Auf meinen letzten Blogbeitrag habe ich viele Reaktionen erhalten. Manche haben sich und dann auch mich gefragt, weshalb jemand mit meiner Haltung überhaupt in der Reformierten Landeskirche arbeite. (Ehrlich gesagt, haben sie sich eher gefragt, weshalb man mich da weiter beschäftigt.) Nun, ich jedenfalls habe gute Gründe mich in der reformierten Kirche zu engagieren.
Erfolg ist nicht alles
Ich habe ein zugegebenermassen düsteres Bild der Gegenwart und Zukunft für die Landeskirchen skizziert. Ich glaube, dass dies keine Schwarzmalerei ist, sondern wirklich zutrifft. Allerdings sehe ich die Ursache dieses Negativtrends (Mitgliederverlust etc.) nicht primär darin, dass die Pfarrpersonen, Diakon*innen, Katechet*innen und Seelsorger*innen ihren Job nicht gut machen. Die meisten, die ich kenne, machen es sogar sehr gut.
Vielmehr sind Mitgliederschwund und mentale Säkularisierung Folgen einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung.
Selber glaube ich aber daran, dass die Landeskirchen sehr sinnvolle Dinge tun. Und zwar nicht nur, indem sie Menschen konkret helfen. Sondern auch dadurch, dass sie eine Sprache konservieren und lebendig halten, mit der wir Unaussprechliches und Unbewusstes thematisieren können.
Sie erinnern mich immer wieder daran, dass wir Menschen und diese Welt mehr sind, als wir sehen oder wissen.
Die Landeskirchen tun dies im Wissen um eine eigene lange Tradition und in ihnen ist ein Bewusstsein vorhanden, für die eigene Fehlbarkeit, für eigene Fehler, die sie begangen haben.
Weil ich (wahrscheinlich) nur ein Leben habe, ist es mir wichtiger, beim richtigen Spiel dabei zu sein, als ein möglichst hippes Trikot zu tragen und einen Pokal zu gewinnen. Für mich ist wichtig, ob die Welt mit der Kirche ein besserer Ort ist, als ohne sie. Und davon bin ich überzeugt.
Eine gute Mission
Wir haben ein tolles Ziel! Die Reformierte Landeskirche will den Menschen das Evangelium nahe bringen. Das ist eine gute Botschaft. Sie bedeutet, dass unser Leben und diese Welt kein sinnloses Schicksal sind, sondern sich uns Gott in seiner Liebe zu uns Menschen zugewendet hat, jetzt bei uns ist und uns nicht verlassen wird.
Besonders gefällt mir, dass die Kirche weiss, dass ihr diese Botschaft nicht gehört, sondern die Wahrheit ihrer Verkündigung und die Aufrichtigkeit ihres Handelns immer wieder zur Debatte stehen muss.
Das ist ein Mission-Statement, hinter das ich mich gerne stelle. Natürlich sind wir uns in der Kirche oft uneinig, was dieses Ziel genau bedeutet, wieviel welche Etappe kosten darf und wer sich wie prominent dafür engagieren soll. Freilich, man könnte es besser machen. Aber ich wüsste nichts, was zu tun wichtiger wäre.
Freude an Veränderung
Man kann die Kirche als trägen Verwaltungsapparat sehen. Aber das ist nicht ganz fair. Die teilweise langwierigen Prozesse und Abläufe sind meistens keine Selbstbespassung einer aufgeblähten Verwaltung. Häufig entstehen sie, um die demokratischen Prozesse kirchlicher Entscheidungen abzusichern. Sicher, das ist oft mühsam. Aber es ist allemal besser, als irgendwelchen charismatischen Führungsfiguren zu folgen.
In Sachen Bildung, Gleichstellung, Sozialpolitik oder Menschenrechten gehört meine Kirche zu den gesellschaftlichen Vorreiterinnen.
Darauf darf sie sich nicht ausruhen, aber wenn sie den Schub dieser Geschichte mitnimmt, kann sie auch für unsere Gegenwart eine glaubwürdige und zuversichtliche Kraft darstellen. Ihre eigene Gestalt verändert sie ebenfalls: Sie musste Stellen abbauen, fusionieren, ihre Ausbildungsprogramme anpassen, ihre Identität als Minderheit neu denken lernen. Sie hat noch einen langen Weg vor sich, um Kirche für die Menschen zu bleiben. Aber ich glaube, dass sie das nicht nur schafft, sondern es sogar demokratisch, ohne starke Männer, hinbekommen wird.
Freiheit im Glauben und Reden
Stell dir mal vor, ich würde für Starbucks arbeiten und einen Blogpost veröffentlichen, indem ich schreibe, dass dem Starbucks der Kaffee ausgegangen sei und wir wohl nie wieder neuen Kaffee geliefert bekommen. Wahrscheinlich würde mir gekündigt werden. In der Kirche kann ich sagen, dass wir Gott nicht mehr haben. Ohne dass mein Chef oder sein Chef oder irgendwer mich ins Büro zitiert. Hier kann ich frei denken. Und reden.
Das bringt eine Verantwortung mit sich. Man muss sich gut überlegen, ob man das, was man behauptet auch wirklich so meint. Und es braucht ein Vertrauen, dass einen die andern “starklesen”. Aber damit haben wir viel Übung. Anders hätte selbst die Bibel nicht überlebt.
Und Gott?
Klar, Gott findet dich auch ausserhalb der Kirche. Und ihr ist es wahrscheinlich ziemlich egal, ob du reformiert, katholisch, islamisch, jüdisch, buddhistisch oder konfessionslos bist. Mir selbst hilft Kirche, weil ich weiss, dass andere glauben, wo ich zweifle und ich unter ihnen zweifeln darf, ohne dass sie an mir verzweifeln. 🙂
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2 Gedanken zu „Reformiert bleibt gut“
“Starklesen” finde ich gut, wäre aber auch schön, von dir des Öfteren etwas Erbauliches (“Stärkendes”) zu lesen 🙂
Habe ich doch gerade gestern veröffentlicht 😉 https://www.reflab.ch/schlussstueck/