Dein digitales Lagerfeuer
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Leben nach dem Tod

Wer  wie ich an ein Leben nach dem Tod glaubt, macht sich verdächtig. Wir können die Wirklichkeit nicht ertragen. Verdrängen die eigene Endlichkeit und flüchten uns in ein Jenseits. Weil wir Angst haben. Weil wir unser Ego nicht loslassen können. Es kann sein, dass das alles bei mir eine Rolle spielt. Ganz durchsichtig ist man sich selbst ja nie. Aber ich möchte hier wenigstens versuchen, die anderen Beweggründe, die mich hoffen lassen und derer ich mir bewusst bin, zu erklären.

Am Anfang die Welt

Ich verstehe mich als winzigen Teil einer gigantischen, unvorstellbar grossen Welt, die vor über 13 Milliarden Jahren ihren Anfang genommen hat. In diesem Anfang sind Raum und Zeit entstanden. Aus einem winzigen unbegreiflich heissen Nichts hat sich alles ausgedehnt in einen Raum, den es noch nicht gab. Aus diesem Nichts ist alles entstanden.

Vor gut 4,5 Milliarden Jahren entzündete sich ein junger Stern. Die Sonne, das Sonnensystem und die Erde entstehen. Sie hat einen idealen Abstand zu ihrer Sonne und die richtige Grösse damit auf ihr Leben entstehen kann. Dazu musste die Erde aber während 500 Millionen Jahren soweit abkühlen, dass sich eine Erdkruste bilden konnte. So konnte sich flüssiges Wasser sammeln und Leben entstehen. Nicht nur der Urknall sondern auch das Leben ist ein grosses Geheimnis.

Wir können heute zwar Lebewesen kopieren, aber wir können Leben nicht entstehen lassen.

Seit 2,5 Milliarden Jahren wird das Leben komplexer, produziert Sauerstoff, bildet Zellkerne und schliesslich komplexe Organismen.

Vor 550 Millionen Jahren explodierte das Leben regelrecht. Zunächst in den Ozeanen, dann auf dem Land. Allerdings endete diese Blüte mit einem gigantischen Massensterben: Eine Katastrophe (wahrscheinlich eine Eiszeit, die durch einen Meteroiteneinschlag verursacht wurde) löschte 90% des Lebens aus. In diesem Vakuum entstanden Dinosaurier, die die Erde über 180 Millionen Jahre lang beherrschten. Vor 65 Millionen Jahren wurden sie und viele andere Arten durch einen Meteoriteneinschlag ausgelöscht.

Ein Teil der Erde

Die Säugetiere konnten sich am besten anpassen. Erst vor Kurzem ist dadurch solches Leben entstanden, dass über sich selbst als Teil dieses Planeten und als Teil dieser Welt nachdenken kann. Das Dinge herstellt, Geschichten erzählt, hasst und liebt, sich fürchtet und eben auch hoffen kann. Und dieses Leben, zu dem ich gehöre, weiss, dass es ein Teil der Erde ist und ahnt, dass es zu dieser unbeschreiblich grossen Welt gehört.

Das alles sind keine Beweise für einen Gott, der das alles so eingerichtet hätte. In meinem Denken ist Gott auch nicht einer, der die Welt gemacht hat, wie ein Architekt oder Bastler. Er ist auch kein Chemielaborant, der einen komplizierten Prozess in Gang gebracht hat und jetzt zuschaut.

In meinem Denken ist Gott gewissermassen diese Welt.

Wir leben in ihr und sind aus ihm gebildet. Ich glaube, dass ich auf Gott hoffen kann, weil auch ich ein Teil davon bin. Nicht auf einen Gott, der uns danach beurteilt, ob wir der richtigen Religion oder Konfession angehören. Religionen sind Hilfsmittel, mit denen wir uns Gott vorstellen. Sie helfen uns über unsere wichtigen Fragen nachzudenken: Wer bin ich? Weshalb existiere ich? Was mache ich mit meiner Lebenszeit?

Gott, das ist die Idee der Gesamtheit der Welt, mit der ich in Beziehung stehe. In dieser Idee kann ich mir die Welt als Persönlichkeit vorstellen. Gott wartet nicht im Jenseits auf mich. Sie ist jetzt. Und zwar seit allem Anfang. Solange die Welt ist.

Weil die Welt göttlich ist

Man kann diesen Gedanken leicht als Pantheismus abtun. Das macht mir gar nichts. Ich verstehe gar nicht, wie man Gott nicht pantheistisch denken soll. Wenn ich das aber tue, dann bin ich – ob tot oder lebendig – in Gott. Ich stelle sie mir vor als eine liebevolle Kraft, aus der alles kommt und in der alles bleibt. Das kann eine Projektion sein, weil ich die Wirklichkeit nicht ertrage. Oder eine Idee, die wir nur haben können, weil die Welt göttlich ist.

Eine göttliche Welt passt nicht in unsere Zeit. Wir sind selbst zu ihren Göttern geworden.

Wir tun so, als ob wir ihr gegenüberstünden und nicht Teil von ihr wären. Wir behandeln manche Tiere besser als Menschen, während wir andere Tiere nur dazu züchten, damit wir sie möglichst billig zu möglichst viel Fleisch verarbeiten können. Wir wollen unseren Planeten vor einer Klimakatastrophe retten, die wir laufend verursachen. Wir träumen den Traum ewigen Lebens, durch Gentherapie oder die Schaffung einer Superintelligenz und drücken unsere Todesangst durch Konsum und Unterhaltung weg.

Wir fürchten das Älterwerden und versuchen diesen natürlichen Prozess irgendwie zu bremsen. Denn am Ende wartet der Tod. Bis dahin spricht aber die Welt zu uns: “Fürchte dich nicht!”, sagt sie uns. “Du kannst nicht aus der Welt fallen. Du gehörst zu mir.” Wenn wir ihr zuhören und uns ihr hingeben, wenn wir ihr vertrauen, dann verschwindet die Angst, die uns kleine Götter zurück in die Welt bringt.

 

Photo by Andre Benz on Unsplash

9 Gedanken zu „Leben nach dem Tod“

  1. Spannend deine Sicht der Dinge zu hören lieber Stephan. Einen Schritt müsstest du doch noch gehen oder nicht? Wenn die Welt göttlich bist, bist du selbst es auch. Ich warte gespannt auf den Blog in dem du sagst “ich bin göttlich”

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  2. “Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.” Vom ersten Satz der Bibel an steht das jüdisch-christliche Weltbild einer pantheistischen Vorstellung entgegen. Dies wird auch in der konsequenten Ablehnung von Götzenanbetung sichtbar, welche sich durch die ganze Bibel hinzieht.
    Das Gott in der Schöpfung allgegenwärtig ist (Ps 139, 7-8) heisst noch lange nicht das die Schöpfung Gott ist. Im Gegenteil. Gottes Immanenz, sein in der Bibel beschriebenes und von der christlichen Gemeinde bekanntes Eingreifen in die Weltgeschichte, hat als Vorbedingung seine Transzendenz.
    Wer von einer solch fundamental nichtchristlichen Grundlage aus seine Theologie betreibt kommt auch zu dementsprenden Ergebnissen. Deshalb schätze ich Stephan Jüttes Transparenz auch, weil es hilft, seine restlichen Texte und die ganze Grundausrichtung von Reflab besser einzuordnen. Religiös und spirituell ist sie zweifellos. Christlich ist sie wohl kaum.

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    • Lieber Peter,
      ich denke auch, dass weite Teile der biblischen Überlieferung kein pantheistisches Weltbild mitführen. Aber ich begreife die Religionsgeschichte auch als Lerngeschichte. Meine Theologie ist eine – nur eine – Richtung innerhalb des RefLabs. Dogmatische Festlegungen betreiben wir nicht 😉 Über die Zuschreibung “christlich” streite ich nicht. Es gibt aber auch biblische Bezüge, die in eine ganz andere Richtung weisen. Du kennst sie bestimmt!

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  3. Heute ist man, zum Glück, nicht allein auf Glauben angewiesen, wenn es um das Leben nach dem Tod geht. Nahtoderlebnisse sind ein Beleg dafür (auch wenn immer noch versucht wird, sie anders zu deuten), aber vor allem die Nachweise der Reinkarnation, wie sie von Stevenson, Tucker und anderen geführt wurden.
    In meinem Beitrag “Genetik-Reinkarnation-Kirche” – https://www.academia.edu/37936734/Genetik_Reinkarnation_Kirche – zeige ich auf, dass auch die Genetik darauf hinweist. Aber man muss da natürlich etwas tiefer eindringen, um die Beweise auch als Beweise anerkennen zu können.

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  4. Aristoteles war weder Christ, noch Jude. Von ihm ist der Satz überliefert “Wer lernen will, muss glauben.”

    Für mich, der ich evangelisch-protestantisch getauft bin, mich aber gleichzeitig fühle als “reformierter Katholik” und als “reformierter Jude”, ist die mystisch-mythologische Erzählung vom Baum der Erkenntnis – und vom Essen seiner Früchte – identisch mit der Verpflichtung zu mehr lernen, zu mehr glauben und zu mehr wissen, um irgendwann dem Ziel “Ebenbild Gottes” zu entsprechen.

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