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 Lesedauer: 4 Minuten

Warum zurück zur Normalität unmöglich ist

Nicht zu wissen, was kommt, macht Angst. Völlig verständlich. Unsere Gehirne, allem voran die alten Teile davon, sind darauf angelegt mit möglichst wenig Aufwand aus der Vergangenheit die Zukunft zu errechnen. Der einfachste Algorithmus der Welt: A plus B gleich C; Vergangenheit plus Jetzt gleich Zukunft. Oder Varianten davon.

Doch diese Gleichung hat chli einen Haken: Nicht alles, was nach Schlange aussieht, ist tatsächlich Schlange. Für unser Nervensystem macht das kein Unterschied, wenn diese Amygdala Gefahr schreit, geht es ab. Was kurzfristig hilfreich sein mag, aber längerfristig krank macht. Stress ist eigentlich in seiner Essenz das: Das Gehirn meldet konstant Gefahr und unser Nervensystem reagiert darauf.

«Wann wird endlich wieder alles normal?»

Situationen, wie die jetzige sind ein riesiger Trigger für Stress. Ausgelöst durch das Nicht-Wissen. Wann kann ich wieder normal arbeiten? Kann ich meine Rechnungen, meine Miete bezahlen? Wieviel bekomme ich von der Kurzarbeit? Ab wann darf ich wieder Freunde umarmen? Daten? Oder: Wohin gehe ich in die Sommerferien, kann ich mir Ferien überhaupt leisten mit diesem Einkommenseinbruch? Fragen einer privilegierten Person, logo. Nichtsdestotrotz haben sie das Potential, uns in eine sehr unangenehme Enge zu treiben.

Und egal, welche Fragen es genau sind, die uns umtreiben – zusammengefasst ist es die Frage nach «wann wird endlich wieder alles normal?» Aber das ist es eben: Was normal war, ist vorbei. Weil vergangen. Auch wenn wir uns das manchmal so sehr wünschen: Momente lassen sich nicht konservieren oder repetieren. Jeder Moment, jedes ‚Jetzt‘ ist wieder neu.

Veränderungen sind unabdingbar

Krisensituationen machen das sehr deutlich. Es gibt die Welt «vor Corona» und jene «nach Corona». Vieles wird sich nachhaltig verändern, auch wenn das genaue Ausmass noch nicht abschätzbar ist. Ein Beispiel sind Arbeitswege: Machen lange Pendelwege tatsächlich Sinn? Oder sind nicht-ortsgebundene und selbstbestimmte Arbeitsweisen vielleicht gewinnbringender, für alle? Die Arbeitnehmenden, die Umwelt, letztlich unser ganzes System undsoweiterundsofort. Mein Kollege Manuel Schmid hat hier darüber geschrieben, was er alles beibehalten möchte aus diesem Rückzug.

Aus der Krise ergibt sich Neues, auch wenn man zunächst einfach aushalten muss. Und: auf diesen Change muss man sich auch einlassen. Es gibt immer auch die Option, einfach die Augen zu verschliessen vor der Realität. Einfach so tun als ob, «normal» spielen. Etwas, was mich persönlich wütend macht. Aufgrund meiner persönlichen Geschichte: Nachdem mein Partner gestorben war, gab es viele Stimmen in meinem Leben, die meinten «nur schnell wieder zurück zum Job, zurück zu Normalität». Was für mich nach blankem Hohn klang. Wie sollte ich zurück zu einem Leben, das für immer anders sein wird? Ich würde bloss mich selber anlügen und nunja, damit war endgültig Schluss. Warum auch, wenn nichts, aber auch wirklich nichts letztlich in meiner Kontrolle ist. Diese meine ganz eigene Krise durchdrang mich derart, dass klar war: ausser dem Moment gibt es nichts. Alles andere existiert bloss in meinem Kopf, in meinen Gedanken.

Freiheit, jetzt hier zu sein

Aus dieser Erkenntnis im grössten Leiden entwickelte und entwickelt sich eine Freiheit, die ich so vorher nicht kannte. Eine Leichtigkeit auch. Bloss weil «man das so macht», ist noch lange kein Grund, es tatsächlich so zu machen. Bloss weil die Mehrheit der Gesellschaft so und so lebt, heisst das noch lange nicht, dass ich das auch so machen muss. Bloss weil meine Konditionierung und meine Amygdala mir «Gefahr!» ins Ohr schreien, heisst das nicht, dass die Recht haben.

Damit will ich sagen:

Versuchen wir nicht, krampfhaft die Vergangenheit zu imitieren. Sondern uns dem, was jetzt ist zuzuwenden.

Oder wie Ram Dass auf dem Cover seines fantastischen Buches titelt: Be here now.

Mit der Unmöglichkeit zurückzukehren zu einer vergangenen Normalität tut sich grosses Potential auf. Das kann ein Wechsel im Berufsleben sein, eine Rückbesinnung aufs Eigentliche – oder aber auch einfach, sich jeden Tag etwas mehr Zeit für den Kafi am Morgen zu nehmen.

 

Photo by Chris Lawton on Unsplash

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