Und wieder geht der Corona-Ausnahmezustand in eine weitere Wochenrunde. Spannende Literaturtipps und Podcast-Juwelen hat Stephan Jütte schon weitergegeben – hier folgen nun einige Empfehlungen aus dem Netflix-Universum …
Haus des Geldes
Diese Raubüberfall-Geschichte aus spanischer Produktion ist in kurzer Zeit zur meistgesehensten nicht-englischsprachigen Serie auf Netflix avanciert – und das zu Recht: Es macht unheimlich Spass, der Gruppe von Wagemutigen beim grössen Überfall aller Zeiten zuzuschauen – in der spanischen Notendruckerei sollen 2,4 Milliarden Euro den Besitzer wechseln. Die Charakteren sind zwar teilweise arg überzeichnet, und spätestens in der dritten Staffel schwächelt »Haus des Geldes« ein wenig. Der Anti-Kapitalistische Pathos, die zwischenmenschliche Dramaturgie und die schiere Wahnsinnigkeit des Unternehmens sind aber noch lange Grund genug, sich diese Serie zu gönnen …
Altered Carbon
Hier wird’s ein wenig düster: »Altered Carbon« spielt weit in der Zukunft – in einer Welt, in der Menschen sich von der Gebundenheit an ihren Körper gelöst haben, indem sie ihr gesamtes Bewusstsein auf einem sogenannten »Stack« abspeichern: Ein Chip, der einen Halswirbel ersetzt und in einen beliebigen Körper eingepflanzt werden kann. Die Story rollt einen Klassenkampf auf zwischen jenen, die sich mit ihrem Reichtum Ersatzkörper ohne Ende leisten können und damit de facto unsterblich werden, die in diesem System unterdrückt und ausgebeutet werden. Ästhetisch taucht uns die Serie in eine gewalttätige Cyberpunk-Realität ein (Achtung: nicht für jedes Gemüt empfehlenswert) – philosphisch legt sie uns mitten in aller atemberaubenden Action eine ausgezeichnete Fallstudie zum Leib-Seele-Problem vor: Prädikat »leider geil«.
Designated Survivor
Kiefer Sutherland ist durch die Mutter aller Action-Serien bekannt geworden: Es war als Jack Bauer der Star von »24«, die über viele Staffeln hinweg ein Millionenpublikum fesselte. Jetzt ist er als unfreiwilliger Präsident der U.S.A zurück: Der ganze Kongress mit allen Mitgliedern wird ins Jenseits gebombt, und die Ausnahmeregelung des »festgelegten Überlebenden« macht ihn über Nacht zum mächtigsten Mann der Welt. Die Idee, den mit seinem Schicksal kämpfenden Übergangspräsidenten mitten in einer nationalen Krise in einer Serie aufzuarbeiten, ist brillant, und zumindest die erste Staffel macht unheimlich Spass. Spannend ist dabei auch, dass sich die politische Grundmessage merklich von Sutherlands Erfolgsserie »24« abhebt: Jetzt zählt Menschlichkeit, Authentizität und Verletzlichkeit mitten in einem gnadenlosen Politbetrieb. Jack Bauers Gewaltorgien haben ausgedient…
Sex Education
Und hier noch etwas Leichtbekömmliches – ein britisches Comedy-Drama in Serienform, das viel zu lachen aber auch einiges nachzudenken gibt. Die als Agent Dana Scully aus »X-Files« bekannte Schauspielerin Gillian Anderson spielt eine Sexualtherapeutin namens Jean F. Milburn. Ihr sozial eher herausgeforderter Sohn Otis befindet sich mitten in der Pubertät, und entdeckt trotz fehlender Eigenerfahrung seine Begabungen als Ratgeber bei sexuellen Problemen. Gegen Entgeld hilft er seinen Mitschülern weiter. Neben zahlreichen urkomischen Momenten und vielen schauspielerischen Glanzleistungen arbeitet sich »Sex Education« an der Frage ab, wie eigentlich ein offener, unverkrampfter Umgang mit Sexualität aussehen kann, was es bedeutet, seine Sexualität jenseits der Stereotypen zu entdecken – und welche Rolle die Schule und die Eltern dabei (nicht) spielen können…
Daredevil
Meines Erachtens das beste Marvel-Serien-Format auf Netflix überhaupt (vielleicht noch neben dem »Punisher«, der aus der zweiten Staffel von Daredevil als Spin-Off hervorgegangen ist). Der Blinde Anwalt Matt Murdock wirkt entgegen allem Augenschein in der Nacht als maskierter Rächer der Unterdrückten und Bedrohten. Als überzeuger Katholik plagen ihn freilich auch Gewissensbisse, und man findet ihn regelmässig im Beichtstuhl seines Paters wieder. Eine Story mit erstaunlichem Tiefgang und tolle schauspielerische Leistungen machen dieses Superhelden-Abenteuer zu einem gewinnbringenden Zeitvertreib nicht nur für Marvel-Nerds. Absolut grossartig ist die Performance von Vincent D’Onofrio – er spielt den Bösewicht Wilson Fisks (»the Kingpin«) mit einem derartigen Fingerspitzengefühl, dass man ständig zwischen Empathie und Abscheu hin und her osziliert: Gänsehaut!
Broadchurch
Ach, diese raue Küstenlandschaft von Südengland, diese Felsformationen, diese einsamen Strände: Nicht umsonst wurde die Jurassic Coast, welche den Schauplatz dieser grossartigen Kriminalserie darstellt, zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt. Und »Broadchurch« hat noch mehr zu bieten als wehmütig schöne Naturkulissen: Im (fiktiven) Küstendorf, nach dem die Serie benannt ist, spinnt sich ein Netz von Verdächtigungen, eigentümlichen Begegnungen, Lügen und Intrigen rund um den grausamen Tod eines elfjährigen Jungen. Detective Alec Hardy und die einheimische Kollegin Ellie Miller (beide sensationell gespielt von David Tennant und Olivia Colman) machen sich an die Auflösung des Falles, und der Zuschauer wird von Anfang an von den kantigen, eigenwilligen Charakteren und der dramatischen Handlung gefesselt. Zu Recht wurde diese Serie mit Auszeichnungen überschüttet: Das ist wie Tatort, einfach gut.
The Witcher
Diese Serie geht auf ein populäres Computergame (bzw. eine Reihe von Games) zurück. Das ist in diesem Fall aber kein schlechtes Omen: »The Witcher« ist hochkarätig besetzt, aufwendig umgesetzt und wunderbar unterhaltsam. Natürlich fällt das ganze ins Fantasy-Genre, mit Hexern, Dämonen, Drachen, Fabelwesen, bösen Königinnen und einer Menge blutiger Schwertkämpfe (auch das ist nicht unbedingt ein Format für Zartbesaitete). Der Titelsong »Toss a Coin to Your Witcher« hat es dabei zu unerwarteter Berühmtheit gebracht: Auf Youtube finden sich hunderte von Coverversionen in allen Stilrichtungen, und man wird diesen Ohrwurm tatsächlich nicht mehr los. Die Fangemeinde des Witchers ist bereits riesig – Millionen warten auf die zweite Staffel, die im Sommer erscheinen soll: Höchste Zeit, sich mit der ersten Staffel auf den aktuellen Stand zu bringen!
Tron: Legacy
Ja, ich weiss, das ist keine Serie. Aber den Tipp muss ich einfach noch loswerden. »Tron: Legacy« ist das Sequel zum Science Fiction Kultfilm von 1982. Jeff Bridges nimmt seine Rolle als Kevin Flynn wieder auf, und auch im zweiten Teil geht es um Computersysteme, Virtuelle Realitäten und mächtige Tech-Firmen. Die Handlung ist hier aber letztlich zweirangig: Der Film besticht durch eine absolut fesselnde Ästhetik, welche die Zuschauer in eine digitale Welt entführt (in den »Grid«), begleitet von der sphärisch-technoiden Musik der Digitalzauberer Darf Punk. Auch ohne Drogen ist das ein Trip, in den man sich dieser Tage unbedingt mal versenken sollte…
Also dann: gepflegte Unterhaltung!