Less noise – more conversation.

«Sei ein lebendger Fisch»

Manuel ist mit diesem fröhlichen Lied aufgewachsen, während es Stephan völlig unbekannt war. Der Song kommt aus der Jugendchor-Bewegung, welche in Deutschland in den 1970er Jahren Fahrt aufnahm und Tausende von Kindern und jungen Menschen mobilisierte. Die Schweiz hat mit den Adonia-Chören eine ähnliche Geschichte geschrieben.

Das Gespräch führt die beiden zuerst zu einer Würdigung des widerständigen Elements dieses Liedes: Der Text ermutigt dazu, sich keinem Konformitätsdruck zu unterwerfen und zu den eigenen Überzeugungen und Werten zu stehen, auch wenn man sich damit nicht beliebt macht.

Dann muss aber auch die kulturpessimistische und elitäre Note des Liedes angesprochen und kritisiert werden: Wie verstehen wir uns als Christ:innen in dieser Welt – und was macht es mit unserer Wahrnehmung, wenn wir uns als lebendige Fische von einer «toten Masse» abgrenzen?

Eine ebenso heitere wie spannende Auseinandersetzung – mit einem punkigen Schlussakkord…

9 Kommentare zu „«Sei ein lebendger Fisch»“

  1. Dieses Lied – Begleiter meiner christlich-evangelikalen Kindheit! Ihr habt das ganz schön zerpflückt – aber mutig und tiefgründig wie immer. Und witzig – oft lache ich laut mit! Ein Aspekt fehlte mir leider, bzw. ihr habt ihn nur am Rande gestreift. Und zwar ist ja m.E. das Liedgut der 70er (zumindest bei den Kindern) noch stark von der Theologie der 50er und 60er geprägt. Kurz skizziert: Wir Christen grenzen uns von der bösen Welt da draussen ab, machen aus Prinzip vieles nicht mit und freuen uns, wenn wir deswegen verspottet werden. Dann haben wir alles richtig gemacht! Diese weltfeindliche Haltung und Botschaft habe ich schon als Kind in diesem Lied wahrgenommen und mich schon damals gefragt: Warum muss man als Christ immer dagegen sein? Die Autorin Margret Birkenfeld hatte ja in vielen ihrer Lieder diesen Fokus und Kontext, das war ihre Prägung, und aus heutiger Sicht denke ich, die Jungscharkinder sollten beim Singen darauf eingestimmt werden, nie im Leben dem Mainstream zu folgen. Ein bisschen übertrieben ausgedrückt, aber so ungefähr war es doch. Dieses mutige Abgrenzen und „gegen den Strom schwimmen“, das in heutiger Zeit gesund und nötig ist, um eine Ausgewogenheit im Leben zu erreichen, ist für meine Begriffe etwas völlig anderes, da es aus einer anderen Motivation kommt.

    1. Schön.

      Kryptisch:

      Hier ist die Welt.
      Hier müssen wir aufsteh’n.
      Und in’s Bett geh’n.

      Über den ganzen großen Rest kann man plaudern.

      PS: Verbreitet diesen Beitrag von Thorsten Dietz.

  2. Hallo zusammen! Was für eine schöne und schreckliche Erinnerung an meine evangelikale Kindheit. Das Lied haben wir rauf- und runtergesungen. Denn die Botschaft war ja so wichtig: Als Christ lebt man in Abgrenzung gegen die böse Welt. Die war sowieso gefallen und tot. Dieses Lied war dann die notengewordene Warnung es der Welt nicht gleichzutun. Konkret ging es in meiner Erinnerung immer um zwei Punkte: Sexualität und Musik. Keine Freizeit, keine Tagung kam in meiner Jugend ohne den von uns so genannten LFS Abend aus: Liebe-Freundschaft-Sexualität. Wieviele Referenten und Prediger (es waren immer Männer) haben uns vor der Ursünde des Menschen gewarnt: Dem vorehelichen Geschlechtsverkehr. Der musste unter allen Umständen verhindert werden. Detailliert ging es dann darum, dass man sich mit seiner Freundin am besten nur draußen aufhält, im Zimmer immer die Tür auflässt und sich frühestens bei der Hochzeit das erste Mal küsst.
    Ähnlich dann auch der Umgang mit Musik. Weltliche Musik stand immer im Verdacht okkult zu sein. Nachts haben wir Schalplatten malträtiert, indem wir sie rückwärts gedreht haben, um satanische Botschaften bei AC/DC und anderen Bands zu entdecken. Aber irgendwie war die Jugend dann doch nicht von Rock und Pop loszukriegen. Daher der evangelikale Versuch mit Kinder- und Jugendchören die Jugendlichen bei der Stange zu halten. Später dann die christliche Rockmusik. Leider habe ich auch Konzerte von Michael Jackson verpasst, dafür habe ich Frank und Peter Hübner, Cae Gauntt oder Siegfried Fietz erlebt. Witzigerweise hat die SED damals in der DDR einen ganz ähnlichen Kurs gefahren. Deren Antwort auf westliche Musik war auch eine Singebewegung, in der die Jugend stramm sozialistisch unterhalten werden sollte.
    Schön, dass ihr dem Lied noch eine positive Note abgerungen habt. Nicht mit der Masse (sei sie weltlich oder evangelikal) mitzuschwimmen, sondern mit Gottes Hilfe einen eigenen Weg suchen. Dise Deutung hätte ich im Rückblick damals gebraucht. Aber so selbstbewusst war ich als Kind und Jugendlicher noch nicht, als ich dieses Lied gesungen habe.

  3. Super Podcast zu einem Lied, das mir aus eigener Sing-Erfahrung in Erinnerung ist! Ich war eben in den 70er-Jahren auch schon «lebendg» (nicht immer im Sinn dieses Liedes) und habe in Kreisen verkehrt, in denen dieses Lied mit Inbrunst gesungen wurde. Mich erstaunt, dass Ihr eine Passage im Refrain gar nicht aufgegriffen habt, die mich ebenso irritiert wie die von Euch erwähnten kritischen Aspekte: «…Freude und Sieg ist dein Lohn!» Ich finde dies eine völlig verklärte und unrealistische Versprechung, mit der Kinder hier eingedeckt werden – eigentlich ganz und gar verantwortungslos. Wenn sich ein Kind mutig und frisch als lebendger Fisch z.Bsp. auf die Seite eines gemobbten Kameraden stellt und sich anschliessend selber mit blutender Nase am Rand des Pausenplatzes wiederfindet, wird es das wohl weder als «Freude» noch als «Sieg» empfinden, auch wenn es alles beeindruckend richtig gemacht hat. Wichtiger und hilfreicher fände ich eine Botschaft im Sinn von: Wag es frisch, gegen den Strom zu schwimmen, und rechne damit, dabei selber mal eins auf die Flossen zu kriegen – dann kannst du besonders stolz auf dich sein!

  4. Hallo zäme, finde euren PC als im Prozess stehenden Post-Evangelikalen und „inter-ekklesiatische“ Person sehr gut und ein Stückweit auch befreiend. Aber: bitte lasst doch das für mich oft arrogant anmutende Gekicher über Freikirchler. Die haben in der Kirchenlandschaft die gleiche Berechtigung wie die LK. Möglicherweise braucht man/frau in gewissen Phasen die eine oder andere Form. Alle Formen haben ihre Chancen und Gefahren. Die eher liberale (od. libertäre?) LK kann zu einer völlig profillosen und sich der Gesellschaft total anbiedernden Institution verkommen. Die FK hingegen, das kennen wir auch zur Genüge, zu einer sehr engen und „gesetzlichen“ Ekklesia. Alles in allem, macht weiter, aber mit dem nötigen Respekt. Danke.

  5. Ich habe euren Podcast sehr spannend gefunden – obwohl und gerade weil ich das Lied nicht kannte und in einer komplett anderen „christlichen bubble“ grossgeworden bin, wo Bultmann gelesen und diskutiert wurde. Einen Gedanken möchte ich gern ergänzen: der elitär-christliche Anspruch, besser als „die Welt“ zu sein, dürfte das Bild von Kirche und Christlichem Glauben bis in unsere Tage stark geprägt haben. Gerade gestern traf ich einen alten Herrn an der Busstation, der sich genau darüber aufregte und als ich mich als Theologin outete, mir die Frage entgegenschleuderte, woher wir Christ:innen die Arroganz nähmen, Ethik und Moral für uns pachten zu wollen: „Die Gut-Menschen, die selbst nicht leben, was sie predigen!“ Da konnte ich ihm nur das sagen, was auch ihr gefunden habt: „Ich bemühe mich jeden Tag und wo ich scheitere, verlasse ich mich darauf, den Rest in Gottes Hand zu legen.“
    in diesem Sinn würde ich mir – wie Stephan – auch eine neue letzte Strophe für das Lied wünschen.

  6. Das Lied kannte ich nicht, aber andere mit ähnlichen Aussagen. Ich muss, sagen, dass ich mit dem Bild gar nichts anfangen kann.

    Hier wird von einer Gruppe definiert, in welche Richtung das Wasser fliesst und wo die Quelle ist. Danach wird verlangt, sich dieser absoluten Wahrheit anzuschliessen und wie ein toter Fisch mit den anderen zu schwimmen.

    Ich selbst habe innerhalb der Gemeinde mir erlaubt, nicht einfach mit dem Strom zu schwimmen, sondern mir eigene Gedanken zu machen. Das wurde dann gar nicht goutiert.

    Auch wenn die Assoziation natürlich eine andere ist, geht es für den Fisch nicht darum, selbst zu denken, eigenständig, lebendig zu sein, sondern sich den Erwartungen der eigenen Subkultur zu unterwerfen, die leider eben nur noch eine Subkultur ist, als solche aber sicher besser als alle anderen, denn man lebt.

    Dies geht so weit, dass der Fisch natürlich nur umsetzen soll, was der Herr will. Dies ist ein traditionelles, vor-reformatorisches Denken, welches zur Aufgabe jedwelcher Individualität aufruft, unter Berufung auf die Individualität.

    Schade.

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