Dein digitales Lagerfeuer
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 Lesedauer: 4 Minuten

Wenn es rundum wieder losgeht – bleib langsam

Ich war gerade im Beck. Samstagmittag, die Schlange vor dem Laden ist überschaubar. Momentan dürfen nur zwei Kund*innen aufs Mal rein. Vor mir steht ein Mann, mittleren Alters, in Joggingkleidern. Er ist sichtlich angespannt. Warum weiss ich nicht, ist mir auch egal. Er wird immer hässiger, regt sich darüber auf, dass es so langsam fürschi geht. Wir stehen noch nicht mal 5 Minuten an. Sagt zumindest mein Zeitempfinden, das zugegeben nicht immer so präzise ist. Das Joggen war wohl nicht so entspannend, denke ich. Der Gute muss dann auch noch andere Anstehende blöd anmachen und zurechtweisen – und ich denke bei mir «läck du mier, was hät dänn dä füren Stress». Warum ich nicht laut etwas sage? Weil ich damit erst vor Wochen eine unangenehme Erfahrung gemacht habe, doch das ist eine andere Geschichte.

Weniger Kadenz

Um mich herum kämpfen die Menschen damit, wieder in einen schnelleren Rhythmus des Alltags zurückzufinden. «Ich bin noch nicht parat dafür», höre ich oft. Die verordnete Pause hat vielen gut getan. Für manche war es eine grössere Pause als für andere – aber schon nur alleine kein durchgetaktetes Sozialleben zu unterhalten, kann viel Zeit freischaffen. Ich persönlich habe mich von einem durchgetakteten Leben schon vor ein paar Jahren verabschiedet. Oder es sich von mir. Darum war diese Pause jetzt nicht eine so grosse Veränderung für mein eigener Alltag.

Doch rundherum entdeckten Freunde ihren ganz eigenen Rhythmus. Einer, der sich erst dann zeigt, wenn die Fremdbestimmung bis zu einem gewissen Grad wegfällt oder sich zumindest reduziert. Mein bester Freund sagte:

«Es ist, als wäre ich seit Wochen im Kloster. Und ich fühle mich so wohl, einfach mit mir selber.»

Oder eine Freundin meinte: «Ich wünschte mir ganz dringend Erholung – voilà, Corona hat mir genau das gegeben.» Und auch ich selber merkte, wie noch mehr Zeit zuhause, keine Wegstrecken und vor allem viel Stille unglaublich wohltuend sind.

Weniger Programm

Wie lässt sich das mittragen, in einen Alltag, der vielleicht wieder etwas schneller läuft? Wenn der Verkehr wieder zunimmt, mehr Menschen unterwegs sind? Ohne dass wir wie der Mann vor dem Beck hässig durch die Welt müssen?

Zum einen dadurch, dass wir uns etwas weniger hetzen lassen vom Konzept Zeit: Zeit ist nicht so absolut, wie sie manchmal tut. Vielleicht haben wir in den letzten Wochen entdeckt, wie viele «Programmpunkte» tatsächlich in einen Tag gehören. Vielleicht sind vier Termine plus Feierabendbier plus Sport echli vill. Was hast du davon, einen Tag bis zum Rand zu füllen? Also. Trink den Kafi am Morgen in Ruhe. Vielleicht kommst du dann später ins Büro, machst dich defür gleich an die Arbeit statt leicht irritiert zuerst noch eine halbe Stunde Internetspass zu machen.

Weniger Fremdbestimmung

Zum andern vielleicht auch dadurch, dass wir uns immer mal wieder einen Nachmittag frei nehmen. Um spazieren zu gehen. Oder zu backen. Oder rein gar nüüt zu tun. In den meisten Berufen muss man nicht 8.5 Stunden am Tag im Büro sitzen. Es ist nicht an jedem Tag gleich viel zu tun. Dann lieber am einen Tag weniger arbeiten, am nächsten dafür etwas mehr. Wenn es deine Arbeit erlaubt: Teil sie dir selber ein. Mehr Selbstbestimmung, weniger Fremdbestimmung – ein sehr gutes Gefühl. Du gehörst niemandem.

Vielleicht müssen auch nicht so viele freie Abende verplant sein. Immer mal wieder Stunden (oder für die ganz Mutigen sogar Tage) frei lassen und dann mal schauen, was passiert. Das Gefühl der Enge und des Gehetztseins ändert sich nur, wenn wir uns Platz schaffen. Platz, einfach zu sein. Unverplant und unverstellt. Konsum tut bloss so, als schüfe er mehr Platz. Doch die neuen Schuhe, das neue Smartphone, das alles befriedigt bloss kurzfristig. Und ich zumindest will nicht wie ein Junkie abhängig sein vom immer nächsten High. Freiheit ist ein viel besseres Gefühl als ein momentanes High.

Und: Wenn du in einer Schlange stehst, dann steh einfach da. Spüre deine Füsse in den Schuhen, vielleicht den Magen knurren, deinen Atem. Hässig werden wir nur dann, wenn im Kopf das Getöibele losgeht von «ich wollte schon längst wieder Zuhause sein und duschen! Wenn das nicht schneller geht, ist der Tag schon wieder fast um und ich hab nichts davon gehabt!» Doch das Getöibele ändert nichts daran, dass du in Tat und Wahrheit einfach in einer Schlange stehst – alles andere sind bloss unangenehme Gedankenspiele.

 

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