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Parasoziales Gedankenspiel

Wenn man bei öffentlichen Personen den Eindruck hat, sie persönlich zu kennen, nennt man das eine „parasoziale Beziehung“. Menschen, die häufig in den Medien oder auf Social Media sind, von denen man weiss, wo sie gerade in den Ferien waren und an welchem Projekt sie arbeiten – oder die (wie ich gerade) mit Augenkontakt zu einem sprechen.

Ist es auch eine „parasoziale Beziehung“, wenn jemand an Jesus glaubt?, habe ich mich gefragt. Schliesslich kennen wir Jesus auch einfach durch die paar Berichte über sein Leben in der Bibel.

Manche würden hier sofort vehement protestieren. Es sei etwas ganz anderes als bei einer Celebrity, denn Jesus kenne ja jede:n von uns auch persönlich! Der Vergleich hinkt also.

Und vielleicht ist es sogar umgekehrt: Dass Jesus, Gott, uns unglaublich gut kennt, aber wir nie umfassend wissen können, mit wem wir es eigentlich zu tun haben. Weil Gott so viel grösser und facettenreicher ist, als wir es jemals erahnen können.

Eine Gedankenspielerei. Wie denkt ihr darüber?

6 Kommentare zu „Parasoziales Gedankenspiel“

  1. Liebe Evelyne
    Es ist wirklich ein Gedankenspiel: ich stehe mit vielen Menschen, aber auch mit der Natur oder der Kunst und Musik und der Tierwelt in solch parasozialer Beziehung, verbal wie nonverbal; Ich stehe z.B mit Manuel im geistigen Dialog, wenn ich sein neues Buch lese, mit Rachmaninoff oder Metallica, wenn ich deren Musik höre und mit Klimt und Monet, wenn ich deren Bilder betrachte, der Natur und der Welt, wenn ich in den Bergen bin…
    Dass ich als Subjekt in einer persönlichen Beziehung zu Jesus wie zu einem real lebenden Menschen oder „Freund“ stehen soll, ist theologiegeschichtlich wohl eher ein neueres Phänomen und stammt aus dem Pietismus bzw. Evangelikalismus und ist aus meiner Sicht eigentlich nicht biblisch: im AT sind es immer nur einzelne Menschen, die direkt mit Gott in Verbindung stehen (Urväter, Propheten, Moses…) und nicht das ganze „Volk Israel“ und im NT beten wir „Unser Vater“ und nicht „Unser Jesus“; zudem hat uns Jesus ja den Paraklet geschickt, was immer das genau sein soll…(SMILEY) und auch Paulus meint mit „Christus anziehen“ und co. die Geschichte vom Kreuz und nicht die Person von Jesus konkret als Heilsgeschehen zu erkennen und anzunehmen… Paulus betet meines Wissens nicht „direkt“ zu Jesus sondern immer noch zum jüdischen Gott des AT, den er glaub‘ ich nicht einmal Vater nennt, wie Jesus das tut…
    Ich persönlich folge Jesus nach, in dem ich seine Worte und Taten für mein Leben reflektiere und mich an ihnen zu orientieren versuche; ich bete zum „Vater“, wie Jesus es uns geboten hat; ich bete zu Gott in „Jesu Namen“, wie er es uns geboten habt; Jesus ist für mich der Messias und Herr, mein Rabbi und nicht mein „Kuschel- Freund“, wie in der Bibel beschrieben…
    Aber erkenntnistheoretisch ist das schon richtig: Wenn ich Marc Aurel lese (kommt für mich gleich nach Jesus), so stehe ich auch mit ihm in Beziehung und Dialog und er begleitet mich auch meinem Weg, wenn ich so will… das geht aber eben auch mit jedem Autoren, den ich gerade Lese und eben auch mit der Bibel…
    „Dass Jesus, Gott, uns unglaublich gut kennt, aber wir nie umfassend wissen können, mit wem wir es eigentlich zu tun haben. Weil Gott so viel grösser und facettenreicher ist, als wir es jemals erahnen können.“: Das finde ich jetzt ein bisschen einfach und theologisch unscharf und wird natürlich „trinitarisch“ heikel und ist auch wieder unbiblisch aus meiner Sicht: Natürlich weiss der Sohn was der Vater weiss und die sind eins und so… aber die sind auch eigenständige Entitäten und Jesus weiss in der Bibel eben nicht alles (Passion!); und wenn wir schon auf der Welle Jesus = Gott reiten wollen, dann wissen wir ziemlich genau, wer oder was Gott ist… „niemand kommt bzw. erkennt den Vater, denn durch mich“!?
    NB: 90% meiner Gemeindemitglieder würden sich selber wohl eher als kirchenfern bezeichnen und halten es eher wie das Volk im AT: Wir wissen, wo der Tempel steht und haben unser rel. Personal, das für uns alle stellvertretend wirkt… ich denke nicht, dass die eine „lebendige Beziehung“ mit Jesus im pietistisch- evangelikalen Sinne wollen…
    NBB: Die Katholiken haben das ja so gelöst: mit der Eucharistie! Da hat man unmittelbare und körperliche „Kommunion“ mit Christus- aber eben auch wieder nur als „Gemeinde“…

  2. Liebe Evelyne, falls du das hier noch liest (ich bin am Nachlesen und daher spät dran mit Kommentieren): Du hast da gerade eine ganze Gedankenflut bei mir angestossen. Von der ich nur eben die Gischt wiedergeben möchte.
    Den Begriff der parasozialen Beziehung kannte ich nicht, dafür das Phänomen des „Book (Boy)Friend“. Offenbar kann man sich in eine komplett ausgedachte Romanfigur sogar ernsthaft verlieben, inklusive Herzflattern etc. Überhaupt kann man mit einer fiktiven Person oder einem idealisierten und fantasievoll ergänzten VIP ein Stück weit fast schon zusammenleben, wenn sich die Fantasie nur real genug anfühlt. Diese Person wird einem natürlich nie den Brotkorb anreichen oder die Wäsche aufhängen, doch mit genügend Vorstellungskraft kann sie einem beim Essen und Waschen Gesellschaft leisten. Man kann sich super mit einer imaginierten Person unterhalten, unabhängig davon, ob sie ein reales Vorbild hat oder nicht, und man muss dafür auch kein Kind mehr sein, das zwischen echt und eingebildet noch nicht genau zu unterscheiden vermag.
    Gerade was die Beziehung der Gläubigen zu Gott/Jesus angeht, würde ich die eher psychosozial nennen: Gehe ich allein mit König Artus im Wald spazieren und unterhalte mich in Gedanken mit ihm, erzähle ich das vermutlich eher niemanden und lasse meine Beziehung zu ihm hübsch in meinem Kopf. Tue ich es doch, werde ich womöglich belächelt, aber eigentlich ist es für die meisten von uns unerheblich, ob ich darauf hoffe, dass Artus irgendwann wiederkommt und Britannien befreit (vom Brexit zum Beispiel)…
    Pflege ich jedoch eine Beziehung „mit“ Jesus, werde ich je nachdem sehr viel Bekräftigung erhalten, dass es tatsächlich eine Beziehung MIT Jesus sei, einfach weil die Existenz Jesu Christi bzw. Gottes von den Gläubigen als gegeben angesehen wird. Die Jesusbeziehung läuft dann nicht bloss neben anderen Interaktionen mit real existierenden Menschen her, sondern wirkt sich durch die soziale Verstärkung und weitgehende Akzeptanz psychisch bestimmt viel stärker aus, als meine gedankliche Interaktion mit Artus es voraussichtlich jemals tun wird. Obwohl die Hinweise auf die historische Vorlage für König Artus ungefähr ähnlich stark belastbar sind wie die auf den historischen Jesus. Vom vergöttlichten Christus ganz zu schweigen.
    Was ich damit sagen will: Wer glauben mag oder muss, Jesus zu kennen und von ihm gekannt zu werden und mit Jesus eine persönliche, echte, tatsächliche Beziehung zu führen, keine nur para- oder psychosoziale, weil Jesus als Bezugsperson so echt und real ist wie du und ich, ist natürlich frei, eben dies zu glauben. Ich dagegen glaube eher, dass Jesus nur durch eine bestimmte psychologische, soziale bzw. kulturelle Prägung als real angenommen und somit als wirkliche Bezugsgrösse erlebt werden kann.
    Wie formuliert es J.K. Rowling im siebten HP-Band so schön? Da lässt sie ihre Figur Dumbledore sagen: „Natürlich passiert es in deinem Kopf, Harry, aber warum um alles in der Welt sollte das bedeuten, dass es nicht wirklich ist?“
    Aber halt nur für Harry…

    1. Evelyne Baumberger

      Liebe Eva, danke für deinen geistreichen Kommentar! Total spannend, wie du den Gedanken weiterspinnst. „Psychosozial“ musste ich googeln, aber finde es sehr interessant; also, dass das soziale Umfeld eine grosse Rolle spielt beim Glauben. (Wie es ja auch beim Christentum von Anfang an angelegt ist.) Und da bin ich mit dir ziemlich einverstanden. Dort lässt sich das Beispiel, das ich im Video noch erzähle, dass die Person dann irgendwann „im Himmel“ (wie auch immer) ein „déjà-vu“ hat mit Jesus. Dass sich Gott, wie wir uns Gott erdenken und erfühlen, auch so ähnlich in einer transzendenten Dimension finden lässt.
      Das HP-Zitat ist wunderbar <3
      Alles Liebe und danke fürs reinschauen! Evelyne

      1. Liebe Evelyne, deine Beiträge verdienten eigentlich viel öfter, dass man sie nicht nur rezipiert, sondern wirklich mit dir darüber in Dialog tritt. Aber eben, der Alltag, der Stress, du kennst das ja…
        Alle Beispiele hinken, sagt der Volksmund, und das macht nichts, weil sie ja zum Verständnis beitragen und nicht die ganze Last der Beweisführung tragen sollen (sage ich) – beim „umgekehrten Déja-vu“ anlässlich der Gott-Mensch-Begegnung musste ich allerdings lachen: Selbst wenn eine prominente Person und ich ähnliche Werte teilen, löst das bei ihr ein Déja-vu in Bezug auf mich aus? Unwahrscheinlich. Höchstens wenn ich jemandem ähnle, den sie bereits kennt, und da könnte es auch an der Optik oder Gestik liegen. Ich könnte also bei einer allfälligen Begegnung im Jenseits feststellen, dass Gott tatsächlich so ist wie in der Bibel beschrieben, doch dazu muss ich besagte Beschreibungen auch kennen. Gehe ich schlicht davon aus, dass es grundsätzlich besser sei, in Frieden mit meinen Nächsten zu leben statt sie zu plagen und von ihnen geplagt zu werden, und verknüpfe meine Werthaltung nicht mit einem göttlichen Gebot, was soll ich dann darin erkennen ausser meiner eigenen Überzeugung?
        Kennen wir Gott auf Grund dessen, was in der Bibel berichtet wird? Ich bezweifle das stark. Wir erkennen bestenfalls menschliche Akteur:innen hinter den biblischen Figuren, die ähnlich über Gott gedacht oder Gott erlebt haben mögen wie wir selbst, doch nicht Gott per se.
        Daher finde ich es aufrichtiger zu sagen, jemand habe eine para- oder psychosoziale Beziehung zu Jesus/Gott. Die kann dann ausgesprochen persönlich und intensiv erlebt werden, aber der damit einhergehende Allgemeingültigkeitsanspruch wird obsolet. Und somit sämtliche bestimmenden Aussagen, wer und wie Gott sei oder was Gott von uns wolle, die für meine Begriffe mehr Leid als Freude gebracht haben für jene, die das anders empfanden und erlebten.
        So, nun mache ich das Fass aber wieder zu, bevor es noch weiter überquillt, und lasse dich deinen nächsten Post vorbereiten oder woran auch immer du gerade arbeitest. 🙂
        Auch dir alles Liebe und auf Wiedersehen/-lesen/-hören!
        Eva

  3. Spannend. Auch ich habe das Wort „parasozial“ bisher nicht gekannt.
    Nur beschleicht mich ein Unwohlsein, wenn jemand von Gott oder Jesus spricht, als wenn er:sie IHN:SIE:ES kennen würde, ohne dabei zu betonen, dass dabei alles durch die eigene Brille, die eigene Erfahrung gefiltert ist.
    Keine Angst, ich möchte solche Rede nicht verbieten, aber gerne den Fächer etwas aufmachen, um der verbreiteten Annahme entgegenzutreten, es gebe eine richtige Rede von Gott.
    Was, wenn Gott Fiktion ist? Können wir zu unserer Fiktion eine parasoziale Beziehung eingehen? Oder sind wir dann näher beim Ebenbild als Spiegel?
    Gedankenspiele wie die hier begonnenen brauchen einen sicheren Rahmen. Ich schätze sehr, dass solche Gedankenspiele hier auf der RefLab Plattform und nicht hinter vorgehaltener Hand möglich werden.

    1. Wenn Gott Fiktion ist – müsste man nicht genauer sagen: wenn Gott von mir/dir/ihm/ihr/… (einem Atheisten) als menschliche Fiktion betrachtet wird? -, dann kann mir/dir/ihm/ihr … (auch einem Atheisten) nicht schwerfallen, anzuerkennen, dass damit also Gott normale Instanz aller Menschen ist, denn Menschen ohne Fiktion gibt es nicht.

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