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Badi-Kolumne, Teil 3: Der Mythos der einsamen Held:innen

Über Bademeisterinnen existieren zwei Klischees: Entweder sie hechten in leuchtendroter Kleidung sexy ins Wasser und retten Menschen vor dem nahen Tod. Oder dann sitzen sie den ganzen Tag an der Sonne und tun, genau: nichts.

Fabienne arbeitet seit sieben Jahren als Bademeisterin. Wieviel diese Klischees mit der Realität zu tun haben, und was sich in einigen Zürcher Freibädern tatsächlich so alles abspielt, erzählt sie in dieser Sommer-Kolumne.

Da Badis sensible Orte sind, wurden die Angaben zu Gesprächen und Erlebnissen verfremdet. Manches ist genau so geschehen, manches nicht ganz.

Wer springt ins Wasser?

Einmal half ich einen Tag lang in einem Beckenbad aus. Es war ein regnerischer, kalter Tag, aber es war eines der Bäder, das unabhängig vom Wetter den ganzen Tag geöffnet hatte.

Gemeinsam mit einem Arbeitskollegen stand ich in der Aufsicht, als er plötzlich sagte: «Du weisst schon, ich bin der Ausländer hier. Wenn etwas passiert, musst du rein. Ich rette erst ab einer Wassertemperatur von 20 Grad.»

Der Retter, die Retterin, die sich heldenhaft ins Wasser stürzen: Hollywood-Quatsch.

Doch die Frage nach der Rettung beschäftigt meine Mitmenschen sehr. «Und, musstest du schon einmal jemanden retten?», ist einer der häufigsten Fragen, die ich gestellt bekomme, wenn ich von meinem Job erzähle. Ich kann förmlich spüren, wie in ihren Köpfen Baywatch-Clips ablaufen.

Wenn sie nur wüssten. Deshalb hier die zwei gängigsten Mythen über die Rettung von Ertrinkenden.

Mythos 1: Alle Rettungen verlaufen absolut spektakulär

Hahahahahaha.

Zum Glück nicht. Im Idealfall schaffen wir es, die Person vom Land aus zu retten, indem wir beispielsweise einen Seil oder einen Rettungsball zuwerfen. So haben wir mehr Handlungsspielraum und Kraft.

Sind wir im Wasser und krallt sich eine Person aus lauter Angst womöglich an uns, haben wir nicht nur weniger Manövrierfähigkeit, sondern begeben uns selbst in Gefahr.

Auch hier gilt: Die unspektakuläre Rettung ist die die bessere Rettung.

Mythos 2: Der heldenhafte, einsame Sprung ins Wasser

Dieser Mythos besagt: In dieser Geschichte verdient genau eine Person Ruhm: Diejenige, die ins Wasser springt und den Menschen in Not aus eigener Kraft alleine herauszieht.

Wo fange ich hier nur an? Zuerst einmal ist es eine Frage, ob es überhaupt das Badepersonal ist, das die Person sieht. Nicht selten sind es Badegäst:innen, die uns alarmieren.

Zweitens ist die Frage, wer die Person ist, von wo aus die Person gerettet werden muss und wie das Bad aufgebaut ist.

Zur Veranschaulichung: Der Ort, an dem ich am meisten Rettungen miterlebt habe, war ein Flussbad. Bei unseren internen Rettungsübungen mussten wir jeweils die Rettungspuppe, die wir liebevoll «Rudi Runter» nannten, aus der Mitte des Flusses zum Rand transportieren, wo eine 1,5-Meter hohe Mauer wartete, über die man den Rettling bringen musste.

Wer schon einmal eine leblose Person bewegen musste, weiss: Das ist sehr schwer.

Ich bin zwar sportlich und schwimme schnell, aber mein Kraft kommt zackig an ihre Grenzen, wenn ich eine Person aus dem Wasser ziehen soll, die schwerer als mein Eigengewicht ist. Während Kollegen Rudi problemlos zur Leiter manövrierten, war es bei mir ein echter Kraftakt.

Daher ist es nur naheliegend, dass in einem Notfall Kolleg:innen mit mehr Kraft ins Wasser springen. Doch selbst dann sind diese auf Unterstützung angewiesen.

Rettung ist Teamwork

Nehmen wir an, ein Kollege drückt den Alarmknopf und springt ins Wasser. Während alle Augen sich auf diese Personen richten, muss der Rest des Teams zuerst herausfinden, wo der Unfall geschieht. Dann sprinten alle los.

Jemand holt den Notfallrucksack und alarmiert die Sanität. Jemand holt die Rettungsleiter. Meistens treffen wir uns fast als ganzes Team, um die Person über die Leiter an Land zu hieven. In vielen Fällen haben auch schon Badegäst:innen mitgeholfen.

Ist das geschafft, beginnt ein Teil des Team mit der Wiederbelebung, während jemand mit der Sanität am Telefon bleibt und sicherstellt, dass sie den Weg zu uns finden. Und während all dem gibt es jemanden aus dem Team, der in die Aufsicht geht und besorgte Badegäst:innen abfängt.

Parallel dazu müssen wir sicherstellen, dass Zeug:innen anwesend bleiben, aber dass niemand fotografiert oder filmt. Das alles funktioniert nur als Team.

Logisch gibt es Teammitglieder, die die eigentliche Rettung für das Filetstück halten. Die meinen, dass sie den wichtigsten Job machen, wenn sie ins Wasser springen.

Ich finde es abschätzig, so zu denken. Eine Rettungskette muss als Ganzes funktionieren.

Wenn es um Leben und Tod geht, ist das schmerzhaft

Was viele nicht wissen: Am Ende jeder Rettung gibt es ein Debriefing, was gut funktioniert hat und wo man sich künftig besser absprechen muss. Man kann sie sich wie die verschiedenen Glieder einer Metallkette vorstellen, die ineinander greifen müssen: Hält eines nicht, brechen die anderen auseinander.

Doch wenn von aussen eine Heldenstory erwartet wird, erzählt sich eine komplexe Geschichte nicht ganz so gut.

Daher endet diese Kolumne vielleicht auch etwas moralischer als sonst, weil mir Folgendes sehr am Herzen liegt: Jede Person, die Zeug:in oder Mithelfer:in eines Unfalls war, egal wie «krass», weiss, dass diese Momente schmerzhaft sind.

Ich finde es seltsam bis widerwärtig, solche Geschichten für die eigene Bedeutsamkeit zu verwenden. Als ob es etwas über die eigene Wichtigkeit aussagt, dass man zufällig an einem Tag zu einer Zeit an einem Ort war.

Wie sich das anfühlt, davon handelt dann der nächste Beitrag.

 

Illustration: Rodja Galli

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