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 Lesedauer: 4 Minuten

„Queer Eye“: Mit den Augen der Liebe

Ich weiss, ich bin damit eine Spätzünderin: Aber momentan läuft bei mir auf Netflix fast täglich eine Folge „Queer Eye“. Die Reality-Serie tut so gut, um abzuschalten und alles, was sonst so geschieht, für 45 Minuten auszublenden.

Das Konzept: Fünf schwule Männer (die „Fab Five“) helfen einem Menschen, selbstbewusster zu sich zu stehen. Dies durch Modeberatung und Styling, eine Umgestaltung seines Zuhauses sowie durch Gespräche über soziale und psychologische „Baustellen“ und Tipps, wie diese angepackt werden können.

Die Gefängnisaufseherin und leidenschaftliche Jägerin, die den Eindruck hat, dem Bild einer Frau zu wenig zu entsprechen. Der dreifach geschiedene End-Fünfziger, der keine Ahnung hat, wie er alleine zu sich selber Sorge tragen kann – und dass er dies überhaupt wert ist. Der Kriegsveteran, der vom Einsatz abgezogen wurde und sich als Versager fühlt, Häuser für andere Veteranen baut, aber mit seiner Frau und drei Kindern in einem Zimmer schläft.

Mehr als ein Umstyling

„More than a makeover“, lautet der Untertitel der Serie: Kein blosses Umstyling, nach dem die Person zwar wie ein Star aussieht, aber ganz und gar nicht mehr sich selber ist. Es geht um den Menschen als ganzen: Um seine sozialen Beziehungen und Ressourcen, seine Wohnsituation, seine Träume und sein Verhältnis zu sich selbst. Wie er oder sie am Ende der Woche aussieht und lebt, scheint ihm und seiner Persönlichkeit zu entsprechen, nicht von aussen aufgedrückt zu sein. Dazu verbringen die ”Fab Five“ eine Woche mit der jeweiligen Person. Und tun in dieser Zeit vor allem eins:

Sie betrachten den Menschen mit den Augen der Liebe, schenken ihm ihre Zeit und Sympathie.

Und zwar schon bevor jemand „gut“ aussieht und sein Leben im Griff hat. „Wir sehen dich als die Person, die du bist, und wir lieben dich, so wie du bist“, ist die Message. „Wir wollen dir helfen, dass dies auch andere sehen – und vor allem du selbst.“

„You can’t fix ugly“

So öffnen sich die Menschen, lassen zu, dass ihr Leben sich ändert, werden motiviert, etwas für sich zu tun, und: zu glauben, dass sie es wert sind, geliebt zu werden. Bei einer der Wohnungsübergaben steht auf einem Zettel:

„Welcome to your new home. We hope you love it as much as we love you.“

Natürlich ist die Serie mit viel Aufwand produziert, um so einfach und „wholesome“ und positiv zu wirken. Natürlich suchen die Macher*innen unter den vielen Tausenden Bewerbungen solche heraus, die auch von den Zuschauenden als sympathisch wahrgenommen werden. Dennoch ist es unendlich berührend, zu sehen, was Liebe in Menschen bewegt. Wie etwa der pensionierte Tom in der allerersten Folge allmählich von seinem Lieblingsspruch „You can’t fix ugly“ wegkommt („Aus Hässlichem könnt ihr nichts machen“).

Die „Fab Five“ und die Kirche

Ein wiederkehrendes Thema der Serie ist das Christentum und das Verhältnis der Kirche zur LGBTIQ-Community. Etwa beim tief gläubigen sechsfachen Familienvater, der am Ende des Drehs mitteilt, dass es ihm und seiner Familie besonders wichtig war, dass sich die „Fab Five“ bei ihnen von Anfang an willkommen und geliebt fühlen. Oder bei „Mommy Tammy“, der ersten weiblichen Kandidatin der Serie. Sie hat einen schwulen Sohn, sieht darin aber einen Konflikt mit ihrem kirchlichen Engagement. Am Ende der Folge wird ein Gottesdienst gezeigt, in dem Tammy ihren Glaubensgeschwistern vom Weg erzählt, den sie in dieser Frage zurückgelegt hat. Kamaro Brown von den „Fab Five“: „Ich wusste immer, das Kirche diese Liebe ist, die Tammy ausstrahlt.“

Mehrmals wird in diesem Zusammenhang die Biografie von Bobby Berk thematisiert, dem Innendesigner der „Fab Five“: Er wuchs sehr religiös auf, in einer homophoben Gemeinde, und verliess sein Zuhause mit 15, weil seine sexuelle Orientierung nicht toleriert wurde.

Im Laufe der Serie durchläuft auch er einen Heilungsprozess. Durch Begegnungen mit christlichen Kandidat*innen bei „Queer Eye“, die ihn mit dem Blick der Liebe Gottes anschauen.

Dieser Heilungsprozess gipfelt in Folge 1 der letzten Staffel: Dort besuchen die „Fab Five“ den lutherischen Pastor Noah Hepler. In einem Gespräch mit Bobby entschuldigt er sich stellvertretend für die Ablehnung, die dieser vonseiten der Kirche erlebt hat. Bobby Berks Reaktion: „Wegen meiner Geschichte hätte ich mein Kind nie in eine Kirche gehen lassen. Aber wenn Kirche so aussieht, wie ihr sie hier lebt, dann würde ich es tun.“

Man könnte die Aussage auch umkehren: Wenn Kirche aussieht wie „Queer Eye“, also aus Menschen besteht, die andere mit den Augen der Liebe betrachten, dann verändert sich was.

Bild: Netflix.net 

4 Kommentare zu „„Queer Eye“: Mit den Augen der Liebe“

  1. Die Serie ist wundervoll! Mit viel Respekt,Würde und Liebe begnegnen die Fab Five ihren Mitmenschen. Wir sind begeistert von dieser Serie und von diesem Beitrag! Danke!

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