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«No Kings»: Die biblische Kritik am menschlichen Machtstreben

Unter dem Slogan «No Kings» gingen am Wochenende in den USA Millionen Menschen auf die Strasse. Sie protestierten gegen die Trump-Regierung: Hier nutzt ein Mann seine Macht zu Ungunsten der Bevölkerung aus, während er seinen Peers Steuererleichterungen verschafft.

Trump zeigt autoritäre Züge und Strategen der gegenwärtigen US-Regierung fantasieren tatsächlich von einem amerikanischen Königtum: So schwärmen der antidemokratische Philosoph Curtis Yarvin und, etwas weniger deutlich, Peter Thiel, der Milliarden-Investor und Strippenzieher hinter Trumps Präsidentschaft, von der Monarchie als Staatsform.

Auch mit biblisch-apokalyptischen Assoziationen wird vor allem der Katholik JD Vance, aktuell Vize-Präsident der USA, von seiner Anhängerschaft als möglicher Kandidat für eine amerikanische Monarchie gehandelt (vgl. Deutschlandfunk, «Die Peter Thiel Story» 6/6). Vance wurde von Thiel ins Amt gehievt und ist beeinflusst von Yarvins Ideen.

Gegen diese undemokratischen Macht regt sich Widerstand.

Widerstand, der sich aus einem aufgeklärten, demokratischen Gesellschaftsverständnis begründen lässt. Mit dem Slogan «No Kings» erinnert er aber auch deutlich an ein biblisches Motiv: die sogenannte «Königskritik».

Ein Thema, das vor allem im Alten Testament wichtig ist. Was lässt sich davon für die aktuellen Bewegungen lernen? Wo sind die theologischen Impulse relevant für die Gegenwart?

Frühe Gesellschaft ohne König

Am Anfang der biblischen Erzählungen steht eine nach Stämmen organisierte Gesellschaft. Die Familie von Abraham wächst an zum «Volk Israel», das nach dem Auszug aus Ägypten kriegerisch ins «gelobte Land» eindringt. Die Anführer sind keine Könige, sondern gewöhnliche Menschen, die von Gott für besondere Aufgaben berufen wurden.

Israel war eine Theokratie: Hüter von Wohlstand und Gerechtigkeit war kein Mensch, sondern Gott.

Die Strukturen in den umliegenden Kulturen waren andere. Grosse altorientalische Gesellschaften wie Ägypten, aber auch kleinere wie Moab oder die Ammoniter sowie Stadtstaaten wie Ai oder Hebron hatten Könige.

Man kann sich vorstellen, dass der Verzicht auf das Königtum für die Bevölkerung auch unbefriedigend war: Keine glamouröse Monarchie, die ihre Macht gegen aussen demonstrieren konnte. Kein Verantwortungsträger, der sich für sein Volk einsetzte, aber auch mal mit starker Hand Regeln durchsetzte, wenn es in den eigenen Reihen Konflikte gab.

Dafür ein unsichtbarer Gott, von dem nicht einmal ein Standbild gemacht werden durfe, und der kommunikativ nur über Propheten und Priester erreichbar war.

Ein fast demokratischer Aufruhr führt zum Königtum

Ein schon fast demokratisch anmutender Aufruhr führt schliesslich zur Einsetzung eines Königs. Das Volk bedrängt den Priester Samuel, im Namen Gottes einen König zu bestimmen.

Er erläutert der Menge noch einmal, was da auf sie zukommen würde: «Ein König wird eure jungen Leute für sich, seine Kriege und für die schwere Arbeit beanspruchen. Er wird sich nehmen, was euch gehört, und hohe Steuern von euch verlangen, damit er seine Freunde noch reicher machen kann. Ihr werdet seine Dienerinnen und Sklaven sein. Und irgendwann werdet ihr zum Himmel schreien wegen eurer Unterdrückung.»

«Nein!», rufen die Leute, «Wir wollen einen König!» (Nacherzählt gemäss 1. Samuel 8)

Nicht «No Kings», sondern «We Want a King».

Es wird geschildert, dass Gott am Ende klein beigibt und Samuel beauftragt, einen König zu suchen. Erster König wird der junge, schöne, aber unberechenbare Saul.

Ambivalentes Bild der Monarchie

In der Bibel gibt es sowohl königsfreundliche als auch königskritische Texte: Der grosse König David lässt sich moralisch viel zuschulden kommen. Und überhaupt kommen nur wenige Könige im Alten Testament positiv weg.

Aufzählungen von Königsdynastien enthalten zusammen mit den Namen oft den Zusatz: «Und er tat, was böse war in den Augen des JHWHs.»

Das Richterbuch, das historisch die letzte Ära ohne König erzählt, endet im absoluten Chaos – wohl auch eine Legitimation des Königtums mit seiner autoritären Ordnung. Die «Jotamfabel» (Richter 9,8–15) verpackt Königskritik in eine metaphorische Erzählung von Bäumen, die einen König unter sich krönen.

Positiv sind Geschichten wie die des weisen Königs Salomo. Begriffe aus dem Königtum wurden auch herangezogen, um die Herrschaft Gottes und Jesus zu beschreiben – und sie finden sich in vielen Gebeten und Kirchenliedern.

Drei Kritikpunkte

Die biblische Kritik am Königtum lässt sich in drei Hauptpunkte gliedern [1]:

  1. Religiöse Kritik: Menschen stehen alle auf gleicher Stufe. Eigentliche Macht und Ehre stehen nur Gott zu. Er wäre damit der einzig rechtmässige König. Die Verhältnisse in den fünf Büchern Mose, wo das Volk Israel immer wieder Weisungen und auch materielle Versorgung von Gott erhält, stellen in diesem Verständnis die ideale Ordnung dar.
  2. Kritik am politischen Modell der Monarchie: Menschen sollen gegenseitig füreinander sorgen, sich umeinander kümmern und in verantwortungsvollen Beziehungen leben. Das Königtum, das einen Menschen und ggf. seine Familie aus dieser auf Gleichheit beruhenden Gesellschaft heraushebt, läuft diesem Menschenbild zuwider. Einem Menschenbild, das sich, wenn überhaupt in politischen Begriffen, dann eher demokratisch auslegen lässt.
  3. Moralische Kritik: Könige und Königinnen werden in der Bibel daran gemessen, wie sie sich gegen oben und gegen unten verhalten: an ihrer Demut gegenüber Gott und ihrem Verantwortungsbewusstsein gegenüber ihren Untertanen. Eine Stelle macht besonders deutlich, was gute Amtsführung ist: Die Macht des Königs soll begrenzt sein, er soll nicht zu viel Reichtum anhäufen, seine Position nicht zur Ausbeutung von Frauen ausnutzen. Und das Studium des göttlichen Gesetzes soll seinen Alltag prägen und seine Macht in das richtige Verhältnis setzen. (Deuteronomium 17,14–20)

Generell hat die Bibel ein realistisches, ungeschöntes Menschenbild, das die ganze Ambivalenz unseres Daseins in Betracht zieht:

Menschen können liebevoll füreinander sorgen und gute Ziele verfolgen. Doch die Verlockungen von Reichtum und Macht über andere können auch diejenigen auf Abwege führen, die meinen, davor gefeit zu sein.

Kritik wird auch nicht nur an Monarch:innen geübt: Der Anspruch, Gott und die Mitmenschen zu lieben, gilt für alle. Machtmissbrauch ist nicht auf die politisch Mächtigen beschränkt. Die Königskritik in der Bibel ist zwar deutlich, aber nicht absolut.

Prophet:innen als Gegenspieler

Zur Figur des Königs/der Königin gibt es in der Bibel oft eine Gegenfigur: den Propheten. Prophet:innen machen immer wieder darauf aufmerksam, dass Gott für alle Menschen ein lebenswertes Leben fordert. Sie weisen Könige, die ihre Macht für absolut halten, auf ihre Grenzen hin.

So etwa, als König David sich einer Frau, Bathseba, bemächtigt, und ihren Ehemann im Krieg absichtlich umkommen lässt. Der Prophet Nathan geht hart mit ihm ins Gericht und kündigt die göttliche Strafe an (nachzulesen in 1. Samuel 12).

Er erinnert David aber auch an seine eigene Menschlichkeit und Empathie. So richtet sich die innerbiblische Kritik auch nicht nur an das Königtum, sondern oft an die gesamte Gesellschaft, die sich nicht um ihre Schwächsten kümmert.

Die jüdischen Monarchien enden abrupt: Erst spaltet sich das ursprüngliche «Israel» in die beiden Staaten Juda und Israel mit ihren jeweiligen König:innen. Und nach drei- bzw. fünfhundert Jahren nehmen Assyrien und Babylon die beiden Königreiche ein und machen die jüdische Bevölkerung zu Untertanen.

Später kommen die Kaiser und die grossen Reiche der Antike beenden die Dominanz der Monarchien im östlichen Mittelmeerraum. Könige, auch jüdische wie Herodes, der bekannteste unter ihnen, waren Spielfiguren der Kolonialmacht.

Ein amerikanischer König von Gottes Gnaden?

Es gab immer wieder christliche Bewegungen, die pro-monarchisch eingestellt waren. Bis heute ist der englische König auch das Oberhaupt der anglikanischen Kirche. Katholische und orthodoxe Strukturen mit ihren Hierarchien und machtvollen Bischöfen zeigen monarchische Züge. Ganz zu schweigen vom «Heiligen Römischen Reich», das vom Ende des 10. bis zum beginnenden 19. Jahrhundert Feudalstrukturen unterhielt.

Von evangelikal-konservativer Seite in den USA wurde Donald Trump immer wieder mit dem Perserkönig Kyros II. verglichen, der in der Bibel dem jüdischen Volk wieder Freiheiten verschafft hat. Sein komplett amoralischer Charakter stellt kein Problem dar; es wird dazu auch auf den biblischen König David und dessen Verfehlungen verwiesen. Trump wird als von Gott eingesetzt betrachtet.

Letzteres ist von Bedeutung: Gemäss dem christlichen Glauben steht Gott über allem. Nach biblischem Verständnis kann er Herrscher:innen einsetzen und stürzen. Die Interpretation ist, dass jeder menschliche König letztendlich von Gott legitimiert ist.

Ein gefundenes Fressen für gegenwärtige, antidemokratische Bewegungen, die sich theologisch rechtfertigen wollen.

Wie oft, wenn in der Vergangenheit auch kirchliche Herrschende übermässiges Machtstreben zeigten.

Viel besser jedoch lässt sich mit Blick auf die Bibel die Protestbewegung «No Kings» begründen. Und so haben sich christliche Aktivist:innen in den USA wie Shane Claibourne, der seit Jahrzehnten mit seinem Engagement für Gewaltfreiheit und Nachhaltigkeit auffällt, in die Proteste eingereiht.

Fazit: Theologischer Boden für den Widerstand

Der theologische Boden für dieses Königskritik-Revival ist gelegt: So machte beispielsweise der vor wenigen Tagen verstorbene Walter Brueggemann immer wieder deutlich, wie imperiale Strukturen dem christlichen Glauben zuwiderlaufen. «You met one Pharaoh, you met them all», begründete der Alttestamentler die Relevanz der alten biblischen Texte für die Gegenwart.

Er und andere verwendeten den Begriff «Empire»: In Teilen der englischsprachigen Theologie die Antithese dessen, was in der Bibel mit dem «Reich Gottes» beschrieben wird.

Einer Gesellschaft, die von Nächstenliebe geprägt ist, in der das von Gott gegebene Leben aller menschlichen und nicht-menschlichen Schöpfungswesen ermöglicht, respektiert und gefeiert wird.

In dieser Vorstellung sind Menschen untereinander gleichgestellt: Menschen tragen füreinander und miteinander für die ganze Welt Verantwortung, über allem steht ein transzendenter Gott. So wird – zumindest in der Theorie – jedem autoritären, quasi-göttlichen Machtanspruch ein Riegel geschoben.

In der Bibel wird das Königtum mit Jesus Christus schliesslich auf höchst paradoxe Weise verwirklicht:

Jesus Christus ist der König mit der Dornenkrone, der nicht im Palast geboren wird und seinen Zeitgenossen die Füsse wäscht.

 

[1] Vgl. Wibilex, Art. «Königskritik»

Bild: «No Kings»-Demonstration in Dallas; Wikipedia/Brendenmrogers unter Creative Commons 4.0.

1 Gedanke zu „«No Kings»: Die biblische Kritik am menschlichen Machtstreben“

  1. “Dafür ein unsichtbarer Gott, von dem nicht einmal ein Standbild gemacht werden durfe, und der kommunikativ nur über Propheten und Priester erreichbar war.”

    Gott, die Methapher für die Vernunft und das Verantwortungsbewusstsein des Geistes / des Zentralbewusstseins der Schöpfung, da ist es doch weder Wunder noch Phänomen, wenn nicht einmal ein Standbild gemacht werden soll!?

    Vernunftbegabung, nur für geistig-heilendes Selbst- und Massenbewusstsein des ganzheitlich-ebenbildlichen Wesens Mensch, nicht für wettbewerbsbedingt-egozentriertes “Individualbewusstsein” in wettbewerbsbedingt-konfuser Symptomatik des geistigen Stillstandes seit Mensch erstem und bisher einzigen GEISTIGEN Evolutionssprung (“Vertreibung aus dem Paradies”) in die “göttliche/vernünftige Sicherung” vor dem Freien Willen, bis …!?

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