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 Lesedauer: 7 Minuten

Das Unbehagen in der Sprache

Sprache ist ein System aus «arbiträren», also beliebigen Zeichen! So lernt man/frau es in Strukturalismus-Seminaren. Und es gibt hinreichend Belege für die Richtigkeit der These. Sprachwissenschaftler wie der Schweizer Ferdinand de Saussure oder der Russe Roman Jacobson haben sie erbracht. Die Betonung liegt auf System. Substanzielle Veränderungen innerhalb der Sprache betreffen das Gesamtsystem. Wurden z.B. Diphthonge (Doppellaute) eingeschliffen, veränderten sich auch Monophthonge und umgekehrt.

Man kann sich Sprache ein bisschen wie eine Maschine vorstellen, eine Symbolmaschine. Allerdings ist diese «Maschine» so komplex gebaut und dynamisch, dass es ans Wunderbare grenzt und kein Mensch dieses System bis in seine kleinsten Details und Dynamiken überblicken kann.

Seit einigen Jahren wird an der Sprachmaschine viel herumgeschraubt, verbessert, verändert, gesteuert, manipuliert. Es hat sich offenbar Misstrauen eingeschlichen: Ist unsere Sprache, so wie sie ist, o.k.? Oder sind in ihre Lexik und Matrix, also Grammatik, Tendenzen eingelagert, denen wir entgegensteuern sollten?

Die Unsicherheit hat längst auch das theologische Feld und die Bibel erfasst. Theologinnen und Theologen, die mir besonders sympathisch sind, haben sich alternierende Formen von ER und SIE, IHM und IHR angewöhnt, wenn sie das höchste Wesen adressieren, das nicht nur nach christlicher und jüdischer Vorstellung alles geschaffen hat: den Himmel, die Erde, den Regen, die Zweibeiner, das Moos – und das wir «Gott» nennen, wahrscheinlich abgeleitet aus der indogermanischen Wurzel «gheu-» (rufen, anrufen). Dann heisst es einmal «der Gott» und im nächsten Satz oder Halbsatz «die Gott».

Der Göttin

Ich verstehe diese alternierende Form als spielerische Geste. Trotzdem muss ich gestehen, das mir beim Lesen öfter schwindlig wird. Auch bleibe ich an Formulierungen hängen. Es geht mir wie Evelyne Baumberger, die kürzlich weibliche Pronomen für Gott zum Thema eines nachdenklichen RefLab-Vlog machte, der v.a wegen der Feststellung, Gott sei womöglich «queer», kontroverse Reaktionen provozierte.

Der christliche und jüdische Gott entzieht sich jeglicher Bestimmbarkeit. Nichts wäre absurder als eine Festlegung auf Attribute wie «männlich», «weiblich», «sächlich», «transgender» oder «postgender».

Aber auch «queer» erscheint verquer, ist es doch keine den Geschlechtern übergeordnete Kategorie, sondern unlöslich verbunden mit sexuellen Minderheiten und ihrem beschwerlichen Kampf um gesellschaftliche Anerkennung.

Ich warte, wenn ich um gendergerechte Sprache bekümmerte theologische Texte lese, immer darauf, dass auch ein «der Göttin» oder schlicht ein erlösendes «die Göttin» eingeflochten wird, was aber meistens nicht geschieht. Tatsächlich scheint die gendergerechte theologische Sprache an dieser Stelle an eine Blockade zu stossen. «Göttin» ist mit vorchristlichen Religionen und Kulten verbunden, die traditionell bekämpft wurden, oder mit Esoterik, Schamanismus etc… Im Protestantismus ist zudem der Umweg über die Gottesmutter als weibliche Identifikationsgestalt und Ventil blockiert.

Sprachspiele sind lustig und können geistreich wirken, solange nicht eine tatsächliche Verunsicherung eintritt und ich am Ende nicht mehr weiss, wohin ich meine Gebete adressieren soll oder kann.

Jesus sagte ja laut Überlieferung «Abba», Vater. Ist das auch ein Problem? Das «Unser Vater» ist vielen Leuten ohnedies bereits verleidet. Vielleicht fange ich an, mich im Zwiegespräch mit Gott, wie mit meiner Friseurin, die mich beharrlich siezen möchte, um bestimmte Anredeformen einfach herumzudrücken.

Writing Culture Critique

Bei neueren Sprachregelungen geht es häufig um Gendergerechtigkeit, rassismusbereinigte Dialoge, gewaltfreie Wortwahl, die Ausmerzung abwertender Stereotypisierungen und die Verabschiedung diskriminierender, minderheitenfeindlicher Rede. Dahinter steckt die «poststrukturalistische» Annahme, dass sich mit der Sprache auch Gesellschaftsstrukturen verändern lassen. Für diese Hypothese sind schwerer Belege zu erbringen als für die grundlegende Strukturförmigkeit der Sprache, aber ausgeschlossen ist es nicht.

Seit Ende der 1960er-Jahren sind in den Kultur- und Sozialwissenschaften Kritikansätze etabliert worden, die gezielt bei Sprache ansetzen. In den 1980er-Jahren entwickelte sich die einflussreiche «Writing Culture Critique», die von der angelsächsischen Anthropologie ausgehend auf andere Wissenschaftsfelder ausstrahlte. Im Fokus von Forschungen standen nicht mehr die kulturell, ethnisch oder religiös «Anderen», sondern Stereotype, Interpretationen und Texte über die Anderen.

Der poststrukturalistische Ansatz hat die Lehrsäle verlassen und ist in den Alltag migriert. Er hat den Weg aus akademischen Schriften in Magazine, Blogs, Faltblätter von Behörden gefunden. Wenn wir Sprache «gendern», stellen wir uns in diese Traditionslinie, die eine Veränderung von Mindsets mittels sprachlicher Sensibilisierung ansteuert und zugleich tradierte Formen «dekonstruiert».

Seit Kurzem setzt sich zusätzlich zum Gender-Sternchen und der Binnen-Majuskel die «Gender-Pause» durch: eine Pause innerhalb von Worten, fast wie ein kleiner Schluckauf, um anzudeuten, dass die weibliche Form mitgemeint ist.

In Deutschland wenden inzwischen sogar Sprecher*innen der Abendnachrichten diese neue Form an. Es ist wie bei den Sternchen: Manche finden es cool, anderen ist es ein Graus. Der Spalt verläuft entlang politischer Haltungen wie auch der Generationen; in der Regel tun sich jüngere Leute mit neuen Sprachregeln leichter als ältere.

Mindset-Operation

Ich musste mich an das Gender-Sternchen, das in meiner Studienzeit unüblich war, zugegebenermassen auch erst gewöhnen. Heute fehlt mir etwas, wenn ich es nicht setze. Indes habe ich keinerlei Probleme mit Texten ohne diese Form.

Was die Gendermarkierung im Detail ausdrücken und bewirken soll, begreife ich aber nicht so genau. Sollte es lediglich darum gehen, zu markieren, dass Frauen automatisch mitgemeint sind, so kann ich mich noch an eine Zeit erinnern, als in einer Bezeichnung wie «Studenten» Studentinnen mitgemeint waren, ohne dass dies eigens und in jedem Satz und Text einzeln markiert werden musste oder Ausweichmanöver auf «Studierende» erfolgten.

Sollen die symbolpolitischen Signale ausdrücken, dass wir Frauen nicht übergangen werden wollen, frage ich mich, ob sich das nicht von selbst versteht. Sollen die Sternchen ein Bewusstsein für die Geschlechter-Binarität und für Ausschlüsse von Frauen wachhalten, dann wären immer noch jene ausgeschlossen, die sich in den Binarismus nicht einfügen. Vielleicht geht es auch einfach darum, mit gegenderter Sprache ein progressives, gegen konservative Beharrungskräfte gewandtes Mindset zu demonstrieren?

Beim katholischen Lager – aber das ist jetzt vielleicht eine sehr subjektive Wahrnehmung – fällt mir auf, dass sich am Sternchen gegenwärtig die Geister scheiden: Mit Sternchen schreiben die Anhänger*innen des Synodalen Wegs, die Wege aus der tiefen Strukturkrise der männerdominierten Institution in Reaktion auf Missbrauchsvertuschung suchen. Während der rechtskonservative Rand Gendermarkierungen als Ausdruck von «Genderwahn» oder des Gottseibeiuns liest.

Küss d’Hand gnä’Fräulein

Für mich fühlt sich die Gendermarkierung eigentlich wie eine Höflichkeitskonvention an. Das ist der Grund, weswegen ich mich gern daran halte, obwohl ich die Eingriffe sprachlich zum Teil unschön oder sogar absurd finde, etwa bei Aufzählungen: Verkäufer*innen, Sprachwissenschaftler*innen, Astronaut*innen.

Ich versuche mit den *** höflich zu sein. Ich kann mir aber schwer vorstellen, dass Höflichkeitsformen tatsächlich messbare Verhaltensänderungen bei renitenten Sexist*innen, Rassist*innen oder Chavinist*innen bewirken.

Ich komme aus Österreich, wo Abermilliarden «Gnä’Fräuleins» meines Wissens die gesellschaftliche Stellung von Frauen nicht verbessert haben, sondern politischer Kampf und Agitation bewirkten, dass Frauen studieren, ein eigenes Konto eröffnen und zur Wahl gehen dürfen.

Die Anrede «Gnä’Fräulein» hat mich trotzdem nie gestört, ich finde sie auf eine liebenswert altmodische Weise stilvoll.

Werden wir in zehn oder zwanzig Jahren noch Gender*sternchen und BinnenMajuskeln setzen und «Gender-Pausen» machen? Ich bin mir nicht sicher. Ich wage die vorsichtige Prognose, dass diese Sprachzusätze irgendwann wie der Weihnachtsschmuck vom letzten Jahr weggeräumt werden: weil sie hoffentlich nicht mehr gebraucht werden; weil strukturelle Benachteiligungen von Frauen und Minderheiten getilgt sein werden und Mobbing, Sexismus oder Rassismus am Arbeitsplatz wirksame Riegel vorgeschoben werden.

Es kann aber auch sein, dass Gendermarkierungen einfach aus der Mode kommen. So ist es der einstmals progressiven kleinschreibung ergangen. Diese signalisierte im zwanzigsten jahrhundert aufbrüche und sozialdemokratische horizontalisierung. Kein einzelbuchstabe sollte sich vorwitzig hervortun! Irgendwann aber sah es einfach nach veraltetem layout aus und landete als vergilbtes schriftwerk in antiquariaten.

Photo by Sharon McCutcheon on Unsplash

3 Kommentare zu „Das Unbehagen in der Sprache“

  1. „Sollen die Sternchen ein Bewusstsein für die Geschlechter-Binarität und für Ausschlüsse von Frauen wachhalten, dann wären immer noch jene ausgeschlossen, die sich in den Binarismus nicht einfügen.“

    Ich habe es bisher immer so verstanden, dass das * gerade den Platz für nichtbinäre Identifizierung freilassen soll und deshalb andere Schreibweisen wie das Binnen-I oder /innen weitgehend abgelöst hat.

  2. Jürgen Friedrich

    Für mich hat Genderismus in der Sprache Parallelen zu „des Kaisers neue Kleider“. Bekanntlich war der Kaiser nackt. Die Lobhudeleien seiner Gefolgsleute über seine Garderobe waren als sprachliche Klimmzüge von Lügen nicht zu unterscheiden.

    Immanuel Kant hat die tiefe Einsicht formuliert, dass die Lüge im Grunde nicht in erster Linie ein Unrecht gegen den Belogenen, sondern eine Selbstentwürdigung dessen ist, der Sprache missbraucht. Denn das menschliche Wort ist nicht in erster Linie ein Instrument der Mitteilung, sondern der Selbstdarstellung, der Selbstoffenbarung als Person. (Zitat Ende)

    Die gender-spezifische Sprachregelung lenkt ab von der originalen Absicht der Erschaffung von Männlein und Weiblein, dass sie nämlich gemeinsam das Ebenbild Gottes darstellen. Dieser Aspekt fehlt mir völlig in der laufenden Diskussion.

    Sie lenkt ebenfalls ab von der Notwendigkeit , die Ebenbildlichkeit Gottes zu formulieren in Bezug auf seine schöpferischen Leistungen. Darum ist es an der Zeit, nicht nur Gott und Göttin zu thematisieren, sondern auch Teufel und Teufelin – selbstverständlich mit dem Ziel, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.

  3. Danke für die Kommentare!
    Und danke Eowyn für die Richtigstellung. *** sind inklusiv, stehen also nicht für Binarismus, sondern für die Multiplizität der Geschlechter und auch für unbestimmte Geschlechter oder Orienierungen.
    Lieber Jürgen Friedrich, Sie schreiben von „originaler Absicht“ und Schöpfung nach „Gottes Ebenbildlichkeit“.
    „Die gender-spezifische Sprachregelung lenkt ab von der originalen Absicht der Erschaffung von Männlein und Weiblein, dass sie nämlich gemeinsam das Ebenbild Gottes darstellen.“
    Aber müsste nicht aus dieser Argumentation folgen, dass Gott in sich weiblich und männlich vereint – das wäre dann eher ein Argument für männliche und weibliche Addressierung Gottes, wenn ich es richtig sehe.
    Interessant Ihre Anregung, auch Teufelinnen ins Visier zu nehmen …

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