Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 7 Minuten

Wenn sich alle Schleusen öffnen: Alleinheit und LSD

LSD, Ayahuasca oder Psilocybin: Substanzen und damit verbundene Rituale zur Erweiterung des spirituellen Bewusstseins sind in manchen sozialen Bubbles zum selbstverständlichen Teil der Lebensreise geworden. Grund genug fürs RefLab, sich kritisch und reflektiert mit diesem Trend auseinanderzusetzen.

Im folgenden Text schildert Leela Sutter, Autorin des RefLab-Podcasts «Holy Embodied», eine Erfahrung mit LSD. Wichtig zu betonen: Dieser Artikel ist keine Empfehlung, denn die Einnahme von bewusstseinserweiternden Substanzen ist mit grossen Risiken verbunden.

Neugierig, aber sorgfältig

Vor Jahren sagte mein Bruder zu mir: «Die einzige Substanz, die sich lohnt auszuprobieren, ist LSD. Alles ander isch Seich.» Der Satz blieb in meinem Gedächtnis. Gleichzeitig war ich stets extrem vorsichtig im Umgang mit Drogen und hatte ausser Marihuana, Alkohol und lustige Pflanzensämli keinerlei Erfahrung.

Mir war schon beim Kiffen klar: Das tut mir nicht sonderlich gut.

Damals fehlte mir der sichere Grund, den es braucht, um sich gehen lassen zu können.

Doch meine langjährige Meditationspraxis, die zu einer 24/7-Angelegenheit geworden ist, liess mich immer sicherer werden – und ich war neugierig. Neugierig, mit der gegebenen Sorgfalt zu entdecken, was es mit dieser Substanz auf sich hat.

Ohne dass ich mich aktiv darum bemüht hätte, kam ich dann über Umwege an LSD – und nahm an einem Silvesterabend vor ein paar Jahren eine erste Mikrodosis.

Lächerlich gute Laune

Laut Internet spüren die meisten Menschen diese Dosis nicht. Doch meine Jahre in der Stille sowie die Arbeit am immer wie freier und offener zu leben, machen mich auch in dieser Hinsicht super sensibel.

An jenem Abend hatte ich lächerlich gute Laune, habe getanzt, Farben bitz intensiver erlebt – mehr nicht.

Nach diesem ersten supervorsichtigen Zeh-in-den-Teich-Tunken folgten einige wenige weitere mikrodosierte Experimente; allein oder mit sehr selektiv ausgewählten Freunden.

Ich begann, mich bewusst langsam an eine «volle» Dosis heranzutasten, weil ich merkte – mein System kann damit umgehen. Ich hatte keine Angst, brauchte keine Angst zu haben davor, was sich da öffnet.

Wie Alice im Wunderland

Relativ spontan kam der Tag, an dem ein naher Freund und ich beschlossen: Heute ist es soweit. Wir hatten Zeit, Platz und beide genügend Stabilität.

Ich hole hier relativ weit aus, um nachvollziehbar zu machen, warum ich mich darauf einliess. Pure Neugier war es zum einen. Zum andern empfand ich es aber immer auch als eine Art Tor, die einer anderen Person erlaubt, in mein Erleben der Welt einzutauchen. So wie etwa der weisse Hase Alice ins Wunderland führt. Doch dazu später mehr.

Es ist mir zudem wichtig, zu zeigen: Ja, es war letztlich eine spontane Entscheidung, doch der gingen Jahre voraus, in denen ich mich herantastete.

Grösstes Glück und grösste Trauer

Zu Recht: Was auf die Einnahme folgte, waren Stunden, die schwer in Worte zu fassen sind. Ich sah das ewige Werden und Vergehen, sah, wie jeder Moment gemacht ist aus grösstem Glück und grösster Trauer, sah, dass Liebe und Tod zusammenfallen, ein und dieselbe Bewegung sind.

Sowohl diese Liebe, als auch die Trauer berührten mich im Allerininnersten meines Wesen und ich weinte, hemmungslos, wild, laut, ungefiltert.

Es gab ganz kurz so ein Aufflimmern von «Ui, ist das jetzt OK, mich einfach so gehen zu lassen?». Doch da war nicht genug von einem separaten Ich da, das hätte agieren können. Zudem war das genau der Punkt, darum ging es ja: mich gehen zu lassen. Nichts zurückzuhalten aus Angst.

Ich spürte Durst, hatte aber keine Ahnung, wie trinken geht.

Die Form, sowohl meine als auch die der Tasse, des Wassers, verschwand, nur das Formlose blieb. Die Essenz. Eben dieses gleichzeitige Werden und Vergehen. Das fühlte sich an wie eine Welle, die sich ständig aufbäumt und entleert, gleichzeitig.

All-Einheit: Ich bin keine abgetrennte Person

Es war eine Erfahrung, die den Kopf zu tausend Prozent überfordert. Ein Eintauchen in die magische Wunderland-Welt. Eine Erfahrung, die für die meisten Menschen extrem weit weg ist vom alltäglichen Erleben.

Nicht so für mich. Ich stellte bei dieser Reise einmal mehr fest, dass sich diese Erfahrung gar nicht so sehr von meiner Realität ohne LSD unterscheidet.

Ich lebe in dieser Welt, in der Form und Formlosigkeit ungetrennt sind.

Bin seit Jahren in diesem Gefühl zu Hause, im Erleben von All-Einheit, zeitlos und ewig, im Wissen darum, dass es mich als abgetrennte Person nicht gibt. Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt und geniesse es, mich immer weiter in diese Gefilde tragen zu lassen.

Es war also nicht schockierend oder furchteinflössend, als ich einen Moment lang nicht wusste, wie man trinkt. Oder mich nicht bewegen konnte.

Auch die Stille ist immer wieder derart durchdringend, dass ich jegliches «wissen wie» verliere. Ist in jenem Moment auch nicht wichtig.

Völlig aufgehoben

Mein Vertrauen ins Leben ist felsenfest, ich weiss, wie aufgehoben und versorgt ich bin, ohne dass ich das aus eigener Kraft irgendwie herstellen müsste.

Dieses Gefühl der Sicherheit ist es, das es mir erlaubt, voll einzutauchen, mich ganz und gar gehen zu lassen. Egal, ob mit oder ohne Substanzen.

Was habe ich also gewonnen durch diese Erfahrung, wenn das alles nichts Neues ist? Ich glaube, es war extrem wichtig und zutiefst transformierend, mit einem anderen Menschen zusammen zu erleben, dass mir wirklich nichts geschehen kann, wenn ich mich komplett hingebe.

Das Element der «anderen Person» ist für mich sehr wichtig, habe ich mich doch nach meinen diversen traumatischen Erfahrungen «anderen» gegenüber eher verschlossen. Menschen schienen für mich nicht sicher zu sein; Gott, ja, aber es war schwer, Gott so direkt im anderen zu sehen, zu erleben.

Das hat sich in den Jahren mehr und mehr aufgelöst, ich begann, wieder zu vertrauen, mich auch mit Menschen wieder sicher zu fühlen. Mein Herz ganz zu öffnen. Doch ich denke, diese Erfahrung mit LSD war zentral im aktuellen Prozess von tieferer Öffnung.

Raum für pure Liebe

Wichtig war nicht bloss der Moment des Highs, sondern auch die Zeit danach, die Integration. Das trifft auch auf grosse Transformationsprozesse zu, die in der Stille geschehen.

Das fühlt sich an, wie wenn sich eine Schlange häutet oder riesige Eisbrocken am Nordpol abkalben.

Ich spürte zum Beispiel meine eigene Herzwunde extrem deutlich in den Tagen danach. Spürte den Herzschmerz der ganzen Welt – und kümmerte mich hingebungsvoll darum, genauer gesagt, liess Gott sich hingebungsvoll darum kümmern. Auch das ist nichts, was ich selbst bewerkstelligen muss.

Und so durfte ich spüren, wie sich da noch mehr Platz in meinem Herz auftat. Noch mehr Raum für dieses goldene Licht, für pure Liebe.

So schnell mache ich das nicht wieder

Letztlich ist Veränderung immer ein Zusammenspiel von vielen Dingen und es ist schwer, sie an einem einzelnen Ereignis festzumachen. Trotzdem: ich bin extrem dankbar für diese Erfahrung, für die sorgfältige Vorbereitung und Begleitung.

Gleichzeitig ist für mich auch klar: So schnell mache ich das nicht wieder. Denn ich spüre einen deutlichen Unterschied, ob eine Substanz mein Hirn flutet oder die Stille.

Ich empfinde das Geflutet-werden von der Stille als sanfter, als, ja, stiller, unaufgeregter. Nicht weniger verstörend oder spektakulär. Aber sanfter, mehr im Einklang mit deinem System.

LSD schert sich einen Dreck darum, ob du bereit bist oder nicht, es öffnet alle Kanäle auf einmal, egal, ob du damit umgehen kannst oder nicht.

Ich kann damit umgehen, ja. Ich habe diesen felsenfesten Grund aus der Stille, aus der unmittelbaren Erfahrung der All-einheit. Fürchte mich weder vor abgrundtiefem Schmerz noch vor allesverzehrender Liebe. Doch das ist nicht selbstverständlich.

Im Zweifelsfall lieber eine Reise in die Stille

Darum: Im Zweifelsfall lieber die Finger davon lassen. Alles andere ist zu hoch gepokert und lohnt sich echt nicht. Wäre ja schade, wenn das unmittelbare Erleben «von Angesicht zu Angesicht» dich in Angst ertrinken liesse.

Im Zweifelsfall lieber ausprobieren, wie eine geführte Reise in die Stille auf dein System wirkt (zum Beispiel hier). Auch das kann viel auslösen und Schleusen öffnen. Jedoch niemals so brachial, wie es die Substanz tut.

Ja, ich glaube, ich kann meine Erfahrung so zusammenfassen: Stille empfehle ich vorbehaltlos allen – mit dem Hinweis darauf, dass auch hier Begleitung wichtig und hilfreich ist.

 

Ergänzende Podcastfolgen:

«Holy Embodied»: Die Suche nach Gott – mit und ohne Substanzen
«Holy Embodied» mit Gregor Hasler: «Ich hatte christliche Gefühle auf MDMA»
«Stammtisch» mit Paul-Philipp Hanske: «Ekstatischer Glaube»

 

Foto von Efe Kurnaz auf Unsplash

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