Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 5 Minuten

Füttere deinen Dämon! Böse beten (3)

Kekse essen mit dem Todfeind

Ist es vorstellbar, mit einem Ungeheuer Tee zu trinken und Kekse zu essen? Wohl kaum.

Genau das jedoch schlägt eine ungewöhnliche Meditationsmethode vor: «Feeding your demons» – Füttere deine Dämonen.

Die Methode «Feeding your demons» gehört zum Kontraintuitivsten, das man sich denken kann, und leuchtet trotzdem ein.

Entwickelt wurde die mentale Übung von einer Amerikanerin, der spirituellen Lehrerin und Buchautorin Tsultrim Allione. Die Buddhistin wurde um 1970 herum als eine der ersten amerikanischen Frauen zur Lama ordiniert.

Ihr Bestseller «Feeding Your Demons» trägt den Untertitel «Ancient Wisdom for Resolving Inner Conflict» – alte Weisheit zur Lösung innerer Konflikte.

Allione greift bei der Erläuterung dessen, worum es ihr geht, zu einem Bild aus der Mythologie, das für ausufernden Schrecken steht: die Hydra.

Bei dieser Drachenart wachsen, wenn das Ungeheuer einen Kopf verliert, sofort zwei neue Köpfe nach. Man kann es also nicht, wie das bei durchschnittlichen Märchendrachen der Fall ist, in der direkten Konfrontation besiegen.

Drache mit vielen Köpfen

Wenn man die Hydra bekämpft, macht man sie nur noch mächtiger. Wen man wegläuft, folgt sie wie mit Armen eines über die Ufer tretenden, alles verschlingenden Flusses. Und allein schon der Hauch der Wasserschlange kann töten.

Das Motiv des Wassers – das griechische «hydra» bedeutet Wasser – lässt sich als Hinweis lesen, dass sich das entsetzliche Wesen aus mächtigen Strömen nährt, auch aus dem Unbewussten.

Eine Hydra kann zum Beispiel eine furchtbare Erkrankung sein. Etwas, so gross und niederschmetternd wie ein herabfallender Berg. Etwas, das dich vollkommen erschlägt und lähmt.

Allione berichtet von einem Bekannten, bei dem Aids diagnostiziert wurde. Es sei so entsetzlich für den Mann gewesen, dass er nicht einmal hinsehen konnte. Er versuchte, sich vor der Realität zu verbergen.

«Was willst du von mir?»

Die Methode «Feeding your demons» nach Tsultrim Allione schlägt das Gegenteil vor: Hinschauen, auch wenn es unerträglich ist, und noch mehr: Sich in das schreckliche Gegenüber einfühlen und dieses sogar ansprechen und fragen: «Was willst du von mir?»

Die Antwort ist natürlich nicht überraschend: «Dich auffressen!»

Genau das tut der Angstgegner ohnedies schon. Er ist ja so entsetzlich, weil er in die Integrität des Erkrankten hineingreift. Er droht, sein Opfer bei lebendigem Leibe aufzufressen und zudem auch noch seelisch auszuzehren.

«Angst essen Seele auf»

So lautet der Titel eines Arthouse-Films des Regisseurs Rainer Werner Fassbinder aus den frühen 1970ern.

Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard spricht in Anlehnung an das 11. Kapitel des Johannes-Evangeliums von der «Krankheit zum Tode»; einem Sterben, das schlimmer ist als das körperliche und bei dem alle Zuversicht, alle Hoffnung, alle Kraft schwindet und sich Verbitterung in die Seele einschleicht: der spirituelle Tod.

«Wie schmecke ich dir?»

«Wie schmecke ich dir?», so soll man nach Alliones Methode seinen ungewöhnlichen Gast fragen. Die Antwort wird in etwa lauten: «Süss, wie Honig!». Und dann gibt man sich seinem schlimmsten Feind wie einen Keks oder ein Stück Melone zur Nahrung.

Der Gegner wird sanfter, beinahe süss.

Die mentale Übung «Feeding your demons» schlägt also eine Art umgekehrtes Totem-Mahl vor: Der Gegner wird nicht erledigt und einverleibt, um sich dessen Kraft anzueignen, sondern umgekehrt: Ich biete mich meinem Feind als Speise an.

Alliones Methode erscheint radikal, auch befremdlich. Wie bereits bei vorangegangenen Teilen der Serie «Böse beten» möchte ich keine Praxisempfehlungen geben. Ich möchte vielmehr zum Nachdenken über Meditationsformen anregen, zur Meta-Meditation. Auch mich selbst.

Den Ausgangspunkt für die von Allione entwickelte Methode bildet traditionelles buddhistisches Wissen, aber auch christliche Mystik klingt an («Selbstaufopferung») oder C.G. Jungsche Tiefenpsychologie: «Integriere deine Schatten!»

Man kann vielleicht auch eine radikale Interpretation des Gebots «Liebe deine Feinde!» in dieser Meditationsform sehen.

Gewaltfreier Widerstand

Die Grundhaltung erinnert an die Philosophie und Politik des gewaltlosen Widerstandes. Diese wurde im 20. Jahrhundert allen voran von Mahatma Gandhi verkörpert, dem geistigen und politischen Anführer der dekolonialen indischen Unabhängigkeits- und Friedensbewegung.

Tatsächlich nennt Allione Gandhi als eine ihrer Inspirationsquellen. Von Gandhi ist überliefert, dass er Feinde zum Tee einlud, etwa den Leiter eines Polizeikommandos, das ihn verhaften sollte. Manchmal ist es der pazifistischen Galionsfigur gelungen, Feinde als Verbündete zu gewinnen.

Kann so etwas auch mit dem Dämon am Teetisch geschehen?

Aus dem Feind könne ein «ally», ein Verbündeter werden, meint Allione. Dann arbeite dessen Kraft nicht mehr gegen, sondern für einen. Als Verbündeter verliere der Feind mehr und mehr seinen lähmenden Schrecken.

Dämonisch = das Abgespaltene

Vielleicht muss es nicht gleich eine Einladung zum Tee sein. Vielleicht reicht es fürs erste, eine Erkrankung als Teil von einem selbst zu akzeptieren. Auch wenn etwa im Fall von Krebs allein schon die medizinische Klassifizierung als «bösartig» die Abspaltung nahelegt.

Es ist gerade das Abgespaltene, das ein (dämonisches) Eigenleben entwickelt.

Man kennt das auch aus dem religiösen Kontext. Werden unliebsame Seelenanteile abgespalten, wittert man am Ende überall Dämonen und Teufel, bloss nicht bei sich selbst.

 

Leuchtet euch die Methode «Feeding your demons» ein? Oder befremdet sie eher? Ist es etwas, das einem in Extremsituationen helfen könnte? Wie immer: Nutzt gern die Kommentarspalte.

 

Lecture von Tsultrim Allione auf Youtube.

 

Vorangegangene Teile der Serie «Böse beten»

 

Teil 1: Versuch‘ es mit Fluchpsalmen!

Teil 2: Ich mach‘ aus dir ein Mandala!

 

Foto von Intricate Explorer auf Unsplash

1 Kommentar zu „Füttere deinen Dämon! Böse beten (3)“

  1. Vor einiger Zeit habe ich diese Meditationsform einmal ausprobiert mit Hilfe dieser Anleitung: https://m.youtube.com/watch?v=oejlX8CsmbA&feature=youtu.be. Dort ist auch die Begebenheit von Ghandi und der Einladung zum Tee erzählt.
    Es war eine interessante Erfahrung, vor allem der Perspektivwechsel und die Visualisierung des „Dämons“. Das hat mir die Angst genommen. Die Vorstellung, mich als Speise hinzugeben, finde ich allerdings wirklich befremdlich und darauf konnte ich mich nicht so recht einlassen.

    Mit den biblischen Texten zu Dämonenbefreiungen aus dem neuen Testament im Hinterkopf steht für mich da ein „Aber“ im Raum. Denn ich sehe dort nicht, dass Menschen zu Integration oder zum Füttern der Dämonen aufgefordert werden, sondern dass Jesus sie austreibt. Aber, ja, dieses Liebesgebot mit Blick auf die Feinde gibt es auch…
    Für mich ein Thema mit einer Spannung,die ich nicht aufzulösen vermag.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

RefLab regelmässig in deiner Mailbox

RefLab-Newsletter
Podcasts, Blogs und Videos, alle 2 Wochen
Blog-Updates
nur Blogartikel, alle 2 bis 3 Tage