In der vergangenen Ausgabe des «Kunstscout» stellten wir einen Künstler vor, der Künstliche Intelligenz als Bild- und Zufallsgenerator für sich arbeiten lässt (Refik Anadol).
Beim derzeit viel diskutierten KI-Video, das Trumps Gaza-Pläne in einem Mix aus grellen Vor- und Nachher-Bildern überzeichnet, sind die Urheber nicht bekannt. Aber so viel: Bereits Anfang Februar 2025 wurde das Video von anonymen Accounts veröffentlicht und von Trump-Fans verbreitet.
Seit der US-Präsident das Video Trump in Gaza auf seiner Plattform Truth Social kommentarlos gepostet hat, geht es viral. Das rund 30 Sekunden kurze Video wurde millionenfach angeklickt und tausendfach kommentiert.
Ein Social-Media-Coup!
Riviera des Nahen Ostens
Zu sehen ist zunächst die reale Kriegshölle, das zerbombte Gaza. Ein Kind kauert inmitten einer zerstörten Welt am Boden. Zwei Männer wenden sich ihm zu, einer ein vermummter (islamistischer?) Kämpfer mit Maschinengewehr.
Plötzlich öffnet sich ein magisches Tor. Durch dieses schlüpfen palästinensische Kinder in eine Glitzerwelt: das zukünftige Gaza.
Futuristische Hochhäuser, Strände in goldenes Licht gebadet, teure Autos und Luxusyachten, ein goldener Trump Tower: das zur «Riviera des Nahen Ostens» entwickelte vormalige Kriegsgebiet.
Vor wenigen Wochen hatte der US-Präsident genau das angekündigt, inklusive Umsiedlung, sprich Vertreibung aller Einheimischen. Unbekümmert um das Völkerrecht.
KI als Klischeeverstärker
Gleich zweimal sieht man in dem Video Elon Musk Hummus-Snacks verdrücken. Trump ist unterdessen als Sugar Daddy unterwegs und schlürft schliesslich am Hotelpool mit Netanjahu Cocktails.
Hinterlegt ist das KI-Video mit einem Song, in dem es unter anderem heisst:
«Donald kommt, um euch zu befreien (…). Keine Tunnel mehr, keine Angst mehr: Trump Gaza ist endlich da.»
Generative KI ist ein «Klischeeverstärker», wie der Medientheoretiker Roland Meyer es ausdrückt. Mit Midjourney & Co. liessen sich schöne Vergangenheiten, die es so nie gegeben habe, als Zukünfte verkaufen. Daher seien die Tools bei Rechten so beliebt.
Auch das Video Trump in Gaza strotzt vor Klischees, orientalistischen und sexistischen (hypermaskuline Männer, auf Sexyness reduzierte Frauen). Es bricht die Klischees allerdings zugleich – eine aus der Avantgardekunst bekannte Strategie.
Verwirrende Zeichen
Die kessen Bauchtänzerinnen tragen zum Bikinioberteil Bärte à la Conchita Wurst.
Ihre grünen Kopftücher erinnern an die Stirnbänder von Hamas-Kämpfern.
Manchen, die ad hoc kritisches Werkzeug aus der Gender- und postkolonialen Forschung auf das «unsägliche Propagandavideo» anwendeten, entschlüpften solche Details.
Diejenigen, die ohnedies finden, Algorithmen krankten an einer «woken» Bias (Voreingenommenheit), fühlten sich unterdessen durch die bärtigen Bauchtänzerinnen bestätigt.
Aus Hölle wird Himmel
Der jähe atmosphärische Umschwung von Gaza-Hölle zu Trump-Himmel entspricht einem Erzählschema, dessen sich die politische Rechte regelmässig bedient.
Man kennt es aber auch aus der apokalyptischen Überlieferung.
In der religiösen Erzähltradition ist es Gott, der nach der Zerstörung der alten Welt eine neue erschafft. Und einen neuen Himmel ausrollt, gleichsam wie eine Buchrolle.
Beim rechten Narrativ sind es Ausnahmefiguren, «Helden», die den Unterschied bewirken. (Zur «Heldengeschichte» habe ich bereits vor einer Weile gebloggt). Sie sind meistens männlich und weiss: White Savior.
Weisse Retter
Die bestehende Welt wird als unreformierbar (durch Gesetze und deren Einhaltung) gezeichnet. Das Neue, dem das Bestehende Platz machen soll, ähnelt aber oft Nostalgien.
Steve Bannon schildert etwa in seiner 2017 herausgekommenen Dokumentation «Frontline» einen dystopischen Weltzustand – und wie er in einem persönlicher Kreuzzug gegen das Establishment diesen beenden will.
Bannon war in dessen erster Amtszeit einer der wichtigsten Berater Trumps.
Hure Babylon
Wenn sich inzwischen selbst Trump-Fans von dem Gaza-Video distanzieren, dann nicht etwa, weil ihr Idol mit einem mutmasslichen Kriegsverbrecher am Pool abhängt, gegen den ein internationaler Haftbefehl vorliegt. Sondern eher wegen der bärtigen Bauchtänzerinnen.
Und weil das neue Gaza um vergoldete Trump-Statuen wie ums goldene Kalb tanzt.
Weil KI den US-Präsidenten mit Stereotypen des orientalischen Despoten verschmilzt. Und Elon Musk als Diener des schnöden Götzen «Mammon» gezeichnet wird.
Der reichste Mann der Welt wirft generös Geldscheine in die Luft, die die Kinder des wesentlich mit US-Waffenhilfe in Schutt und Asche gelegten Gazastreifens wie einen Segen von oben auffangen.
Trump-City als neue Hure Babylon? Das kann gerade Trumps religiöser Gefolgschaft nicht gefallen.
Werbung und Anti-Werbung zugleich
Das Verwirrendste indes ist: Das Video ist ununterscheidbar zwischen grobkörniger Persiflage auf Trump und pro-trumpscher Propaganda angesiedelt. Es ist irgendwie beides zugleich.
Auch lässt das Video Leute aus unterschiedlichen Gründen lachen und ihr Lachen gleichzeitig im Halse ersticken.
Das KI-Erzeugnis ist daher ein interessantes Beispiel für die Kommunikation unter algorithmischen Bedingungen unserer Social-Media-Gegenwart. Und dafür, wie sich die Wirkung von Medienprodukten von Intentionen geisterhaft entkoppelt hat.
Foto: Still aus dem beschriebenen Video