Dein digitales Lagerfeuer
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Die neuen Kreuzritter

«Pete und seine Frau Jennifer haben sieben Kinder, allesamt zukünftige Kreuzritter.» So stellt sich der Autor vor. Und im Buch wird klar, wer die Feinde sind: «Islamism» natürlich, aber nicht nur, sondern ebenso:

«Leftism», «Globalism“, «Genderism» («Toxic Femininity and Beta Males»), «Socialism», «Secularism», «Environmentalism», «Elitism» und «Multikuturalism».

Der letzte Satz des Buches lautet: «Wir sehen uns auf dem Schlachtfeld. Gemeinsam, mit Gottes Hilfe, werden wir Amerika retten. Deus vult!»

Was nach Feindbildern eines verrannten Hassverbrechers wie dem Norweger Anders Breivik klingt, stammt aus dem Buch «American Crusade» aus dem Jahr 2020. Der Autor ist Pete Hegseth. Er ist designierter Verteidigungsminister in der neuen Trump-Regierung.

Wir sehen uns auf dem Schlachtfeld?

Machen wir uns das klar: Diesem Mann könnte bald ein Ministerium unterstellt werden mit einem jährlichen Budget von fast 1000 Milliarden (also einer Billion) Dollar und der Koordinationsmacht über, laut «World Beyond War», mehr als 900 US-Militärbasen in fast 100 Ländern.

Der kriegserfahrene, aber politisch ungeübte frühere Fox-News-Moderator trägt als Brust-Tattoo ein «Jerusalem Cross». Auf dem Arm liess er sich die US-Flagge, diverse Waffen und das «Deus vult» tätowieren.

Die erklärte Lieblingsbibelstelle des womöglich neuen US-Verteidigungsministers, der sich selbst als «extremen Rechten» bezeichnet, ist Matthäus 10,34:

«Meint nicht, ich sei gekommen, Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.»

Repolitisierung des Christentums

Diese Stelle hatte auch mir immer gefallen. Weil sie an einen politisch engagierten Jesus erinnerte. Mutig und politisch auftreten; bei sozialpolitischen Fragen Farbe bekennen; sich mit den «Verdammten dieser Erde» solidarisieren, für Theologien der Befreiung brennen etc. …

Im Zuge der Aufbrüche der 1970er-Jahre formierte sich ein Christentum, dessen Herz deutlich links pochte. Vielleicht ist das eine etwas verklärte, nostalgische Sicht.

Aber dennoch schaute ich lange etwas sehnsüchtig auf diese Zeit. Und zwar angesichts einer Kirche, die im Zuge ihres gesellschaftlichen Relevanzverlusts kleinlaut geworden war, sich politisch immer mehr zurückhielt, aus Angst, es sich mit der Politik und Wirtschaft zu verscherzen.

Ja, ich hoffte auf eine Repolitisierung des Christentums.

Und jetzt ist die Politisierung da. Aber anders als erhofft. Sie kommt vom radikal-rechten Rand.

In atemberaubendem Tempo verschaffen sich nationalistische, homophobe, xenophobe, offen rassistische, sexistische und misogyne Stimmen Gehör. Und sie berufen sich alle auf die Bibel. Und manche auch auf Bonhoeffer.

Deus vult

Via Social Media werden identitäre Theologien ventiliert. Einige, wie Pete Hegseth, propagieren sogar die Rückkehr eines maskulinistischen Kreuzrittertums. White Supremacists und nationalistische Christen in den USA kramen aus dem Kostümverleih das «Jerusalem Cross» heraus oder die Kreuzfahrer-Losung «Deus vult» («Gott will es!» Oder: «Gott verlangt»).

«Deus vult» war ein Schlachtruf mittelalterlicher Kreuzfahrer. Er zielte auf die Rückgewinnung von Gebieten im Nahen Osten; bekanntermassen mittels Einsatz brutaler Militärgewalt und ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung.

Das Kreuzritterwesen, gerade noch Fallbeispiel für christliche Sündenfälle, wird gegenwärtig von religiösen Ultrarechten umgeframt als Ausweis wahrhaft-wehrhaft christlicher Stolzgeschichte.

Stimmen einer extremen Minderheit? Genau! Aber bald schon an Hebeln der Macht.

Und Pete Hegseth ist nicht der einzige. Er sässe, wenn ernannt, neben Impfgegnern, Antiwoken und Antiantifas. In der ersten Amtszeit von Donald Trump stach dessen damaliger Chefstratege Steve Bannon mit seiner eigenwilligen politischen Interpretation des Christentums noch ab.

Heute würde Bannon nur noch einer von vielen sein. Die Bannons haben sich multipliziert.

Antijüdische Zionisten

Hegseth ist nicht nur christlicher Nationalist, sondern auch christlicher Zionist. Er betrachtet Israel nicht als politisches Projekt, sondern als Erfüllung religiöser Prophezeiungen.

«Christliche Zionisten» sehen die USA als gelobtes Land, das zu alter Stärke geführt werden müsse.

Das alte gelobte Land, Israel, betrachten fundamentalistische Kreise dagegen als Stätte eines biblisch prophezeiten endzeitlichen Showdown, der gerade jetzt über die Bühne geht.

In dieser Lesart ist die immer deutlicher werdende Annexion der von Israel besetzen Gebiete gottgewollt und Palästinenser:innen, selbst christliche, sind Feinde Gottes.

Die Solidarisierung solcher «Christen» gilt nur scheinbar Juden und Jüdinnen. Diese sollen nämlich, gemäss apokalyptischer Vorstellungen, im göttlichen Endkampf selbst grässlich untergehen oder sich zum Christentum bekehren.

Obwohl mittlerweile jede Kritik an Israel und der israelischen Führung als antisemitisch gelabelt wird, – Netanjahu bezeichnete die internationalen Haftbefehle gegen sich und Ex-Verteidigungsminister Galant gestern als «antisemitische Entscheidungen» – wird das selten deutlich gesagt: Für Israel-solidarische christliche Zionisten ist die Fantasie der Vernichtung des Judentums konstitutiv – durch endzeitlichen Massentod oder durch Bekehrung.

Ja, es gibt antijüdische Zionisten. Und es sind sogar sehr viele.

Die andere Repolitisierung

Von muslimischen Verantwortlichen und Gemeinden haben wir uns in der Vergangenheit oftmals klarere Positionierungen gegenüber dem Islamismus und Fundamentalismus gewünscht. Die Zeit rückt näher, in der auch wir Christ:innen unsere Stimme erheben und sagen müssen:

«Not in Our Name» (NION)

Wir sind mit schamloser ideologischer Ausschlachtung der christlichen Tradition und Schriften konfrontiert. Und mit militanten Scharfmacher:innen, für die das Christentum keine Friedensbotschaft ist, sondern eine Waffe im identitären Kampf.

Die Nachfahren Bonhoeffers wehren sich gegen seine Vereinnahmung von rechts. Das gleiche müssen auch die Kirchen tun. Wir müssen wieder politisch werden.

Bild von Zsuzsanna auf Pixabay

9 Gedanken zu „Die neuen Kreuzritter“

  1. Ich kann Dir nur zustimmen. U.a. damit die “Anmut der Welt” weiter kommuniziert werden kann. Die Frage ist nur, wie können wir tätig werden, in unseren Gemeinden und Gemeinschaften vor Ort und im Netz?

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    • Danke Mirijam, genau diese Frage treibt uns auch um. Sie ist nicht leicht zu beantworten. Auf jeden Fall genauer hinhorchen, Zeichen wahrnehmen, das Gespräch suchen.

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  2. Zur Anmerkung:
    Der Ausspruch, eigentlich ‘Deus lo vult’, wird in der aktuellen Geschichtsforschung zum Zeitgenössischen Geschehen angezweifelt.
    Es gibt hierzu keine zeitgenössischen Schriftquellen.

    Diese Kreuzzugsromantik steht genauso wenig in einem historischen Zusammenhang (was zur Vereinnahmung angestrebt wird), wie zur christlichen Botschaft, oder gar zu den Leitsätzen christlichen Handelns.

    In der Bundesrepublik sind die Bedingungen zwischen Kirchen und Staat durch das Grundgesetz (Artikel 140) optimal.
    Hierbei fällt den offiziellen Kirchen eine große Verantwortung zu; auch zu solchen absurden Verwerfungen ihre Position richtig zu stellen.
    Und ich denke, in der Schweiz ist es ähnlich.

    Die größte Gefahr, dass sich solche Gruppierungen bei uns festsetzen, besteht darin, wenn wir uns unsere bestehenden Landeskirchen zerschießen lassen.
    So wird demagogisch regelmäßig für ‘mehr Trennung zwischen Kirche und Staat’ geworben, oder gar offen, auch im öffentlich-rechtlichen TV, zum Kirchenaustritt aufgerufen.

    Wenn wir das zulassen, dann müssen wir auch früher oder später mit selbsternannten Kreuzrittern zurande kommen.

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    • Danke für diese Präzisierungen! Meine Intuition ist ebenfalls: Eben noch als lau und langweilig wahrgenommene Mainstream-Christ:innen sind es schon jetzt nicht mehr – weil sie beherzt demokratische Werte hochhalten (anders als der evangelikale Beinahe-Putschist Bolzonaro) und einen sozialethischen Kompass haben. Die Geschichte indes lehrt: Mit dem Erstarken von Populisten droht die Aufweichung von Rändern auch in liberalen Lagern. Es wird zunehmend «hoffähig», was eben noch verpönt war.

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  3. Liebe Johanna
    Ich bin selten der gleichen Meinung wie du, aber mit Menschen, welche nur gleiche Ansichten haben, ergibt sich ja keine richtige Diskussion.
    Nach meiner Meinung ist genau das eine der grössten Schwächen der amerikanischen Kirchen, dass sie Christentum und Politik vermischen. Die Versuchung ist vielleicht gross, (die eigenen) christlichen Überzeugungen politisch zu diktieren und sogenannte christliche Ideen mit politischer Macht durchzusetzen.
    Du schreibst Jesus sei politisch gewesen, meiner Meinung nach hat Jesus nie mit politischer Macht agiert und hat nicht im entferntesten ein politisches Machtsystem aufgebaut. Politik zielt immer auf Macht, ohne kannst du nicht politisieren.
    Da sind Träume von einer linken Kirche genau gleich falsch, wie die Träume von recht- konservativen Kirche, die die «christliche» Weltordnung wiederherstellt.
    Genau das schätze ich an Kirche, dass ich dort sowohl Menschen treffe, die sich an einer 1. Mai Demo daheim füllen, wie auch solche, die am Marsch für`s Läbe teilnehmen. Wenn eine Kirche diese Spannung nicht hat, ist sie aus meiner Sicht tot.
    Ich finde es super, wenn sich Christen politisch engagieren, aber es gibt keine christliche Politik.
    Weiter habe ich das Gefühl dass die Wahlen in den USA euch viel zu sehr beschäftigen. Wahrscheinlich 80% der Weltbevölkerung wird von Demagogen regiert, das belastet euch scheinbar nicht. Unser Nachbarland hat eine politische Elite, die so an der Wirklichkeit vorbei leben, dass eine ganze Nation wirtschaftlich abschifft, dass eine Partei wie die AFD 19% der Wähler hinter sich haben, in den neuen Bundesländern zum Teil 30%. Das sind Tendenzen, die mir Sorgen machen.

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    • Danke, spannend. Mich würde interessieren, in welchen Punkte wir differieren. Zur eigenen Profilschärfung fände ich das spannend. Interessant, was du zu Jesus und Politik sagst – er war antikolonial, keine Frage, aber gerade nicht auf eine konfrontative Art. Das sehe ich auch so. Eher wie Tai Chi. Diese weichen, aber unbezwingbaren Griffe von der Seite. Wäre Jesus nicht doch auf eine Weise sehr politisch gewesen, hätte man ihn wahrscheinlich nicht bis aufs Blut verfolgt. Das Christen-Tum kann verwirrenderweise sowohl politisierend als auch depolitisierend wirken. Marsch fürs Leben geht für mich nicht; das erlebe ich als politisiertes Christentum, das ein wichtiges Anliegen aufgreift, aber um es im identitären Kulturkampf in Stellung zu bringen. Dass es Anhänger:innen dabei tatsächlich auch um Lebensschutz geht, würde ich denen dennoch nicht absprechen. Ein mir nahestehender Mensch ist aktiv in der Bewegung inkl. Trumpverehrung, QAnon, Chemtrails etc. alles was so an Videos angespült und im rechtschristlichen Milieu geteilt wird. Und das verfestigt sich dann als eine Art neuer Glaube. Es kostet mich Riesenkraft, weiter im liebevollen Austausch zu bleiben.

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  4. Liebe Johanna
    Danke für deine Antwort. Du fragst in welchen Punkten wir differieren? Ich würde mal sagen in fast allen Themen, die ich mir vorstellen kann. Und ich finde das gut so, wäre schlimm, wenn alle gleich denken würden wie ich.
    Nochmals zur Frage, ob Jesus politisch war. Da bin ich immer noch der Meinung, dass Jesus nie irgendwie politisiert hat. Wenn es eine Gruppe gegeben hat, die Jesus nicht beachtet hat, dann war es die politische und religiöse Elite dieser Zeit. „Gebt dem Kaiser was dem Kaiser gehört, gebt Gott, was Gott gehört“, eine total unpolitische Aussage. Eigentlich hätte er sich da ja schon für die ausgebeutete Bevölkerung stark machen müssen.
    Was Jesus, aus meiner Sicht, hingegen war, würde ich mal mit radikal umschreiben. Da kommt einer, biedert sich nicht an die religiöse Elite an, gewinnt aber die Massen. Und behauptet von sich, dass er Gottes Sohn ist, dass niemand zum Vater kommt, als durch ihn, etc. Da lässt er schon nicht viel Spielraum, entweder ist er das, was er von sich behauptet, oder er ist ein grössenwahnsinniger, verrückter Hochstapler und Verführer. Einfach so ein faszinierender Gutmensch geht mit dieser Selbstoffenbarung nicht mehr. So einen würden wir wahrscheinlich auch ans Kreuz nageln.
    Ein weiteres Thema, dass wir wahrscheinlich diametral anschauen, ist aus meiner Sicht, das Thema Spannung. Wenn ich einen total entspannten Körper anschauen will, muss ich in Leichenhaus. Und auch eine spannungsfreie Kirche ist tot. Und da sind, nach meinem Empfinden, ganz fundamentalistische und ganz liberale Kreis ganz nahe beisammen, beide wollen die Spannung einseitig auflösen. Ich mach mal ein ganz einfaches Beispiel mit „Sünder“. In extrem fundamentalistischen Kreisen existiert Sünde nicht, weil sie entweder verheimlicht wir, oder wenn das nicht mehr geht, die Sünder ausgeschlossen werden. In sehr liberalen Kreisen gibt auch das auch nicht, aus dem einfachen Grund, weil es keine Sünde mehr gibt. Wahrscheinlich hat dich dieser Ausdruck beim Lesen gerade “schudered”. In beiden Fällen ist die Spannung aufgelöst…
    Aber das ist jetzt eventuell eine Unterstellung von meinerseits.

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