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 Lesedauer: 6 Minuten

Die Waschlappen der Kirche

Missbräuche, Vernachlässigung, Vertuschung: Wer bei Google News «Kirche» eintippt, findet kein Evangelium, keine «Gute Nachricht», sondern überwiegend Bad News. Ein Massengrab wird bei einer katholischen Schule für indigene Kinder in Kanada entdeckt, doch die Kirche hält Unterlagen geheim, die zur Klärung beitragen könnten. Im Erzbistum Köln läuft eine Untersuchung zum Kindesmissbrauch und dessen «systeminhärenten» Vertuschung.

Im Gegensatz zu Kirchen betreiben Unternehmen heute aufwändig «Greenwashing» oder stellen aktuell zum «Pride Month» ihre politische Korrektheit ins Schaufenster. Selbstoptimierung ist heute etwas für Agnostiker*innen. Identität und Angenommensein wird durch Brands vermittelt.

Die Kirche hat ein Problem mit Problemen

Hingegen brauchte es viel, sehr viel Kampf von vielen einzelnen Menschen, damit die Missbrauchsfälle aufgeklärt werden. Und die Kirche zögert immer noch an vielen Orten, Transparenz zu schaffen und Schuld zuzugeben. Die Überlebenden werden nicht ernst genommen, ihre Erfahrungen heruntergespielt und Aufarbeitungs- und Heilungsprozesse so verunmöglicht.

Es werden Strukturen beibehalten, welche Missbrauch begünstigen können. Und die «Bad News» überschatten das positive Engagement vieler, die integer und mit viel Herzblut für ihre Mitmenschen da sind.

Obwohl die Botschaft von der Gnade so nötig und heilsam ist wie eh und je, kommt sie von den Kirchen nicht bei den Menschen an.

Und das hat zutiefst mit dem widerstrebenden Umgang mit Problemen zu tun, der in den Missbrauchsskandalen seine schlimmsten Auswirkungen zeigt. Um es mit einem biblischen Bild auszudrücken: Häufig lenkt die Kirche den Fokus auf die Splitter im Auge der Gläubigen, also darauf, was sie ihrer Ansicht nach falsch machen, ignoriert aber den Balken im eigenen Auge. [1]

«Kirche ist nun mal kein Museum für Heilige»

Die Kirche hat ein Problem mit Problemen. Negatives wird sehr ungern thematisiert. Und wenn, gibt es zwei äusserst problematische Strategien: Entweder, es wird geistlich gedeutet. Wenn etwas schief läuft, wird nicht untersucht, wo möglicherweise falsche Entscheidungen getroffen wurden, ungeeignete Menschen in Machtpositionen sitzen oder wo dilettantisch gearbeitet wurde. Sondern die Schuld wird dem «Teufel» zugeschoben, der die Kirche Gottes angreift. Man sieht sich selber als Opfer und verhöhnt damit diejenigen, die es tatsächlich sind.

Die zweite problematische Strategie ist ein falsches Verständnis von Gnade. Gott vergibt ja alle Schuld, also sollten geschädigte Menschen das auch tun. Da fallen Sätze wie: «Die Kirche ist voller unperfekter und fehlbaren Menschen – sie ist ein Krankenhaus für Sünder, kein Museum für Heilige.» (geäussert von einer Privatperson in einem sozialen Netzwerk).

Diese Argumentation ist wie ein unangenehm feuchter, fleckiger und schon etwas stinkender Waschlappen.

Taugt nicht dazu, wirklich sauber zu machen. Ebensowenig hilft ein falsches Verständnis von Gnade, in der Kirche gerechte Verhältnisse zu schaffen.

«Busse tun» statt «sich entschuldigen»

Was sich Überlebende des Missbrauchs, aber auch Kirchenmitglieder und die breite Öffentlichkeit wünschen, wäre, dass die Verantwortlichen für die Fehler hinstehen. Die religiöse Bezeichnung für diesen Prozess lautet «Busse tun»: Ein Begriff, der im heutigen Sprachgebrauch allenfalls noch in spöttischer Form gängig ist. Dabei wäre Busse ein sehr brauchbares Konzept: Es umfasst Reue, die Bitte um Vergebung, aber auch persönliche Veränderung und Weiterentwicklung.

Der jüdische Weise Maimonides stellte im 12. Jahrhundert eine Anleitung für den Umgang mit Fehlern auf, die Geschädigte und ihre Verletzungen maximal würdigt und gleichzeitig auch für den oder die Fehlbare Heilung einleitet. Der Buss-Prozess lässt sich in vier Dimensionen gliedern. Ziel ist es, den gleichen Fehler nicht noch einmal zu begehen.

1. Vergehen zugeben

Die erste Dimension betrifft die Anerkennung dessen, was falsch gemacht wurde. Dies soll mindestens so öffentlich geschehen wie das Vergehen selbst, also sowohl vor der geschädigten Person, als auch vor Zeug*innen sowie vor Gott. Es geht in diesem Schritt nicht in erster Linie darum, Reue zu zeigen oder um Verzeihung zu bitten. Sondern darum, das Geschehene zu artikulieren, zu beschreiben, und anzuerkennen, welcher Schaden dadurch entstanden ist.

Formulierungen wie «falls ich dir damit wehgetan habe» oder «wenn stimmt, wie du es wahrgenommen hast» sind tabu. Man übernimmt (ggf. auch juristisch) Verantwortung. Die eigene Fehlbarkeit kann nicht mehr verdrängt oder beschönigt werden.

2. Veränderung

Die zweite Dimension umfasst das Anstossen einer persönlichen Veränderung bei dem Menschen, welchem der Fehler zuzuschreiben ist. Sei es, dass man sein Kind im Streit unfair behandelt hat, jemandem etwas Falsches nachgesagt hat, oder im grösseren Stil kriminelle Handlungen begangen hat: Welche Anstrengungen müssen unternommen werden, um zu einem Menschen zu werden, der empathischer, gesunder, freundlicher, achtsamer mit anderen umgeht?

Wer eine Schuld eingestehe, aber ohne die Absicht, sie in Zukunft nicht mehr zu begehen, sei wie jemand, der zwar das rituelle Bad vornehme, dabei aber noch eine tote Echse oder eine tote Schildkröte in der Hand halte, schreibt Maimonides.

3. Wiedergutmachung

Die dritte Dimension dient dazu, den Schaden, soweit es geht, wiedergutzumachen. Wie das geschieht und ob es überhaupt möglich ist, hängt natürlich stark davon ab, was genau passiert ist. Dieser Schritt umfasst auch das Erfüllen einer allfälligen juristischen Strafe. Auch freiwillige Arbeit oder Spenden zugunsten von Prävention oder Opferhilfe gelten als Wiedergutmachung, wenn eine solche nicht direkt möglich ist.

4. Bitte um Vergebung

Erst jetzt wird die geschädigte Person um Verzeihung gebeten. Unter Umständen dauert es sehr lange, bis Vergebung erfolgen kann, und sie darf auf keinen Fall erwartet werden. Studien zeigen aber, dass aufrichtige Reue den Zorn und Rachegefühle auf Seiten der Verletzten mindert und die Bereitschaft, zu vergeben, erhöht.

Müsste es nicht gerade die Kirche besser wissen?

Leid ungeschehen zu machen, ist nicht möglich. Auch nicht in den zahlreichen Missbrauchsfällen, in die die Kirche verwickelt ist und die aktuell ans Licht kommen. Aber mit halbherzigen Entschuldigungen, zögerlichen Zahlungen an die Überlebenden und neuerlichen Vertuschungsaktionen wird neues Leid erzeugt. Das Gegenteil also davon, was Busse erreichen will: dass die gleichen Fehler nicht wieder und wieder gemacht werden.

Man könnte meinen, gerade die Kirche wisse es besser. Doch diese Erwartungen sind längst enttäuscht.

 

[1] Ergänzung zum Thema: Im Bistum Chur gibt es seit 2020 zwei Präventionsbeauftragte, Karin Iten und Stefan Loppacher. Hier ein gutes Interview mit den beiden über strukturelle Hintergründe von sexueller Ausbeutung und Präventionsmöglichkeiten.

Um den ungesunden Umgang mit Problemen im persönlichen Glauben geht es im aktuellen Video der Autorin: «Probleme religiös deuten? Bitte nicht!»

Photo by Ruan Richard on Unsplash

2 Kommentare zu „Die Waschlappen der Kirche“

  1. Jürgen Friedrich

    Versucht es doch mal mit Reimen – statt mit den ewigen Ungereimtheiten.

    Singen – und Musik allgemein –
    ist Ausdruck lebendigen Lebens
    in der Gegenwart allein
    und darum keinesfalls vergebens,
    lasst überaus vergnügt uns sein !

    GEIST DOMINIERT
    Jürgen Friedrich
    (F r e e w a r e)

    Werden, Vergehen, nur Zeit bleibt bestehen?
    Das heißt doch rechts mit links verdrehen
    und macht klar, dass keiner spürt,
    w i e man den ehrt, dem’s gebührt!

    Wer Urknall-Abfall lachen macht,
    damit mal was im Weltall lacht,
    hat selber großen Spaß am Lachen.
    Darum macht er solche Sachen.

    LEBEN, denkt der Mensch beschränkt,
    das Leben sei ihm ja geschenkt. –
    Dieser Irrtum wird verziehen,
    wenn DU einsiehst: NUR GELIEHEN.

    Wer totem Sternstaub Leben leiht,
    hält dennoch ein Geschenk bereit:
    Aus seinem Füllhorn Ewigkeit
    schenkt er jede Menge Zeit.

    Zukunft p l u s Vergangenheit,
    d a s macht zusammen a l l e Zeit.
    Die Gegenwart – genau dazwischen –
    tut nur so, als ob sich beide in ihr mischen.

    Gegenwart ! Nur h i e r lebt Leben !
    Ohne sie . . . kann es nichts geben ! !
    Sie ist — und bleibt — in Reinkultur
    göttliche Gedankenspur.

    Zeit reimt – auf sehr subtile Art –,
    dass der Mensch sich selber narrt,
    wenn er S p u r e n höher schätzt,
    als den zu ehren, der sie setzt.

    Sie ist das Schlüssel-Element,
    das in unseren Herzen brennt
    als Kern-Begriff von Illusion
    in Wissenschaft und Religion.

    Darum ich zu sagen wage:
    „Gegenwart ist ohne Frage
    – sowohl nachts als auch am Tage –
    des Schöpfers persönlichste Ansage!“

    Verwechsel nicht mehr rechts und links!
    Bedenk den Zeit-Faktor, der bringt’s:
    Zu rechter Zeit an rechter Stelle
    beweist sich Gott, die Daseins-Quelle.

    18.6.21

  2. Willigis Jäger definiert drei Wege zu Gott: „Dem Göttliche kann man sich auf verschiedene Weise näheren – Die institutionelle Ebene: Der Weg über den Intellekt. Wir können uns Gedanken machen über Gott und die Welt. Gott wird gesehen als der Schöpfer und machtvolle Herrscher. Ihm gilt es zu gehorchen. Die intellektuelle Ebene: Der Weg der Religion. d.h. der Weg des Kultes, des Ritus, der Zeremonie, der Sakramente und der Weg des Studiums der Heiligen Schriften. Die mystische Ebene: In ihr kommen die Egokräfte und die Ichaktivität zur Ruhe. Das Ich soll schweigen, damit das Auftauchen kann, was die Mystik das «wahre Wesen» nennt. Jesus nennt es Reich Gottes. «Das Reich Gottes ist in euch» sagt er.“
    Eine Firma muss nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen geführt werden, das gilt auch für die Kirche. Dienstleistungen gegen Geld. Etwas überspitzt gesagt, der/die PfarrerInn betet für uns. Die Kirche bewegt sich auf der ersten und zweiten Ebene, wie unsere Gesellschaft, wie wir normalen Bürgerinnen und Bürger. Macht, Geld und Sex sind unserer Treiber und bestimmen unser Verhalten.
    Wenn wir die mystische Ebene betreten brauchen wir die Kirche nicht mehr, wir müssen selber beten. Wir tragen aber die volle Verantwortung für unsere Handlungen. Es wäre aber schön wenn die Kirche diesen Weg – u.a. mit Meditation und Kontemplation – auch vermehrt beschreiten würde.
    Zitat des katholischen Theologen Karl Rahner (1904 bis 1984). «Der Mensch der Zukunft wird ein Mystiker sein, oder er wird überhaupt nicht mehr sein» Ist doch eine spannende Aussage! Wo steht die Kirche, wo stehst Du? Wohin bewegen wir uns?

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