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 Lesedauer: 5 Minuten

Badi-Kolumne, Teil 5: Untote Stammgäste und Babyenten

Über Bademeisterinnen existieren zwei Klischees: Entweder sie hechten in leuchtendroter Kleidung sexy ins Wasser und retten Menschen vor dem nahen Tod. Oder dann sitzen sie den ganzen Tag an der Sonne und tun, genau: nichts.

Fabienne arbeitet seit sieben Jahren als Bademeisterin. Wieviel diese Klischees mit der Realität zu tun haben, und was sich in einigen Zürcher Freibädern tatsächlich so alles abspielt, erzählt sie in dieser Sommer-Kolumne.

Da Badis sensible Orte sind, wurden die Angaben zu Gesprächen und Erlebnissen verfremdet. Manches ist genau so geschehen, manches nicht ganz.

Frau Luther

Nach dem letzten Beitrag könnte man meinen, wir Bademeister:innen machten nur tragische Bekanntschaften mit dem Tod. Zu diesem Klischee will ich nicht beitragen. Denn durch viele ältere Stammgäste haben wir immer wieder sehr lustige Begegnungen mit dem Thema Tod.

«Übrigens soll ich dir liebe Grüsse von Katharina Luther ausrichten», sage ich meinem Chef am Telefon. Er ruft mich an einem Sommermorgen wegen einer Schichtänderung an. Die Frau heisst wirklich so, kaum zu glauben.

Am anderen Ende der Leitung ist es still. «Oje», denke ich. Vielleicht ist das wieder so ein Fall. Dann platzt er heraus: «Aber Frau Luther ist doch tot?!?» Eine doch etwas abrupte Wendung, die ich so nicht erwartet hatte.

Ich antworte: «Naja, also vorhin war sie noch sehr lebendig.» – «Aber die ist doch schon uralt!» – «Keine Ahnung, ich fand, sie sah ziemlich jung aus.» – «Die ist mindestens 85.» – «Aha.» – «Jedenfalls ist sie extrem nett. Sag ihr ganz liebe Grüsse von mir!» – «Mache ich.» Dann legte er auf.

Gipfeli und Liebeskummer

Das mit Stammgästen ist so eine Sache.

Manche sind extrem nett. Sie backen Kuchen, bringen Gipfeli und wir halten unsere täglichen Pläusche: Über die letzte Wanderung, das Buch, das man liest, die neuesten politischen Schwänke oder Liebeskummer.

Eine Stammgästin kam einmal an einem Morgen zu mir in die Aufsicht und quietschte mehr oder weniger direkt nach dem «Guten Morgen»: «Gestern hatte ich übrigens Sex!» Für meinen Geschmack war 09:00 morgens zwar etwas früh, um über Orgasmen zu reden, aber gut.

Auf Tauchgang

Ein anderes Mal, als ich Aufsicht hatte, kam ein 70-jähriger Mann zu mir und meinte: «Also wenn ich dann nach dem Sprung ins Wasser nicht gleich wieder oben bin, keine Sorge: Ich tauche!» Er tauchte vielleicht zehn Meter, keine Distanz, bei der ich mich auch nur annähernd sorgte, aber süss war es trotzdem.

Manche geben sich nämlich extrem nett, nur um uns dann ungefragt damit zuzutexten, wie sehr sie Kinder hassen und dass Corona eine einzige Lüge war. Oder sie geben uns Ratschläge, wie wir unsere Arbeit machen sollen.

Stammgäst:innen haben die Angewohnheit zu glauben, dass die Badi ein bisschen ihnen gehört, weil sie jeden Tag hier sind.

Einmal kam einer und meinte: «Können Sie nicht den Baum dahinten absägen? Der steht der Abendsonne so im Weg.» Klar doch. Für solche Fälle tragen wir eine kleine Taschensäge auf uns.

Schlaue Ausreden

Mit Herzenstammgästen können wir Bademeister:innen uns ungewollt verquatschen. Sie machen die Badi zu einem Zuhause, kennen die Geschichte der Badi oft besser als wir selbst. Wir freuen uns, sie zu sehen, und sie freuen sich, uns zu sehen.

Anders ist es, wenn sich eine Situation mit mühsamen Stammgästen anbahnt.

Meistens geschieht das in der Aufsicht. Vielleicht sind die Personen einsam, haben niemanden zum Reden. Auf alle Fälle staut sich jede Menge Rededrang in ihnen an, den sie unbedingt bei uns loswerden wollen.

Sie sind schlau: In der Aufsicht können wir ja nirgendswo hin. Kein «Entschuldigen Sie, aber ich muss dringend mal unsere Wäsche aufhängen!»

Sehen wir, wie ein:e Teamkolleg:in in die Bredouille gerät, greifen wir für gewöhnlich zum Telefon und brauchen ganz dringend eine Information, wie wir das mit dem heutigen Schichtplan oder mit der Mittagspause machen. Dann sehen die Gäste, dass wir einen wichtigen Anruf bekommen und gehen auf die Toilette, wo sie sowieso hingehen wollten.

Wir werden Eltern

Einmal wurden wir dank einem eher anstrengenden Stammgast Eltern. Eine Mutterente hatte eines ihrer sieben Küken zurückgelassen, wohl, weil es zu schwach war oder aus sonst einem Grund. Der Stammgast fischte die Ente aus dem Wasser, brachte sie zu uns und liess sie stehen. Super.

Was sollten wir bitte mit einer Babyente anfangen, die ein Mensch berührt hatte? Die Mutter würde die Ente nicht zurücknehmen und weder der Wildhüter noch die Volière würden eine Stockente beherbergen. Davon gibt es schlicht zu viele.

Das Glück der Babyente war natürlich, dass sie unfassbar klein, flauschig und dementsprechend unfassbar süss war.

Wir erklärten sie kurzerhand zu unserer Team-Ente, die uns künftig vom Wasser aus bei der Aufsicht unterstützen würde. Sie passte ja perfekt zu unserem gelben Tenü.

Wir bauten ihr aus einem Einkaufskörbchen ein Nest mit Gras und einer Müslischale als Teich. Aus unseren Vorräten organisierten wir Rüebli, Salat und Kerne. Ich ging sogar in die Tierhandlung und bekam Würmer geschenkt. Wir setzten uns neben das Körbchen, redeten mit ihr und rissen uns darum, sie auf die Hand zu nehmen, sie zu streicheln und zu beruhigen.

Doch nichts nützte: Sie frass nicht und piepste verängstigt oder flatterte mit ihren winzigen Flügeln. Am nächsten Tag, als wir morgens kamen, war sie tot.

Passt bitte auf euch auf!

Ich wickelte die kleine Ente in Haselnussblätter und beerdigte sie in der Flussböschung. Ein paar Tage darauf regnete es so stark, dass der Fluss anschwoll und die Ente mitnahm. Auch wenn wir traurig waren, war es eine schöne Erfahrung, für kurze Zeit eine echte Ente im Team gehabt zu haben.

Aber bitte, liebe Lesende: Sammelt nicht jede Ente ein und passt gut auf euch auf! Zu viel Herzschmerz halten auch wir Bademeister:innen nicht aus.

 

Illustration: Rodja Galli

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