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 Lesedauer: 3 Minuten

Keine Angst vor der Hölle (Video)

Nein, das ist keine mittelalterliche Vorstellung: Ich habe in den letzten Monaten mit mehreren Menschen gesprochen, welche aus Angst vor der ewigen Verdammtheit an Glaubenssätzen festhalten, von denen sie längst nicht mehr überzeugt sind. Und kürzlich lag ein Comic-Faltblättchen in meinem Briefkasten, in dem über 7 von 8 Seiten erklärt wurde, warum Gott jeden Menschen für ewig in die Hölle werfen wird – und auf der letzten Seite dann noch ganz kurz der Game-Changer, der Bekehrungsaufruf zu Jesus Christus.

Wenn ich daran denke, dass alle meine Nachbar*innen diesen furchtbaren Comic ebenfalls im Briefkasten hatten und damit einmal mehr der Eindruck bekräftigt wird, wie verrückt Christ*innen sind, werde ich wütend. Mehr als 500 Jahre nach der Reformation nehmen Missionierende die Hölle immer noch als Argument dazu, Menschen in den Glauben an Gott zu treiben. Ich zweifle nicht daran, dass ihre Beweggründe gut sind: Sie möchten Erlösung, Gnade und Freiheit predigen. Doch um dies zu tun, müssen sie erst mal ein schlechtes Gewissen schüren.

Was ist ein Glaube wert, der primär aus Angst kommt?

Solch ein Glaube ist nur stark, weil man vor etwas flüchtet – und nicht, weil man auf etwas zuläuft, das einen anzieht, fasziniert, Freiheit ausstrahlt.

An der Klippe hängen – und loslassen

«Ich würde gerne anders glauben und manches loslassen», sagte mir eine gute Freundin kürzlich. «Aber irgendwie ist da die Angst, dann nicht mehr gerettet zu sein.» Vorab: Wenn dies jemand so zugeben kann, empfinde ich das als wahnsinnig mutig. Wie viel einfacher wäre es, diese leise Stimme im Hinterkopf einfach auszublenden. In meinem Kopf sehe ich das Bild einer Person, die an einem Felsen hängt und sich mit aller Kraft daran festklammert, um nicht in die Tiefe zu fallen. Unter ihr gähnendes Nichts. Die Angst, zu fallen und dabei zugrunde zu gehen, und gleichzeitig das Bewusstsein, dass die Kraft nicht reicht, es je wieder auf den Felsen hoch zu schaffen.

Doch Gott ist nicht etwas, woran man sich festklammern muss. Die Felsen, welche so unbarmherzig hoch oben sind und einem die Finger wundschürfen, während man festen Griff sucht, sind Glaubenssätze, die einen nicht mehr tragen. Ich glaube, dass alle Menschen, die sich gerade an einer solchen Klippe festhalten, einen Fallschirm tragen, von dem sie noch nichts wissen. Den Fallschirm der Ehrlichkeit. Wer ehrlich ist mit sich selber, mit Gott und mit anderen Menschen, kann frei glauben.

Denn Gott ist die Luft, die meinen Fallschirm füllt, wenn ich mal loslassen muss.

Vertrauen statt Angst vor der Hölle

Das griechische Wort, das im Neuen Testament für «Glauben» verwendet wird, bedeutet auch «Vertrauen». Und darum geht es im Leben mit Gott: Um das Vertrauen, dass ich nicht zugrunde gehe, so tief ich auch falle. Dass Gottes Liebe mich hält, auch wenn ich mal was Falsches glauben sollte. Auch wenn ich in einer Dekonstruktion stecke.

Vertrauen kann auch heissen, Glaubenssätze loszulassen, wenn sie einen nicht mehr tragen. Loslassen bedeutet unter Umständen aber tatsächlich auch Verlust: Verlust von Beziehungen mit Menschen, welche mit Fragen nicht umgehen können. Womöglich der Verlust einer Gemeinschaft, Verlust von vertrauten Leitplanken.

Wenn einem der Gedanke ans Loslassen Mühe bereitet, gibt es noch eine Alternative, um die Angst vor der Hölle loszuwerden: Anstatt bloss zu glauben, weil man vor der ewigen Verdammung flüchten will, wäre es ein neues Mindset, auf etwas zuzulaufen. Auf einen liebenden Gott, der Freiheit verspricht.

Photo by Michael Shannon on Unsplash

19 Kommentare zu „Keine Angst vor der Hölle (Video)“

  1. Es gibt die Möglichkeit, sowohl das Weltgericht als auch die Versöhnung des Alls zusammen zu denken – also, dass Gott einmal mit allen seinen Geschöpfen ans Ziel kommen wird. Und das alles biblisch begründet. Ich empfehle dazu: Heinz Schumacher: Versöhnung des Alls – Gottes Wille, Paulus-Verlag

  2. Liebe Evelyne
    Einmal mehr ein interessantes Thema, das Du aufwirfst.
    Selber bin ich mit diesem Dogma aufgewachsen, habe aber schon als Kind einen liebenden Gott, der alle Menschen, welche nicht genau so tun wie er das will, in der Hölle schmoren lassen wird, nicht verstanden.
    Liebe ist immer freiwillig und ohne Freiwilligkeit wäre es keine Liebe. Von Gott heisst es, dass er selber die Liebe sei. Ich glaube, dass Gott uns Menschen ein Liebesangebot macht und uns zu einer Art Freundschaftsbeziehung mit ihm einlädt. Wie sich diese gestaltet ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich, weil wir unterschiedlich sind.
    Wenn in der Bibel steht, dass das Reich Gottes bereits auf dieser Erde beginne, dann ist es auch in uns. Ist nicht die Angst vor dem strafenden Gott, der sich von uns abwendet, wenn wir nicht tun, wie uns gelehrt wurde, bereits die Hölle? Nicht Gott straft, sondern wir strafen uns selbst. Ist die Hölle in uns selber?

    1. Evelyne Baumberger

      Liebe Christine, danke für deinen Kommentar und dein Erzählen! Ich bin total mit dir einverstanden. Zum Thema Hölle und Strafe finde ich Joh 3,17-21 sehr hilfreich. Liebe Grüsse!

    2. Liebe Christine, das mit dem Liebesangebot ist ein sehr schönes Bild. Und ich glaube an diesen liebenden Gott. Und trotzdem schaffe ich es einfach nicht, dieses Bild von einem strafenden Gott beiseite zu legen. Das belastet mich sehr. Danke für Deine schönen Gedanken dazu.

  3. Möge diese Auseinandersetzung auch auf den Umstand aufmerksam machen, dass das Wort „Hölle“ nicht in def ganzen heiligen Schrift vorkommt.
    Leider verpassen die Bibelgesellschaften gerade diesen Umstand der Korektur!!

    1. Evelyne Baumberger

      Danke für den Kommentar! Was das NT mit „Hölle“ übersetzt, „Gehenna“, ist tatsächlich sehr komplex und heute historisch und kulturell vielleicht gar nicht mehr nachvollziehbar.

  4. Danke ganz herzlich, liebe Evelyn, für diesen – einmal mehr – echten, lebendigen, „spirituellen Aufsteller“ aus Deinem Inneren!

    Deine „Positive Theologie“ erinnert mich an eine in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts entstandene Strömung in der Psychologie, die sich „Positive Psychologie“ nennt. In unserer Zeit brauchen wir wohl beides!

    „Vertrauen trotz Verlust“ entspringt der Gewissheit, dass der aktuelle Verlust einen Gewinn, vielleicht ganz anderer, zum Zeitpunkt des Verlustes noch völlig unvorstellbarerer Art, mit sich bringt, der den Verlust mehr als wettmachen wird. Und dann, tatsächlich, stellt sich ein solcher Gewinn, womöglich ganz unerwartet, eines Tages ein. Haben wir das nicht alle, wenn wir auf unser Biografien zurückschauen, schon mehr als einmal erlebt?

    Ist die altgriechische „pistis“ im Neuen Testament nicht eine Art „Urvertrauen“, wie Psychologen es genannt haben, in einen heilig-geistigen Evolutionsprozess, wie Kirstine Fratz ihn kollektiv in der Dynamik des Zeitgeistes – siehe ihre Beiträge hier auf RefLab – entdeckt und beschrieben hat?

    Leben wandelt sich stetig und dehnt sich dabei aus in lebensbejahender, liebender Lebendigkeit (= „Ewiges Leben“?). Es erstarrt weder in Angst noch rennt es von dem weg, was Angst macht. Genau das nämlich ist, wenn Du mich fragst, liebe Evelyn, die „Hölle“. Der werden wir aber mit Angst niemals entrinnen. Wer es versucht, „treibt den Teufel mit dem Beelzebub aus“.

    1. Evelyne Baumberger

      Lieber Claudio, danke, dass du dir Zeit genommen hast, ein paar Gedanken zu schreiben. Ich finde mich in vielem wieder, was du schreibst. Ich finde die Quelle nicht mehr, aber Karl Rahner soll „Ewiges Leben“ mit „Leben in Fülle“ gleichgesetzt haben. M. E. spielen sich „Himmel“ und „Hölle“, oder biblisch gesprochen: „Reich Gottes“ und „Ort des Verderbens“ in erster Linie innerweltlich ab. Und wo sich welches realisiert, darauf haben wir einen grossen Einfluss – individuell wie auch als Gesellschaft und Menschheit.
      Danke auch fürs Lob und das positive Feedback! Alles Gute dir.

  5. Hans-Peter Leiser

    Offenbarung 21
    …4und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. 5Und der auf dem Stuhl saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht zu mir: Schreibe; denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiß! 6Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will den Durstigen geben von dem Brunnen des lebendigen Wassers umsonst.…
    Das ist doch die Antwort an alle „Höllenprediger“! Die Vergangenheit ist aus und vorbei, die mir die Hölle versprach. Der Paradigmenwechsel hat stattgefunden und mein Leben wird von der Liebe Gottes ermutigt und bereichert; ja sogar geführt!

  6. Liebe Evelyne
    Es gibt nach wie vor zu viele Menschen, welche mit dieser „Höllengangst“ leben und deshalb in einem System verharren, dem sie eigentlich nichts abgewinnen können. Das ist einfach ungesund! Ich habe auch erst vor kurzem daraus ausbrechen können und kenne noch viele, die nach wie vor in dieser Situation feststecken. Cool, wenn es solche Beiträge gibt. Die kann ich dann gleich teilen :-). Weiter so 👏

  7. Liebe Evelyne, seit vielen Jahrzehnten quälen mich diese Gedanken, ja sie quälen mich mal mehr und mal weniger, diese Gedanken, die die Angst vor der Hölle nähren. Und grad heute Abend hat es mich wieder erwischt und so bin ich auf der Suche nach „Erklärungen“ im Internet auf Deine wunderbaren Hoffnungsworte gestoßen. Das hat mir jetzt sehr gut getan und ich möchte Dir ganz einfach danken für diese Worte. Ich habe gesehen, Du schreibst hier so über manche Themen und ich werde die nächste Zeit wohl öfter auf dieser Seite sein. Gottes Segen für Dich, liebe Evelyne

    1. Evelyne Baumberger

      Lieber Jürgen, danke für deinen Kommentar und willkommen in der RefLab-Community! Es freut mich sehr, dass dich mein Blogpost ermutigt und gut getan hat. Solche quälenden Vorstellungen, auch dein Bild eines strafenden Gottes, das die Vorstellung des liebenden Gottes überschattet, sitzen tief und sind schwer loszulassen. Ich wünsche dir auf deinem Weg viel Segen und dass du immer wieder Menschen begegnest, die dich wirklich ermutigen können, damit du frei wirst von diesen angstvollen Gedanken. Herzlich, Evelyne

  8. In meiner Freikirche wurde die „Heilsgewissheit“ gelehrt – sprich: wenn sich jemand „richtig“ bekehrt, bekommt er den Heiligen Geist und damit die Heilsgewissheit. Diese Heilsgewissheit war so eine Art „Ticket for Heaven“. Soweit ich mich erinnern kann, war dieses Thema für mich immer ein ziemlicher Stress.

    Klar habe ich mich bekehrt, aber habe ich wirklich alles Sündige bereit und abgelehnt? Hat mein Herz wirklich zu 100 % für Jesus geschlagen? Oder könnte es sein, dass ich wie der reiche Jüngling doch nicht ganz bereit war, Jesus GANZ zu folgen? Schickt mich Jesus auch weg? So wirklich 100 % Sicherheit, dass ich gerettet war, hatte ich nie.

    Heute bin ich 51, betrachte mich als postevangelikal, bin am De- und Rekonstruieren und suche meinen spirituellen Weg. Momentan fühle ich mich theologisch in der reformierten Kirche ziemlich wohl. Da ich in Afrika wohne, geh ich aber konkret nur noch höchst selten in eine Kirche.

    Was mich manchmal wieder einholt, ist der Gedanke: war ich vielleicht doch nie ein richtiger Christ? Hätte ich die Fülle des Heiligen Geistes mal so richtig erlebt, hätte mir diese Heilsgewissheit mal diese innere Ruhe gebracht, dann wäre ich vielleicht auch heute noch ein vorbildlicher evangelikaler brennender Christ. Ich spüre manchmal auch eine Art Angst, dass ich dann eben doch mal noch in der Hölle landen könnte, weil ich halt nicht nach der evangelikalen Theologie gelebt habe. Was ist, wenn sie dann doch recht gehabt hätten?

    Intellektuell lächle ich über diese Gedanken. Ich frage mich: was ist Wahrheit? Gibt es eine absolute Wahrheit? Woran soll ich mich orientieren? Es gibt ja jetzt niemand mehr, der mir sagt, was richtig und falsch ist. Es ist mir klar, dass ich auf einem längeren Weg bin und dass es bei vielen Fragen und Themen nicht mehr einfach richtig oder falsch gibt. Ich möchte aber meine Ängste auch irgendwie zulassen, wahrnehmen und einen gesunden Umgang damit lernen. Ich sehne mich nach einem inneren Frieden, der in diesen Kreisen immer so grossartig angepriesen wurde. Bin daher immer offen für wertvolle Inputs.

    1. Evelyne Baumberger

      Hey Daniel, danke für deinen Kommentar und für deine Offenheit!

      Dieser Satz hat mich aufmerken lassen: „Hätte ich die Fülle des Heiligen Geistes mal so richtig erlebt, hätte mir diese Heilsgewissheit mal diese innere Ruhe gebracht, dann wäre ich vielleicht auch heute noch ein vorbildlicher evangelikaler brennender Christ.“ Gab’s da nicht kürzlich ein Video eines Megachurch-Pastors, der das für alle Postevangelikalen behauptete? – Ich kann nur für mich sprechen, aber das wäre „damals“ genau das gewesen, wonach ich mich total gesehnt hätte. Dennoch habe ich es so nicht erlebt. Aber wenn ich mich jetzt deswegen hinterfragen würde, hätte das ja auch wieder mit Leistung zu tun: „Ich habe nicht gut genug geglaubt“, o. ä.

      Ich wünsche dir von Herzen, dass du diesen „inneren Frieden“ findest. Und sei er nur momenthaft. Alles Gute!

  9. Danke für diesen guten Beitrag.
    Allerdings müsste man genau hinsehen, was es denn mit der „Hölle“ überhaupt auf sich hat. Wo und in welchem Kontext steht der Begriff in der Bibel? Was ist damit gemeint und was nicht?
    Wer sich so auf den Weg macht und den Mut aufbringt, traditionelle Höllenbilder nicht mehr in diese Bibelstellen „hineinzulesen“, wird bald feststellen, dass beispielsweise Jesus von etwas anderem sprach, wenn wir in unseren deutschen Bibelübersetzungen „Hölle“ lesen.

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