Kann ein Mensch seine Würde verlieren?
Die christliche, theologisch-ethische Antwort lautet: Nein.
Die Würde eines Menschen ist unverlierbar.
Diese Überzeugung ist nicht nur die Basis der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Sie ist auch eine zentrale Aussage des christlichen Glaubens und ausserhalb religiöser Denksysteme schwer herzuleiten.
Aber erst mal von vorne.
Würde vom Anfang bis zum Ende
«Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren» – so steht es in Artikel 1 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Diese Aussage ist mehr als eine politische Absichtserklärung. Sie ist Ausdruck einer tiefen Wahrheit: Die Würde des Menschen hängt nicht von Leistung, Status oder Fähigkeiten ab. Sie ist angeboren.
Das bedeutet: Schon als Baby hast du Würde. Ohne Sprache, ohne gesellschaftliches Bewusstsein, ohne Kontrolle über den eigenen Körper.
Und diese Würde bleibt – vom ersten bis zum letzten Atemzug.
Gerade im Blick auf das Ende des Lebens herrscht oft eine andere Sichtweise: Menschen sprechen davon, «in Würde sterben» zu wollen. Oder davon, dass sie nicht durch eine schwere Erkrankung «würdelos» leben wollen.
Aus christlicher, theologisch-ethischer Sicht ergeben diese Aussagen nur Sinn, wenn man sie ganz differenziert betrachtet. Denn Würde kann zwar verletzt, aber nicht verloren werden.
Zwei Herleitungen von Würde
Theologisch lässt sich die Würde des Menschen auf zwei Arten begründen:
Erstens sind wir als Menschen laut der Bibel «im Bild Gottes» geschaffen (manchmal wird dies auch «Ebenbild» genannt). Das heisst, wir tragen eine Ähnlichkeit mit Gott in uns – mit dem Inbegriff von allem, was würdig ist.
Zweitens: Gott liebt jeden Menschen bedingungslos. Diese Liebe ist komplett unabhängig von Leistung oder Verhalten.
Gemäss des christlichen Glaubens spricht Gott jedem Menschen aus dieser Liebe heraus Würde zu. Gott vergibt alles, was uns von Gott trennt.
Philosophische Herleitungen
Ohne einen religiösen Denkhintergrund ist es schwieriger, Menschenwürde zu begründen.
Für Immanuel Kant gründete die Würde in Vernunft und Autonomie eines Menschen. Dieses Konzept wird schnell brüchig:
Was ist mit Kleinkindern, Menschen mit Demenz oder im Koma?
Zum Podcast MindMaps: «300 Jahre Kant: Fragliche Menschenwürde»
Wenn Würde an Fähigkeiten geknüpft wird, ist sie ein Privileg – kein Menschenrecht.
Abhängigkeit gehört zum Menschsein
Eine christliche Perspektive stellt dem etwas anderes entgegen: Auch wer auf Hilfe angewiesen ist, bleibt voll Mensch – und trägt unantastbare Würde.
Abhängigkeit widerspricht nicht der Würde, sondern gehört zum Menschsein dazu.
Wenn Würde verletzt wird
Würde kann zwar nicht verloren, aber verletzt werden: Indem sie nicht anerkannt wird.
- Wenn Menschen abgesprochen wird, was sie zum Leben brauchen: Sicherheit, Nahrung, Gesundheit, Perspektiven.
- Wenn Einzelne oder Gruppen von Menschen als minderwertig angeschaut werden.
- Wenn sie reduziert werden auf eine Funktion oder einen Aspekt ihres Seins.
Dann wird ihre Würde missachtet – auch wenn sie bleibt.
In der Philosophie spricht man hier von der kontingenten Würde, die jemandem von aussen zugesprochen wird; im Gegensatz zur inhärenten Würde, die jeder Mensch inne hat.
Das gilt nicht nur für den Umgang mit anderen, sondern auch mit sich selbst.
Wie sprichst du mit dir? Gestehst du dir selbst zu, was du brauchst? Erkennst du deine eigene Würde an?
Mehrdimensional und heilig
Ein interessantes Konzept aus dem vatikanischen Dokument «Dignitas infinita» (auch wenn es in einigen Punkten moralisch undifferenziert und einseitig ist) unterscheidet vier Dimensionen der Würde:
- Ontologische Würde – sie gehört einem Menschen einfach, weil er/sie/they existiert und von Gott geliebt ist.
- Sittliche Würde – zeigt sich im freien, verantwortlichen Handeln.
- Soziale Würde – wird spürbar in gerechten Lebensbedingungen.
- Existenzielle Würde – ist das persönliche Erleben von Würde in unterschiedlichen Lebenssituationen.
Wenn zwischen diesen Dimensionen ein Bruch entsteht – etwa, wenn die Realität nicht mit dem übereinstimmt, was einem Menschen zusteht – dann kann Würde als verletzt erlebt werden.
Fazit: Du bist nicht, was du tust
Die stärkste Botschaft dieses theologischen Blicks auf die Würde ist auch die einfachste: Du bist nicht, was du leistest. Nicht, was du denkst oder fühlst.
Du bist ein geliebtes Geschöpf Gottes – in jedem Moment deines Lebens. Das ist die Grundlage deiner Würde. Und sie ist unantastbar.
3 Gedanken zu „Warum man Würde nicht verlieren kann“
Danke!
Setzen wir voraus, dass Würde nicht verloren werden kann, dann braucht es nach meinem Verständnis eine sprachliche Alternative zu der Feststellung, dass jemand sich vollkommen würdelos verhält. Diesen Zustand fand ich auf diese Weise treffend und verständlich beschrieben. Irgendwelche Vorschläge?
Danke für den Kommentar. Es ist ja gerade der Punkt des Beitrags, dass diese Aussage in Bezug auf die Würde eines Menschen nicht getroffen werden kann. Vorschlag also: Diese Feststellung schlicht und einfach streichen.