Die Haut wird dünner. Bei einer wachsenden Zahl von Leuten. Und eine archaische Gemütslage kehrt überraschend zurück: das Gefühl verletzter religiöser Gefühle.
Blasphemie meint das Verhöhnen, Verfluchen oder Beschmutzen bestimmter Glaubensinhalte. Der Begriff ist abgeleitet vom altgriechischen blasphēmía («Rufschädigung»).
Dumme Schiessübung
Das Phänomen der aggressiven Blasphemieabwehr, bezogen auf Religion, grassiert längst nicht mehr nur in islamistischen Fundamentalist:innenkreisen (Reizwort: Mohammed-Karikaturen), sondern auch bei uns.
Eine Auffälligkeit: Man braucht heute nicht einmal religiös sein, um unter verletzten religiösen Gefühlen zu leiden.
Die breite und zum Teil scheinheilige Empörungsbereitschaft bezogen auf eine queere Szene bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris, die an Leonardos «Letztes Abendmahl» erinnert, belegt dies. (Eine lesenswerte Analyse von Manuel Schmid erschien bei RefLab.)
Und jetzt ein mit exzessiver sozialmedialer Aufmerksamkeit bedachter lokaler Fall: Eine junge Zürcher Politikerin, die eine Schiessaktion in Sozialen Medien teilte.
Sanija Ameti zielte auf Konterfeis von Jesus und Maria auf einem Kunstdruck aus einem Auktionskatalog und postete die Aktion auf Instagram.
Rechte Empörung
Die inzwischen aus der Verantwortung entlassene Lokalpolitikerin bedauert den ikonoklastischen Akt tief und beteuert, es nicht auf die Verletzung religiöser Gefühle angelegt zu haben. Dass sie ein Flüchtlingskind mit muslimischem Hintergrund ist aber nehmen jetzt Rechte als willkommenen Anlass, ordentlich zurück- und draufzuschiessen. Ameti erhält sogar Morddrohungen.
Interessant ist die anschwellende religiöse Empfindlichkeit bei gleichzeitigem Schwund religiöser Zugehörigkeit und schrumpfenden Kirchen.
Hängen sich moderne Religionsverteidiger Madonnendarstellungen in ihre Wohnungen? Oder wird das Thema Religion und religiöse Symbole immer dann relevant, wenn es sich politisch instrumentalisieren lässt?
Verfechter des Abendlandes
Ein Lehrbeispiel für Letzteres bietet in Deutschland die scheinreligiöse Anhängerschaft von Pegida. Sie verteidigt nach eigenem Empfinden das christliche Abendland gegen kulturfremde Einflüsse.
PEGIDA ist ein Akronym für Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Die vor allem im Osten Deutschlands aktive Organisation wird als rechtsextrem, fremdenfeindlich, rassistisch und völkisch eingestuft.
Übergänge zum rechten Flügel der AfD, die in ostdeutschen Bundesländern gerade Erdrutschsiege erzielte, sind fliessend.
Das Beispiel Pegida zeigt: Religion und religiöse Zeichen lassen sich scheinbar unabhängig vom Säkularisierungsgrad instrumentalisieren. Es ist, als wäre in religiösen Symbolen eine besondere Art von Energie und Emotionalität gebunden.
Tautologie
Die Zürcher Nachwuchspolitikerin hat nach eigenen Angaben unbedacht und naiv auf die Madonna und das Jesuskind gezielt; beide finden Verehrung auch im muslimischen Raum.
Bedenkt man Jesu gewaltsamen und schandebeladenen Tod am Kreuz, haftet Gewaltakten gegen Jesus-Statuen oder Bilder immer etwas Tautologisches an. Jesu ist ja bereits gemartert. Anschläge auf seine Bilder verstärken diesen Befund lediglich.
Von daher könnte man empörungsmässig getrost abrüsten.
Dass Anschläge auf religiöse Figuren auch dazu dienen können, diese vermeintlich gegen blasphemische Attacken zu schützen, zeigte jüngst ein verstörender Fall im österreichischen Linz: Eine unbekannte Person enthauptete im dortigen Mariendom eine Marienfigur.
Kopflose Tat
Es war ein Werk der Künstlerin Esther Strauß, das Maria als Gebärende zeigte. Der Titel des Kunstwerks «Crowning» ist doppeldeutig: Crowning ist ein Ausdruck dafür, wenn der Kopf des Kindes in der mütterlichen Scheide erscheint; zugleich klingt die Dornenkrönung an. Obwohl die Gottesgeburt als heiliger Akt gilt, spart die Kunstgeschichte genau diesen aus.
Die Künstlerin schloss also eine Darstellungslücke.
Proteste einiger Gläubiger und schliesslich die Attacke gegen die Statue waren offenbar getragen von der Empfindung, dass es ungebührlich sei, in einer Kirche einen Geburtsakt zu zeigen. Als ob darin und im Anblick einer Gebärenden etwas Schändliches läge. Eine merkwürdige Verbindung von Glaube und Misogynie.
Unterm Strich ist es vielleicht keine schlechte Nachricht, dass religiöse Zeichen auch heute noch starke Zeichen sind und sich aktivieren lassen. Es kommt freilich darauf an, in welchem Geist dies geschieht.
Abbildung: Esther Strauß: «Crowing», Mariendom Linz, 2024, Copyright Ulrich Kehrer/Mariendom Linz
1 Gedanke zu „Madonna mia: Erst enthauptet, dann erschossen“
Eine Auffälligkeit: Man braucht heute nicht einmal religiös sein, um unter verletzten religiösen Gefühlen zu leiden.
Vielleicht ist diese Aussage etwas zu kurz gedacht!
Viele Menschen sind durchaus religiös. Aber unsere Amtskirchen sind es in ihren Strukturen und Aussagen häufig nicht mehr. Sie sind nicht mehr in der Lage einen Grossteil der Menschen abzuholen, im wahrsten Sinne zu „Begeistern“.
Der der Glaube wird verwaltet und beamtet. Der Missbrauch blüht.
Aus solchen Quellen kommt nur noch lauwarmes Wasser, das niemanden mehr mitreisst.
Insofern gibt der Aufschrei vielleicht so gar Hoffnung, auf noch etwas Glut unter der „Amtskirchlichen Asche“.