Abstimmungsergebnisse
Die Kriegsgeschäfte-Initiative und die Konzernverantwortungs-Initiative sind gescheitert. Erstere deutlich am Volksmehr, letztere am Ständemehr. Der Abstimmungskampf wurde ziemlich erbittert geführt. Eine Menge Geld war im Spiel, Lobbisten und Marketing-Agenturen liefen zur Hochform auf. Manchen Parlamentarier*innen, die in ihrer Freizeit fleissig Mandate in den Verwaltungsräten Schweizerischer Grosskonzerne sammeln, waren die Interessenkonflikte förmlich ins Gesicht geschrieben.
Die Wahlbeteiligung fiel dann freilich eher mittelprächtig aus. Im Falle der KVI tritt jetzt ein vergleichsweise zahnloser Gegenvorschlag in Kraft, der ganz sicher keine Signalwirkung in den Rängen internationaler Konzernleitungen haben wird.
Problembewusstsein
Ich zögere etwas mit der Erklärung dieses Abstimmungsergebnisses. Seit Jahren wird in der Öffentlichkeit über die Ungerechtigkeiten globaler Konzernriesen geklagt; hunderte kritischer Videos machen auf social media die Runde – sie führen uns die geschundenen Kinder in den Cobaltminen im Kongo vor Augen, zeigen die veräzten Hände und vergifteten Lungen der Frauen in chinesischen Turnschuhfabriken, oder die im Zuge der Lithiumgewinnung verwüsteten Landstriche Südamerikas.
Man wird nicht sagen können, dass das gesellschaftliche Problembewusstsein und die kollektive Betroffenheit nicht vorhanden gewesen wäre, um im Namen der Menschlichkeit ein Zeichen zu setzen.
Aber auch wenn die 50,7% Ja-Stimmen aus dem Volk für die KVI durchaus beachtlich sind, so hat es schlussendlich doch mal wieder nicht gereicht.
Unüberschaubarkeiten
Und ja, natürlich:
Was über Jahre hinweg den Beziehungsstatus junger Menschen auf Facebook dominiert hat, gilt zweifellos auch für solche Abstimmungsvorlagen: »Es ist kompliziert«.
Die Welt ist unüberschaubarer denn je. Unser Leben ist Teil unzähliger ökonomischer, ökologischer, sozialer Systeme, wir alle hängen an einem gigantischen Mobile und können unmöglich absehen, was alles passiert, wenn wir an einem der Fäden ziehen.
Würde ein herzhaftes Ja zur Kriegsgeschäfte- oder Konzernverantwortungs-Initiative überhaupt irgendetwas Positives bewegen? Würden damit zweifelhafte Machenschaften von Unternehmen unterbunden, oder führt der Vorstoss nur dazu, den Wirtschaftsstandort Schweiz zu schwächen, ohne dass den Betroffenen wirklich geholfen wird? Würden andere Staaten dem Schweizer Beispiel folgen – oder die Gelegenheit gerade nutzen, den fraglichen Firmen im eigenen Land ein neues, steuergünstiges Zuhause zu bieten?
Beharrungswille
Wirklich absehen kann das letztlich keiner.
Vor der Komplexität globaler Zusammenhänge muss jeder irgendwann die Waffen strecken. Und wenn die Dinge unüberschaubar werden, dann neigen Menschen dazu, im Status Quo zu verharren.
Im unüberschaubaren Terrain des modernen Lebens verspüren die Wenigsten den Reflex, einen Schritt ins Unbekannte und potenziell Gefährliche zu wagen. Vor allem dann nicht, wenn man mit den herrschenden Zuständen insgesamt doch sehr gut gefahren ist.
Der Default-Mode des zufriedenen Menschen ist das Verharren im »Bewährten«.
Wenn nicht klar ist, ob aus den angedachten Schritten Nachteile für uns erwachsen könnten… dann lass uns doch erst mal nichts verändern.
Gesamtlösungen
Vielleicht tue ich uns Schweizer*innen mit dieser Einschätzung unrecht.
Viele haben die beiden Initiativen wohl auch abgelehnt, weil sie sie für ungenügend durchdacht hielten. Weil sie überzeugt sind, dass eine Einflussnahme auf international tätige Unternehmen auch auf internationaler Ebene erfolgen muss.
Den Pharmariesen, Rohstoffgiganten und Technologie-Imperien lässt sich nicht mit einer kleinstaatlichen Volksinitiative beikommen. Da müssen kontinentale oder noch besser globale Massnahmen greifen. Da braucht es europäische Richtlinien und Überwachungsorgane, sonst werden die Probleme nur auf der Landkarte hin und her geschoben…
Ich kann das verstehen. Aus ebensolchen Überlegungen heraus ist auch mir die Entscheidung im Blick auf die besagten Initiativen gar nicht leicht gefallen. Natürlich sind wir dann aber bereits wieder dabei, Verantwortung zu delegieren – und darauf zu warten, dass sich eben jene für Veränderungen einsetzen, die von den gegenwärtigen Zuständen mindestens genauso profitieren wie wir.
Nächstenliebe
Ich muss alle enttäuschen, die von mir auf den verbleibenden Zeilen eine Lösung jener Spannungen erwarten, die gerade unsere westliche Gesellschaft durchziehen. Der Zwiespalt von persönlicher Betroffenheit und fehlender Opferbereitschaft.
Das Oszillieren zwischen Problembewusstsein und Entscheidungshemmung, zwischen der Überzeugung, dass »ganz weit oben« wichtige Weichen gestellt werden sollten, und der beschämten Einsicht, dass ich damit mitnichten aus der Pflicht genommen bin, das Gute auch für jene unter meinen »Nächsten« zu suchen, denen ich wohl nie begegnen werde.
Ich kann das alles nicht auflösen. Nicht nur, weil mir hier der Platz dazu fehlt. Sondern weil ich selber mit diesen Spannungen lebe und an ihnen leide. Aber ich kann mir das Bewusstsein wachhalten, dass es auch und gerade inmitten der Komplexitäten unserer Zeit manchmal richtig sein kann, einen Schritt ins Ungewisse zu wagen, der mich etwas kosten könnte – der aber wenigstens die leise Hoffnung in sich trägt, das Leid der Geschundenen und Vergessenen dieser Welt etwas zu lindern. Und manchmal finde ich den Mut, diesen Schritt auch wirklich zu tun. Nicht nur beim Ausfüllen der Abstimmungsunterlagen.
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