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 Lesedauer: 7 Minuten

Vom Fetisch zum Freund

Das Smartphone ist ohne Zweifel der Fetisch des 21. Jahrhunderts. Wir tragen es immer mit uns. Wir berühren und streicheln es. Wir tragen Sorge, dass es stets energiegeladen bleibt. Wir sind genervt, wenn beim Handy irgendetwas nicht funktioniert oder die Verbindung abreisst. Und wir sind am Boden zerstört, wenn der ‹Kommunikationsknochen› kaputt ist. Wir haben dann das Gefühl, dass die Verbindung mit allen guten Geistern gekappt ist.

Die eindrucksvollste Kinoszene für den traumatischen Zustand der Handylosigkeit bietet Roman Polański in «Der Gott des Gemetzels» an der Stelle, wo Christoph Waltz winselnd zusammenklappt, nachdem Kate Winslet sein Smartphone in der Blumenvase versenkt hat. Das Smartphone ist unser vertrautester Begleiter und gleichzeitig – und das unterstricht seinen Fetischcharakter – bleibt es uns fremd, unverständlich oder sogar unheimlich.

Wer ausser uns hat Zugriff auf das mysteriöse Gerät? Seit den Snowden-Enthüllungen braucht man nicht unter einem manifesten Verfolgungswahn zu leiden, um sich potenziell belauscht und beobachtet zu fühlen. Manche User kleben vorsorglich die Kameraöffnung ihrer Smartphones ab.

«Times of Waste»

Unklar bliebt für die allermeisten von uns auch, an welchen Ort(en) der smarte Kommunikationsapparat von welchen Menschen unter welchen Arbeitsbedingungen aus welchen Einzelteilen und welchen Materialien hergestellt worden ist und was mit Handys und verbauten Komponenten und Materialien passiert, wenn wir die Geräte ‹entsorgen›. Das Smartphone ist für uns letztendlich eine ‹Black Box›.

Ein Wissenschaftler*innenteam rund um die Kulturanthropologin Flavia Caviezel (Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW Basel) hat in einem mehrjährigen Forschungsprojekt untersucht, welche globalen Routen E-Schrott von der Schweiz ausgehend nimmt. Das Projekt trägt den Titel «Times of Waste» [1] und wurde vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt.

Die Forscher knüpfen an einen Trend in der Kulturanthropologie und den Material Studies an und versuchen Rohstoffgewinnungs-, Liefer- und Produktionsketten aus der Perspektive einzelner Geräte beziehungsweise verbauter Materialien in Form sogenannter ‹Objektbiografien› zu rekonstruieren. Materie, die bewegt und transformiert wird, erscheint in diesem Kontext als eine eigenständige Form des ‹Lebendigen› mit einer eigenen ‹Agency›.

Odyssee einer seltenen Erde

Die zehn wichtigsten Elemente, die in Smartphones verbaut werden, sind Indium, Kupfer, Nickel, Gold, Gallium, Tantal, Zinn, Kobalt, Wolfram und Seltene Erden. Eine Seltene Erde, das Supermagnet Neodym, haben die Forscher*innen zum Protagonisten einer Objektbiografie gemacht. Sie haben geschaut, welche Wege es von seiner Gewinnung bis zur E-Waste-Verschrottung nimmt.

In Form eines Audioessays erzählt das Neodym in der Ich-Perspektive, was es erlebt hat und woher es kommt. Es ist Sternenstaub, das Zerfallsprodukt der Explosion eines Planeten vor Jahrmillionen, und hat sich als aktives, ruheloses und lebendiges Material («Ein Leben, das nicht vergeht») in der mongolischen Steppe in Verbindung mit radioaktiven Schwesterelementen abgelagert. Schürfer, die die Materialien unter prekären Bedingungen ausgraben, sind einem erhöhten Lungenkrebsrisiko ausgesetzt.

Das Element wurde in einem Smartphone verbaut. Als hochleitender Stoff ist es ein essenzieller Bestandteil von Mikrofonen, Lautsprechern und Vibratoren. Als der Lautsprecher des Handys kaputtging, kaufte der Besitzer ein neues Smartphone, aber das Neodym hatte Glück, denn sein Handy wurde nicht geschreddert, sondern repariert, mit einem Ersatzteil aus Malaysia.

Sternenstaub landet im Restmüll

Das Handy und mit ihm das Neodym landeten über den Online-Handel und einen Belgrader Zwischenmann auf einem Markt in Nairobi, wo es von einem Studenten erworben wurde. Nach kurzer Zeit aber funktionierte das Gerät nicht mehr und gelangte in eine afrikanische E-Waste-Sammelstelle in einem Hinterhof. Nun hätten theoretisch Wertstoffe wie Gold, Silber oder Palladium heraus geschmolzen werden können, allerdings nur in Spezialbetrieben in Europa. Das Handy landete in der Hausmüllverbrennung. «Wir sind Schlacke geworden», berichtet das Neodym. Saurer Regen schwemmt Schwermetalle in Gewässer und liess auch das Neodym ins Grundwasser gelangen.

Während die Seltenen Erden als Billigabfall in Afrika versickern, horten Spekulanten in Schweizer Hochsicherheitszollfreilagern die Stoffe als ‹Strategische Erde›, die an internationalen Rohstoffbörsen hoch gehandelt wird.

Die Wissenschaftler, die ihre Forschungsergebnisse zunächst im Gewerbemuseum Winterthur vorstellten und gegenwärtig im Kunstgewerbemuseum Berlin [2] präsentieren, entzaubern den Mythos, dass Elektronikgeräte effizient recycelt werden. In der Schweiz fallen jährlich durchschnittlich 22 Kilogramm elektronischer Abfall pro Person an. 2016 waren es insgesamt 184 000 Tonnen. Seltene Erden werden auch hierzulande nicht extrahiert, weil es billiger kommt, ganze Geräte zu schreddern. Nur Akkus und Leiterplatten werden herausgenommen. So werden immerhin Lithium und Kupfer wiedergewonnen.

Beyond the Age of Waste

Auf globalen Transportwegen und Recyclingrouten, ausgehend von der Basler Agglomeration, unterliegen Materialien laut der Forscher*innengruppe nicht nur materiellen Umwandlungen, «sondern auch ökonomischen, sozialen, ästhetischen oder rhetorischen Umwertungen». Es sei letztendlich eine Frage der Perspektive, «was zu welchem Zeitpunkt oder in welchem Stadium der Materialität als Abfall betrachtet wird».

Bereits 1979 warnte der Club of Rome in seinem Bericht ‹Beyond the Age of Waste› vor den globalen Konsequenzen der Ressourcenverschwendung. Jüngste Entwicklungen wie ‹Urban Mining› zielen darauf, Rohstoffe in aufwändigen Reinigungs- und Wiederaufbereitungsprozessen als ‹neue Ressourcen› zugänglich zu machen.

Von diesem Ideal ist auch die Produktion von Fairphones getragen, ethisch modulare Smartphones, bei deren Produktion versucht wird, Lieferketten transparent zu halten – und insbesondere nicht Rohstoffe aus Bürgerkriegsgebieten zu verbauen. [3] Das «Times of Waste»-Projekt veranschaulicht, dass dem Umgang mit Abfall eine ethische Dimension innewohnt. Es geht um die Wertschätzung der Dinge und um einen schöpfungsbewahrenden Umgang mit Naturstoffen.

Das ‹Recht auf Reparatur›

Aktuell bastelt die Europäische Union an einem neuen ‹EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft›. Darin soll unter anderem ein ‹Recht auf Reparatur› verankert werden. Die EU-Kommission will damit die Rechtsansprüche der Verbraucher gegenüber den Herstellern stärken.

Die industrielle Maschinerie schneller Produktionszyklen befördert die Wegwerfkultur. Software lässt sich irgendwann nicht mehr aktualisieren, der Prozessor ist zu langsam für neue Möglichkeiten. Es liegt nicht nur an den Konsumenten, sondern es ist von den Herstellern gewollt, dass ihre Produkte unattraktiv werden. Nicht selten wird noch etwas nachgeholfen, mit ‹geplanter Obsoleszenz›, auch bekannt als Strategie des eingebauten Murks. [4]

Wir erleben eine Doppelbewegung: Die Werbung lädt Konsumprodukte auf, überhöhen sie, gleichzeitig werden sie durch die Wegwerfkultur in der Ära des Wastozäns ihres Wertes beraubt. Bereits Rainer Maria Rilke beklagte eine gespenstische Entleerung der Dinge. Er schrieb in den 1920er-Jahren:

«Noch für unsere Grosseltern war ein ‹Haus›, ein ‹Brunnen›, ein ihnen vertrauter Turm, ja ihr eigenes Kleid, ihr Mantel: unendlich mehr, unendlich vertraulicher; fast jedes Ding ein Gefäss, in dem sie Menschliches vorfanden und Menschliches hinzusparten. […]»

In seiner eigenen Welt sah Rilke dagegen viele «leere gleichgültige Dinge […], Schein-Dinge, Lebens-Attrappen. […] Die belebten, die erlebten, die uns mitwissenden Dinge gehen zur Neige und können nicht mehr ersetzt werden. Wir sind vielleicht die Letzten, die noch solche Dinge gekannt haben.» Aber vielleicht ist diese Entwicklung umkehrbar? Wovon Rilke im Modus der Vergangenheit sprach, das könnte unsere Zukunft werden – in Form postmaterieller Ökonomien.

Vom Fetisch zum Freund

Gerade, weil wir mit unserem Smartphone schier unzertrennlich verbunden sind, so als wäre es ein Teil von uns selbst, können wir mit ihm beginnen. Wir können uns fragen, wie wir eine Repair-Kultur mitbefördern können, anstatt schadhafte oder einfach auch nur ältere Modelle gedankenlos durch neue zu ersetzen. [5]

Ein Handy besitzt Fetischcharakter, Warenzauber im Sinne von Karl Marx, solange es der Kapitalismus pseudoreligiös aufzuladen vermag und wir es als Statussymbol begreifen. Wenn wir uns aber stattdessen den Gebrauchswert vor Augen führen und es nicht als austauschbaren Lebensabschnittspartner, sondern als Objekt mit einer Agency und als  Lebensbegleiter begreifen, so wird es uns emotional vielleicht so wertvoll, dass wir sogar daran denken … es zu vererben.

Der erste Schritt ist gemacht, wenn wir Dinge nicht gedankenlos wegwerfen.

 

Quellen-Angaben:

Bild: Kupfermine und Vibrationsmotor eines Smartphones, Collage, © Forschungsteam Times of Waste.

[1] https://times-of-waste.ch/de/home/; https://www.objektbiografie.times-of-waste.ch/

[2] https://www.smb.museum/ausstellungen/detail.html?tx_smb_pi1%5BexhibitionSmartId%5D=69911

[3] https://shop.fairphone.com/de/?gclid=EAIaIQobChMImPim7aKN6AIVibTtCh01fQAgEAAYASAAEgJrQPD_BwE

[4] Siehe z.B.: https://www.schridde.org/

[5] https://repair-cafe.ch/de

[6] Rainer Maria Rilke, Briefe aus Muzot 1921-1926, hg. v. R. Sieber-Rilke u. C. Sieber, Leipzig: 1935, 335 f.

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