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 Lesedauer: 6 Minuten

»Dark« – und die beste Version meiner selbst

Das ultimative deutsche Streamingmärchen

Es ist schwierig, über eine Serie wie »Dark« zu schreiben, ohne allzu viele Geheimnisse zu lüften und diejenigen zu verärgern, welche die Serie noch unverdorben schauen wollten. Andererseits ist die Geschichte von »Dark« derart komplex und verworren, dass sich ohne eingehende Erklärungen wohl nur wenige Überraschungsmomente vorwegnehmen lassen.

Nach der zweiten Staffel wurde eben darum ein (englischsprachiger) Tweet populär, der sinngemäss festhielt, Dark sei die einzige Serie, die man nicht spoilern könne, »weil gar keiner versteht, was zum Teufel hier eigentlich passiert…«

Trotzdem oder gerade deshalb ist »Dark« zu einem »deutschen Streamingmärchen« geworden: Die Serie gewann eine breite Fangemeinde weit über den deutschsprachigen Raum hinaus und wurde auf dem Bewertungsportal »Rotten Tomatoes« von 2.5 Millionen Umfrageteilnehmern zur besten Netflix-Serie überhaupt gewählt. Zahllose Zuschauer haben die vielschichtige Geschichte von vier Familien in der Kleinstadt Winden über drei Staffeln hinweg verfolgt und sich von den Ideen um Zeitreisen und alternative Welten verzaubern lassen.

»Die spannendste deterministische Show der Welt«

Letztlich ist »Dark« freilich (wie der Name schon anzeigt) eine ziemlich düstere Angelegenheit. Nicht nur weil viele Szenen bei regnerischem Wetter, in dunklen Höhlen oder zu schwarzer Nachtzeit spielen.

Die ganze Story wird auch von einem fatalistischen Ton durchzogen, der in einem Schopenhauer-Zitat mehrfach sprachlichen Ausdruck findet: »Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.«

(Zum Beispiel in S02E08, 03:15; oder in S03E01, 00:00).

Ja, es geht um Zeitreisende, die versuchen, sich in ihre eigene Vergangenheit einzumischen, um einen anderen Ausgang der Zukunft hervorzubringen. Aber sie scheitern daran nicht nur kläglich, sondern müssen immer wieder die Erfahrung machen, dass sie gerade mit ihren Interventionen just jene Entwicklungen herbeiführen, welche sie eigentlich verhindern wollten. Baran bo Odar und Jantje Friese, die Autoren und Showrunner der Serie, machen aus der dahinterstehenden Weltsicht dann auch keinen Hehl – sie bezeichnen »Dark« selber als die »vielleicht spannendste deterministische Show der Welt«.

Das Monster im eigenen Spiegel

Im Leben von Jonas Kahnwald, dem jugendlichen Protagonisten, wird das zugespitzt deutlich. Auf einer Zeitreise in die Zukunft begegnet er einem äusserlich und innerlich entstellten Menschen, einem Monster von einem Mann mit vernarbtem Gesicht und verhärtetem Herzen. Nach einer Weile dämmert ihm, dass es sich bei diesem Gegenüber um sein eigenes älteres Ich handelt, dessen Verwirklichung er fortan mit allen Mitteln verhindern will. Trotzdem kommt es natürlich, wie es kommen musste.

Die Köpfe hinter der Geschichte haben hier nach eigener Aussage bewusst mit dem Motiv des inneren Kampfes gespielt bzw. versucht, diesen nach aussen hin anschaulich zu machen:

Die Konflikte, die sich in unserem Inneren abspielen, die Kräfte, die uns in unterschiedliche Richtungen zerren und um unser Einlenken buhlen, werden in »Dark« auf die Zeitachse gezogen: Was passiert, wenn man sich von der einen oder anderen Kraft in Beschlag nehmen lässt, tritt den Figuren hier in Form ihres alternativen Selbst gegenüber.

Ein Opfer für die Zukunft der Menschheit

Nach Odar und Friese macht es das Menschsein gerade aus, Dinge bewegen und sich selbst verändern zu wollen – auch wenn man weiss, dass eigentlich alles längst ausgemacht ist. Ob die Autoren an letzteres wirklich glauben, darf allerdings bezweifelt werden.

Zwar wird die Unausweichlichkeit des Schicksals im Verlauf der Serie gebetsmühlenartig beschworen, aber die ganze Story läuft auf einen (Zeit-)Punkt zu, an dem das scheinbar Unausweichliche gerade verhindert wird. Und Jonas spielt dabei eine in beiderlei Wortsinn entscheidende Rolle: Nach den atemberaubenden Enthüllungen dreier Staffeln wird klar, dass das Unheil der Windener Familien und die Apokalypse schlechthin nur verhindert werden kann, wenn Jonas (alias Adam) und seine Freundin und Seelenverwandte Martha (alias Eva) am »Ursprungsort« aller Entwicklungen die Weichen neu stellen. Das ist aber nur möglich, wenn die beiden bereit sind, selber das ultimative Opfer zu bringen und ihre eigene Existenz für die Zukunft der Menschheit aufzugeben. (Man spürt meinen Ausführungen hier hoffentlich das Bemühen an, das Nötige zu sagen ohne zu viel von der Geschichte preiszugeben…)

Welche Version unserer selbst wollen wir werden?

Im Fluchtpunkt der weit ausgreifenden Geschichte von »Dark« steht mit anderen Worten ein Akt der Selbsthingabe aus freien Stücken, welcher den Lauf der Dinge dann doch zu ändern vermag – und mit welchem Jonas auch die Entstehung seines abschreckenden alter ego unterbindet (wenn auch um den Preis seines Lebens).

Gerade im Licht des Serienfinales und in der Scharfstellung auf Jonas und Marthas Martyrium bietet »Dark« eine Fülle philosophischer und theologischer Interpretationsmöglichkeiten. Dass die beiden eine männliche und weibliche Messiasfigur abgeben, versteht sich fast von selbst. Genau wie die Tatsache, dass »Dark« zahlreiche Überlegungen zum Wesen und zur (Un-)Hintergehbarkeit des Flusses der Zeit anregt. Der Blick auf den Konflikt der verschiedenaltrigen Versionen von Jonas wirft überdies die Frage auf, welche Tendenzen und Schlagseiten unserer Persönlichkeit mit der Zeit Oberhand gewinnen – und welchen Einfluss wir darauf nehmen können.

Lässt sich verhindern, dass wir zu einer Person werden, vor der wir uns jetzt fürchten oder ekeln würden? Können wir sicherstellen, dass wir in einigen Jahrzehnten nicht ein Monster im Spiegel erblicken? Oder, positiv gewendet: Wie können wir die beste (oder wenigstens eine möglichst gute) Version unserer selbst zur Verwirklichung bringen?

Zwei Hinweise

Jonas‘ Geschichte gibt darauf eine zweifache Antwort. Sie lautet zum einen: Nicht alleine.

Wer vor sich selber nicht einmal erschrecken will, tut gut daran, sich um Freunde, Vertraute und Wegbegleiter zu bemühen. Ohne Martha auch kein Jonas.

Und im richtigen Leben: Wir brauchen Menschen, die unser Vertrauen gewonnen haben und denen wir die Erlaubnis geben, in unser Leben hineinzusprechen; jemanden, der uns kritisch entgegentritt – nicht obwohl, sondern weil wir ihm am Herzen liegen; Vertrauenspersonen, die lange genug mit uns unterwegs sind, um unsere persönliche Entwicklung einschätzen zu können. Ohne ein solches Gegenüber sind wir uns selbst und den Eigendynamiken unserer Seele überlassen. Was eher selten zu einem guten Eregebnis führt.

Und zum anderen: Nicht ohne Hingabe.

Die Bereitschaft, sich für andere einzusetzen und dafür aus dem eigenen Mikrokosmos auszubrechen, kann die Verhärtungen unseres Herzens aufbrechen.

Ein Gespür dafür begegnet uns nicht nur in »Dark«, sondern in zahllosen Romangeschichten und Filmlegenden, deren Protagonisten sich durchringen, für etwas Grösseres zu leben als den eigenen Vorteil. Frodo in »Der Herr der Ringe«, Neo in der »Martix«, Luke Skywalker in »Star Wars« oder Jon Snow in »Game of Thrones« – sie alle lassen sich durch innere Kämpfe hindurch zu Akten der Selbsthingabe um anderer Willen bewegen. Ihre Geschichten gehen sehr verschieden aus, aber sie alle bleiben als Menschen in Erinnerung, die ohne Grauen in den eigenen Spiegel blicken konnten. Wenn dann noch klar wird, dass wir die Bereitschaft zur Hingabe nicht durch moralische Selbstverpflichtung aus uns hervorbringen, sondern dass vertraute Menschen sie in uns wecken, schliesst sich der Kreis zur ersten Antwort wieder…

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