und Stephan Jütte haben im Podcast «Ausgeglaubt» ihre eigenen, persönlichen Glaubensbekenntnisse formuliert und diskutiert – ihr findet die Folge zu Manuels Bekenntnis hier, und diejenige zu Stephans hier.

 

Foto@unsplash

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