Mein erstes Gefühl, noch bevor er sich der Öffentlichkeit zeigte: leichte Enttäuschung, dass es ein US-Amerikaner geworden ist. Und nicht etwa ein Vertreter des Globalen Südens. Den Namen Robert Francis Prevost hatte ich nie zuvor gehört. Aber das gewählte, kämpferisch klingende Leo XIV. machte mich etwas skeptisch. Klingt ein wenig wie «Louis XIV», der Sonnenkönig. Wurde hier gerade ein Möchtegern-Sonnenpapst gewählt?
Wofür, wogegen will er kämpfen?
Leo der Grosse machte im 5. Jahrhundert gegen Attila und seine Hunnen mobil. Leo XIII. stellte sich an der Wende zum 20. Jahrhundert an die Seite der geschundenen Arbeiterschaft («Rerum Novarum»; die Mutter der katholischen Sozialenzykliken) und warnte vor Auswüchsen von Kapitalismus und Materialismus. Und es war ein Leo, Leo X, der Martin Luther 1521 exkommunizierte.
Dann jedoch tritt ein spürbar unsicherer, von der Wucht des Moments überwältigter Mann auf die päpstliche Loggia in Rom.
Die Menge auf dem Petersplatz hatte der Amerikaner schon eine Weile warten lassen, wahrscheinlich um erste Worte zurechtzulegen und zu Papier zu bringen. Anders als seine Vorgänger, die frei gesprochen haben.
Der erste US-Amerikaner im Papstamt
Die Zartheit des Lächelns von Robert Francis Prevost ist das erste, was einen Eindruck der Persönlichkeit des neuen Papstes vermittelt, und gütige Augen.
Wenn das ein Löwe ist, dann ein zarter, leiser, kein brüllender.
Schnell tauchen Informationen über ihn auf: 1955 in Chicago als Sohn französisch-spanisch-italienischstämmiger Eltern geboren, Ordenmann wie sein Vorgänger Franziskus, diesem auch inhaltlich nahestehend. Insbesondere in sozialen Fragen, seiner missionarischen Vision des Evangeliums, der Sorge um den Klimawandel. Jahrelang als Missionar und dann als Kardinal in Peru tätig. Aber auch: Er soll als Bischof von Chiclayo Missbrauchsfälle nicht konsequent verfolgt haben.
Sicher ist: Der neue Papst ist ein Intellektueller, er studierte neben Theologie auch Philosophie und Mathematik, wie ein Machtmensch wirkt er nicht.
Friede sei mit euch allen!
Über sein Kernanliegen lässt Leo XIV. in seiner ersten Ansprache keinen Zweifel: Frieden.
Gleich mehrfach wiederholt er das. Es gehe ihm um Frieden, Dialog und Einheit. Die Fokussierung auf Frieden erscheint angesichts der Weltlage und innerkirchlicher Spaltungen naheliegend, aber nicht selbstverständlich.
Gerade in den USA, der Heimat des frisch gewählten Papstes, erleben wir starke Polarisierung und Politiker, die mit Weltuntergangsrhetorik die Stimmung aufheizen und gleichzeitig kalte Schockwellen aussenden.
Kein Geringerer als der Herr über mehr als 800 US-Militärbasen (allein ausserhalb der USA), Trumps Verteidigungsminister Pete Hegseth, bezeichnet sich mit stolzer Brust als Kreuzritter. (RefLab berichtet über die «neuen Kreuzritter» noch vor Trumps Wiederwahl.)
Katholizismus trendet
Der neue Papst ist Augustiner, so wie es Martin Luther gewesen ist. Der für den Augustinerorden namensgebende Kirchenlehrer Augustinus ist erklärter Patron nicht nur des neuen Papstes, sondern auch von JD Vance, dem US-Vizepräsidenten. Der Katholizismus trendet derzeit geradezu: in Washington und in Silicon Valley, auch durch den Unterstützer von Vance, Peter «PayPal» Thiel.
Dem öffentlichen Bekenntnis seiner Bekehrung zum Katholizismus gab Vance den Titel: «How I joined the resistance.» Resistance wogegen? Gegen den «Wokismus»? Sollten Linke mit dem NS-Faschismus gleichgesetzt werden, wie das auch die von Vance unterstützte Alice Weidel später tat? Das erinnert an die derzeitige Vereinnahmung Dietrich Bonhoeffers durch rechte Christ:innen.
JD Vance is wrong
Mit der Neuentdeckung des Glaubens als politische Kraft wächst auch die Gefahr der Vereinnahmung, gerade in den USA.
Der neue Papst hat einen eigenen X-Account. In diesem Jahr repostete er gleich mehrfach Kritik an Donald Trump und Nayib Bukele, dem Präsidenten von El Salvador. Robert Prevost verwehrt sich dagegen, dass man sich im Weissen Haus über abgeschobene Migranten lustig macht.
Zu JD Vance postete Prevost auf X: «JD Vance is wrong: Jesus doesn’t ask us to rank our love for others.»
Intellektuelle Redlichkeit
Augustinus’ Prinzip der Ordo amoris hatte Vance zuvor nicht als Liebe zum nächsten Mitmenschen ausgelegt, sondern zuallererst zum eigenen Fleisch und Blut, dann zur Nation – und später, vielleicht, zum Rest der Welt.
Mit dieser eigenwilligen Auslegung hat sich der US-Vize klare Widerworte des bereits todkranken Franziskus eingehandelt, dessen letzter Audienz-Gast Vance bekanntlich war. Auch Franziskus agierte als Korrektiv gegen die Gefahr der politischen Instrumentalisierung der christlichen Religion und ihrer Zurechtbiegung für Machtzwecke.
Die Auseinandersetzung zwischen Vance und Franziskus könnte nur das Vorspiel einer längeren Auseinandersetzung gewesen sein.
Leo XIV. könnte dem Katholizismus in den USA weiter Auftrieb geben, aber zugleich, und das ist wichtiger, Vereinnahmungen und Verzerrungen entgegenwirken – als Verfechter des Glaubens, des Friedens, der demokratischen Gesellschaftsordnung und intellektueller Redlichkeit; gegen eine bereits erkennbare politisch-theologische Vereinnahmung des Christentums, wie wir sie seit längerem auch in Russland erkennen können.
Vielleicht ist es dieser Kampf, der den Namen Leo begründete. Der neue Pfarrer des Zürcher Grossmünsters, Christian Walti, hat in seiner Reaktion auf die Papstwahl eine Brücke zu Zwingli gebaut. «Tut um Gottes Willen etwas Tapferes». Und ergänzt: «Ich freue mich. Zwinglianische Grüsse aus dem Grossmünster an Leo XIV. – Möge die Tapferkeit mit dir sein!» Genau das ist zu hoffen.
Foto: Youtube
3 Gedanken zu „Möge die Tapferkeit mit dir sein! Der neue Papst“
Danke, Johanna, für Deinen Beitrag! Ich erinnere mich auch gern an unser kleines Treffen und Gespräch am Stand auf dem Kirchentag in der vergangenen Woche! Liebe Grüße aus Bremen, Uli
Danke lieber Uli, war sehr nett, dich kennenzulernen! 🙂
Sorry – aber das ist doch einfach erst einmal ganz viel heisse Luft. Einmal mehr auch von Christian Walti, der, wie es scheint, noch nicht realisiert hat, dass er als Grossmünster-Pfarrer nicht zu jedem Thema ein Selfie posten muss. Allzu häufig ist da Narzissmus Vater des Gedankens. Und Reflab… Ihr habt jetzt schön gezeigt, wie viele Konjunktive man in einem Artikel unterbringen kann. Wollen wir nicht einfach einmal abwarten, was der neue Papst bewegt? Erzählen kann man ja viel. Er wird sich an seinen Taten messen lassen müssen, genau wie sein Vorgänger. Dieser sprach zwar gerne von der Bewahrung der Schöpfung… aber was hat er diesbezüglich Zählbares erreicht? Mir ist nichts bekannt. Vielleicht ist es ja einfacher, als wir es gerne hätten: Am Ende ist der Papst – jeder Papst – ein konservativer Mensch. Erwarten wir also nicht zu viel, und lassen wir uns im besten Fall positiv überraschen.