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 Lesedauer: 5 Minuten

Pythagoras und die Frage nach der Intelligenz der Welt

[Diese Blogbeitrag lehnt sich an eine Folge des Philosophiepodcasts «mindmaps» an, in der Heinzpeter Hempelmann mit Manuel Schmid über die bahnbrechenden Entdeckungen des Pythagoras und ihre Bedeutung für unsere Zeit diskutieren – sie findet sich hier.]

Fragen im Wüstensand

Als Pythagoras in Ägypten und Babylonien die Vorteile angewandter Mathematik kennenlernt, bleibt er nicht bei ihrem praktischen Nutzen stehen. Ihn interessiert nicht nur die Aufteilung von Flurstücken und der Bau von Pyramiden. Er will es ganz genau wissen. Und er beginnt tiefer, weiter, grundsätzlicher zu fragen, zur Freude oder – wohl häufiger – zum Verdruss von Generationen von Schülerinnen und Schülern, die sich mit seiner Entdeckung: dem «Satz des Pythagoras», auseinandersetzen müssen.

Pythagoras weiss aus Erfahrung: Wenn ich ein Dreieck habe, das einen rechten Winkel besitzt, dann ist das Quadrat über der längsten Seite des Dreiecks, also über der Seite, die dem rechten Winkel gegenüber liegt, genauso groß wie die Summe der Fläche der beiden Quadrate, die man über den beiden anderen, kürzeren Seiten bilden kann. Das ist schon erstaunlich. Wieso sollte das so sein? Ist das nicht sehr unwahrscheinlich?

Und wieso ist das so, so oft ich eine entsprechende Skizze anfertige? Wie kann ich sicher sein, dass es immer so ist, dass – modern gesprochen – die Summe der Kathetenquadrate gleich dem Quadrat über der Hypothenuse ist? Ein bloßes «ist einfach so» reicht dem vorsokratischen Vordenker nicht aus. 

Die Empirie ist unbefriedigend, wenn es um sichere Erkenntnis geht

Außerdem beschleicht ihn auch ein leiser, weiterer Zweifel. Naja, wenn man das im Sand zeichnet, mit einem Stock, ist das dann wirklich genau so: a2+b2=c2? Wie genau zeichnet man denn da? Wenn man sehr genau hinschaut und mit der Lupe nachmisst, stimmt das dann wirklich? Ganz genau? Selbst wenn man einen sehr feinen Stock nimmt; selbst wenn man versucht, ganz gerade Linien zu zeichnen; selbst wenn man versucht, die 90° ganz genau hinzubekommen – kann man ganz sicher sein, es ganz genau gemacht zu haben? Es könnte ja sein, dass mein Lineal nicht genau ist, sich verzogen hat; dass ich nicht so genau hingeguckt habe, oder auch ein bisschen gefudelt habe mit der Ablesung, nur damit das Ergebnis stimmt.

Werden da nicht immer Fragen bleiben, ganz gleich wie genau wir empirisch vorzugehen suchen? Können noch so viele und noch so genaue empirische Belege für a2+b2=c2  wirklich die Sicherheit geben, die ich brauche, wenn ich sagen will: Das gilt immer und überall?

Pythagoras geht einen entscheidenden Schritt über die Zeichnung und das Nachmessen hinaus.

Er weist nicht an einem konkreten Quadrat über den Seiten eines vorliegenden Dreiecks nach, dass das stimmt, dass das Quadrat über der längsten Seite des Dreiecks, gegenüber dem Rechteck, genauso groß ist wie die beiden kleineren Quadrate über den beiden anderen Seiten. Ein solcher Nachweis würde ja wieder nur für dieses eine Dreieck gelten. Das wäre aber witzlos, wenn er gerade wissen will, ob es sich immer so verhält; genau so verhält.

Pythagoras verläßt darum die Welt der Empirie, und er formalisiert das Problem. Er erbringt einen Beweis, dem inzwischen viele hundert weitere Beweise seines Satzes gefolgt sind. Wer mag, kann einen von ihnen für sich nachvollziehen. Entscheidend ist in unserem Zusammenhang:

Pythagoras zeigt, dass a2+b2=c2 abstrakt gilt, unabhängig von den konkreten Skizzen im Sand, immer und ewig und an jeder Stelle des Universums. Indem er das abstrakt zeigt, formalisiert durch Buchstaben, die für alle Katheten und alle Hypothenusen eines rechtwinkligen Dreiecks gelten, gewinnt er Sicherheit für alle empirischen Zeichnungen und Skizzen in der wirklichen Welt.

Diese müssen nun nur ungefähr gelten, insofern sie ein solches rechtwinkliges Dreieck nachbilden. Wichtig ist ja, dass die Gesetzmäßigkeit an sich gilt. Wenn sie an sich gilt, wird sie auch in der konkreten Wirklichkeit gelten; wird sie auch im konkreten Fall gelten, ganz gleich, wie genau oder ungenau ich gezeichnet habe. 

Eine ideale Welt der Zahlen hinter unserer Welt

Was Pythagoras durch diesen Weg der Formalisierung gelungen ist, ist philosophisch eine Art Doppelung der Wirklichkeit. Pythagoras zeigt an diesen und anderen Beispielen:

Es gibt mathematische Gesetzmäßigkeiten, die immer und überall gelten, weil sie an sich gelten, unabhängig von der vorfindlichen Wirklichkeit. Offenbar gibt es eine ideale Welt, hinter dieser unserer vorfindlichen Welt.

Und offenbar gibt sie unserer empirisch erfahrbaren Welt den Takt vor. Unsere Welt richtet sich nach ihr, immer und überall, in diesem wie in jedem anderen denkbaren Universum. Unsere Welt wird durch Formeln bestimmt, Zahlenverhältnisse, die nicht sichtbar, aber wirksam sind.

Pythagoras findet dafür den berühmten Satz: «Alles ist Zahl.» 

Lebensgefährliche Philosophie

Mit Schülern gründet Pythagoras in Kroton eine bis 450 v.Chr. bestehende philosophische Schule, die die Züge einer klosterähnlichen Glaubensgemeinschaft trägt.

Der pythagoreische Geheimbund hat bis zu 600 Mitglieder. Den Angehörigen ist es bei Androhung der Todesstrafe untersagt, die mathematischen Entdeckungen an Außenstehende auszuplaudern.

Noch nach dem Tod des Pythagoras wurde ein Mitglied des Geheimbundes ertränkt, das ein mathematisches Geheimnis weitergegeben hatte. So hoch schätzte man die Erkenntnisse ein. Die pythagoreische Gemeinschaft betete u.a. die Zahl als Gottheit an. Wer die Beziehung zwischen den Zahlen versteht; wer aufdeckt, dass diese Zahlenverhältnisse natürliche Phänomenen zugrunde liegen, sowohl den musikalischen Harmonien wie den Himmelssphären mit den Umlaufbahnen der Planeten, der kommt so den Geheimnissen des Universums näher. Er ist den Göttern auf der Spur und betet sie durch seine wissenschaftlichen Erkenntnisse an. 

 

Photo by NASA on Unsplash

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