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Unkraut, Gärtner, Stein oder Same?

«Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht.»

Diese Formulierung des tschechischen Schriftstellers und Menschenrechtlers Vaclav Havel war dem Studientag am 10. Juni 2022 vorangestellt. Das Thema lautete: «Finding Hope in Times of War, Corona and Climate Change».

An das berühmte Havel-Zitat anknüpfend können wir schon einmal eine naive Wunscherfüllungshoffnung von einer reiferen Hoffnung abgrenzen. Der Satz kann, wenn nicht Hoffnung, so doch Mut schenken; und zwar gerade, wenn wir es am dringendsten brauchen: in niederschmetternden Lebenssituationen: wenn der geliebte Mensch stirbt, die Krankheit sich als unheilbar erweist, der Planet sich weiter wie eine fiebernde Person überhitzt.

Wir können in Verzweiflung versinken – oder einen Baum pflanzen.

Stephan Jütte hat die Havelsche Art des Hoffens ohne Erfolgsgarantie und daraus ableitbares mutiges Agieren bei Alexei Nawalny entdeckt und überrascht festgestellt, dass der russische Oppositionspolitiker sein Handeln religiös begründet. Im Anschluss an die Urteilsverkündigung im Februar 2021, nachdem er einen Giftanschlag knapp überlebt hatte, sagte Nawalny, dass er das Bibelwort «Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.» als Gebot und Handlungsanweisung betrachte.

Es macht keinen Spass

Es mache ihm keinen Spass, wieder in Russland zu sein, «aber ich bereue meine Rückkehr und das, was ich tue, nicht. Denn ich habe alles richtig gemacht.» Er empfinde sogar so etwas wie Genugtuung darüber, in einer schwierigen Zeit das getan zu haben, was das Gebot sage. «Ich habe das Gebot nicht verraten.» (Auf deutsch nachzulesen in dem Buch «Schweigt nicht! Reden vor Gericht».)

Inzwischen kritisiert der Oppositionelle aus einem russischen Straflager heraus Putins Angriffskrieg auf das Nachbarland Ukraine. Erst kürzlich wurden seine Haftbedingungen im Straflager verschärft.

Stephan Jütte versteht Nawalnys Rede als «eine eindrucksvolle Beschreibung, wie er im christlichen Glauben Hoffnung findet. Die Verheißung, dass diejenigen, die nach Gerechtigkeit dürsten, glücklich sein werden, gibt ihm Kraft, bewahrt ihn vor Einsamkeit und lässt ihn positiv in die Zukunft blicken. Er braucht die traurige Realität nicht zu beschönigen. Er weiss um seine missliche Lage und den traurigen Zustand seines Landes. Aber all dies ist für ihn nur vorübergehend.»

Manuel Schmid identifiziert als bekennender «Netflix-Abhängiger» das Wechselspiel von Hoffnung und ihrem Widerpart, der Angst, als Matrix populärer Filmserien. Genau zwischen diesen Polen entfalte sich fesselnde Spannung. Gäbe es nur Angst, aber keine Hoffnung – oder umgekehrt, würde jeglicher Reiz verfliegen. Brauchen wir diese Spannung auch im realen Leben? Eher nicht. Manuel kontrastiert einen Teufelskreis der Angst als Akkumulation kreisender Negativgedanken von einer «segensreichen» Denkdynamik. Es liege zumindest teilweise in unserer Macht, die optimistische Sicht zu bevorzugen und zu «nähren».

Die Theologin Anna Näf, die sich bei Christian Climate Action (christliche Sektion von Extinction Rebellion) engagiert und bei RefLab die Klimakolumne «Planet A» veröffentlicht, berichtet über Hoffnung und Hoffnungsverlust bei der Klimajugend.

Vor dem Hintergrund der globalen Klimaerhitzungskatastrophe hätten sich neben Kosmologien auch Menschenbilder verdüstert. Menschen würden sich zunehmend als Problem- und Störfaktor wahrnehmen. Anna trifft in der Aktivist:innenszene wie auch bei sich selbst auf konkurrierende Menschenbilder. Mal tritt die eine Sichtweise stärker hervor, mal die andere.

Wie sehen wir uns?

  1. Da ist erstens das Bild vom Menschen als Unkraut, das alles überwuchert und zerstört. Wir Menschen produzieren unsere eigene Auslöschung. Umso schneller wir uns abschaffen, desto besser für den Planeten. Der Planet wäre ohne uns besser dran. Ich habe meinen Footprint in Nichtexistenz zu überführen. Mit dieser Haltung verpassen wir freilich jegliche Chance, aktiv zu werden.
  2. Wir sind Gärtner, die Unkraut jäten. Wir sind die potenziellen Helden, die den Planeten retten und neue Hoffnung aufkeimen lassen. Das ist auf vielen Transparenten der Klimagerechtigkeitsdemos zu lesen. Diese Haltung, die nach den Bösen fahndet, die anderes wollen, um diese am liebsten wie Unkraut «auszujäten», birgt eine tendenzielle Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie. Eine Minderheit misstraut Mehrheitsvoten.
  3. Wir sind Steine im Strom der Zeit. Unser Tun richtet weder im Schlechten noch im Guten etwas Nenneswertes aus. Egal, ob wir den Planeten oder eine Burg aus Bonbons zerstören, niemanden kümmert es. Ein wundervoller Traum der Bedeutungslosigkeit. Wir können mit dieser Sichtweise zwar die Hoffnung begraben, aber uns dafür innerlich entspannen und unseren Zitronengrastee geniessen.
  4. Wir sind Samen und nicht nur zerstörerisch, sondern können auch blühen und Früchte bringen. Dazu aber brauchen wir eine gute und förderliche Umgebung, ein konstruktives politisch-ökonomisches System und eine Kultur der gegenseitigen Unterstützung. Das Wissen um unsere Abhängigkeit befördert zudem die gerade in Krisenzeiten notwendigen Tugenden von Demut und Bescheidenheit, um uns nicht permanent zu überschätzen und unbesonnen zu handeln.

Dem Hoffnungsthema, dem im religiösen Kontext so viel Gewicht beigemessen wird, begegne die Klimajugend oft reserviert. Anna verweist auf Greta Thunberg, die sagt, wir bräuchten nicht Hoffnung, sondern Mut. Greta Thunberg sagt allerdings auch: «We can no longer let the people in power decide what hope is. Hope is not passive. Hope is not blah blah blah. Hope is telling the truth. Hope is taking action.»

Beyond Hope?

Die christliche Klimajugend versuche von den Klimagerechtigkeitsbewegungen zu lernen und gleichzeitig einzubringen, was dort oft zu kurz komme: Spiritualität. Um Hoffnung und neuen Mut zu schöpfen, ziehe sich ein Teil der Klimajugend im Winter bewusst zurück, gleich den winterschlafenden Tieren, sagt Anna: «Sie hoffen, dass im Frühling die Energie zurückkehrt. Manchmal geschieht das, manchmal auch nicht.»

Fabienne Iff fragt provokativ: «Wenn wir in der Schweiz die Gletscherschmelze haben, aber keine Steuer auf Flugreisen, ist da überhaupt Hoffnung für unserer Zukunft?» Als Millennial sei sie «prozessorientiert» und versuche angesichts einer überkomplexen Welt erst einmal möglichst gute und harte Fragen zu stellen: «Wichtiger als Hoffnung ist die genaue Problembeschreibung.»

In meinem Nachdenken über Hoffnung vor dem Hintergrund der multiplen Krisen unserer Zeit knüpfe ich an den katholischen Theologen Johann Baptist Metz an, der sagt:

«Trauer ist Hoffnung im Widerstand».

Metz zeigt auf, dass Trauer und Hoffnung nicht notwendig Gegensätze sind:

«Trauer ist nicht der schiere Gegensatz zu dem, was wir Hoffnung nennen, sondern zunächst einmal ein Gegensatz zu einem flächendeckenden Optimismus, einem Optimismus, der doch so schnell in Banalität umkippt, und bei uns das, was wir einmal christliche Hoffnung genannt haben, längst säkular beerbt hat.»

Eine banale, billige Hoffnung kann womöglich sogar notwendige Schritte verhindern. Vor diesem Hintergrund ist das trotzig klingende Motto von Extinction Rebellion zu verstehen: «Hope dies, action begins.» Wenn ein Individuum oder noch besser eine Gruppe aktiv wird und ins Handeln kommt, kann aber auch wieder eine Hoffnungsperspektive entstehen.

Christlich betrachtet, müssten nicht wir die Hoffnung finden, weil sie uns längst gefunden habe, meint Stephan:

«Wir bringen Hoffnung nicht neu auf die Welt. Die Saat ist bereits aufgegangen. Wir sind keine Missionare, die diese Hoffnung in die Welt tragen, sondern Zeugen dieser Hoffnung, die überall auf ihre Spuren und Auswirkungen hinweisen. Vogelbeobachter hören überall wunderbare Vögel. Menschen, die Blumen lieben, sehen sie am Wegesrand. Menschen, die auf Gott vertrauen, können ihn auch im lächerlichsten Gericht bezeugen.»

Die Studientage «Finding Hope in Times of Corona, War and Climate Change» waren Anfang Juni 2022 in der Schweiz. Am 28. Oktober (Nachmittag) veranstalten wir vom RefLab wieder die jährliche Tagung «Lebenswelten auf Distanz», bei der wir das Thema nochmals aufnehmen. Informationen dazu folgen.

Zu «plusbildung ökumenische bildungslandschaft schweiz» geht es hier.

Zum EEAE «European Protestant & Anglican Network for life-long Learning» hier.

Photo by Mario Alvarado on Pexels

4 Kommentare zu „Unkraut, Gärtner, Stein oder Same?“

  1. Hi, genau solche Gedanken mache ich mir dauernd… Einerseits um den Zustand der Erde, der Umwelzerstörung . als auch um all das unfassbare Leid, das durch Krieg, Armut, Gewalt, Diktaturen ect. Realität für den Grossteil der Menschen ist. Ich bin zwar schon eine „Apfelbaumpflanzerin“ aber das ist so erschütternd wenig, was man tun kann.
    Hoffnung finde ich eigentlich wenig., eher Traurigkeit. Ausser, ich lass mich auf den Gedanken ein, dass Gott vielleicht doch selber diese Situationen verändern will. Das ganze Blatt nochmal wendet, was die Menschheit anscheinend nicht mehr hinkriegt.
    Aber die Frage ist, wann?
    In Indien müssen Leute einfach um zu überleben bei 50 Grad im Freien arbeiten und Flüchtlinge sitzen hoffnungslos gestrandet in Moria fesr, wenn sie dem Krieg oder die Verfolgung in ihrem Land entkommen könnten… Usw.. Ich muss nicht mehr aufzählen, denke ich.
    Helfer gibt es, aber so wenig im Vergleich zur Not.
    Ich finde wirklich selber Hoffnung, wenn ich darüber nachdenke, daß Jesus im tiefsten Leid nicht zerstört wurde, sondern es überwunden hat…und wenn ich glaube, dass es deshalb einen Trost und was Neues geben wird für alle zerstörten Leben… Und so eskapustisch es sich anhört, darun kann ich meine Verzweiflung aushalten und weitermachen…Es gibt irgendwie Kraft, der Glaube, dass er uns Menschen versteht und bei uns bleibt und das letzte Wort jemand hat, der gelitten hat.
    So läuft es halt bei mir. Ich würde mich extrem freuen, wenn ich noch mehr über das Thema hören würde.

    Finding hope… Sehr wichtiges Thema und tolle Denkanstöße von Johanna di Blasi.
    Ausserdem wurde mich auch interessieren, wie man diese gefundene Hoffnung anderen vermitteln kann, denen es helfen könnte.

  2. Johanna Di Blasi

    Vielen Dank für deinen berührenden Kommentar, das Teilen deiner Gedanken! Ein Ansporn, gemeinsam und jeder für sich noch genauer hinzuschauen, wo unsere «Ressourcen» liegen, unsere inneren Kraftreserven.

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