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Jesus gehört auch nicht Josef

Josef Hochstrasser hat einen NZZ-Gastkommentar verfasst. Er fragt dabei nach der Möglichkeit christlichen Handelns und stellt fest, dass „christlich“ nur dasjenige genannt werden kann, das sich an den „geschichtlichen Taten (von) Jesus von Nazareth“ orientiert. Und eben dies sei gar nicht so einfach. Weil Jesus selbst keine Aufzeichnungen hinterlassen hat und die Texte, die wir im Neuen Testament über Jesus finden, Interpretationen seines Lebens darstellen.

Besonders kritisch ist Hochstrasser gegenüber Paulus. Er habe aus Jesus „einen Halbgott“, einen „Pantokrator“ gemacht. Paulus habe eine Opfertheologie entwickelt, in der Jesus sterben musste, um Gott gnädig zu stimmen. In Wahrheit wisse man von Jesus aber nur dies:

„Jesus starb den Tod eines Verbrechers. Er hat ihn konsequent auf sich genommen. Mit Lavieren hätte er sein grausames Ende verhindern können.“

Der Kern der historischen Jesus-Figur besteht gemäss Hochstrasser darin, dass dieser Wanderprediger überall dort intervenierte, wo Mächtige die Menschen unterdrückten: „Bekämpfung der Macht in all ihren Facetten greift wirklich auf den historischen Jesus zurück.“

Ein aufgeklärtes Jesus-Bild?

Das klingt so aufgeklärt, so abgeklärt und so gegenwartsrelevant! Jesus, der Kämpfer für die Unterdrückten, der Kritiker aller Macht, der Schrecken der Mächtigen.

Aber man sollte sich nicht täuschen lassen. Nur weil uns heute dieses Bild sehr gut passt, ist es noch lange nicht wahr. Nein, gerade wenn es zu gut passt, sollten wir skeptisch sein …

Paulus hat in seinem Kontext auf Jesus reagiert. Seine Frage war, wie der Gott der Juden zum Heiland der ganzen Welt werden kann, wie aus dem Partikularen das Allgemeine, aus dem Schicksalshaften das Notwendige, aus der Niederlage der Sieg werden kann und wie dieser eine Gott, den er als Jude kannte, mit diesem Jesus, den er als Messias anerkannte, zusammen hängt.

Alle Theologie spricht aus der Verwicklung in eigene Fragen und Zeitumstände heraus. Auch die Theologie von Josef Hochstrasser. Theologie gibt es nur kontextuell. Das ist überhaupt nicht schlimm. Kann doch gut sein, dass Jesus Paulus anders begegnen musste, als Hildegard von Bingen und dieser wieder anders, als einem der Liebe wegen zur Reformierten Kirche konvertierten Priester.

Das aufgeklärte Jesus-Bild kann sich nicht daran messen, dass es essenzieller, wahrer, geschichtlicher ist, als ein anderes. Es ist dann aufgeklärt, wenn es zuerst über die Kontextualität, Zeit- und Kulturgebundenheit seiner selbst weiss.

Ein selbstaufgeklärtes Jesus-Bild!

Das unterscheidet Biblizisten, Fundamentalisten und Ideologinnen von aufgeklärten Christ*innen: Sie wissen, dass sie sich den Christus machen. Dass sie ihn konstruieren, aus alten Symbolen, tradierten Texten, zuvor gedachten Ideen und all das innerhalb einer Kultur tun, die uns vorgibt, was zu denken üblich und was abwegig ist.

Wenn man das weiss, dann ist man für seinen Jesus, seinen Gott, seine Religion verantwortlich. Dann ist Jesus eine wichtige Inspiration, um die Mächtigen zu kritisieren, den Armen zu helfen oder den Biokosmos zu schützen. Aber: Wir selbst, je eigen, tragen die Verantwortung dafür.

Zu sagen, dass Jesus alle Macht bekämpft habe und christliches Handeln eben darum darin besteht, das nun auch zu tun, ist schlicht Unsinn. Und man kann nur froh sein, dass das niemand ernst nehmen wird. Jesus, der dem Kaiser geben wollte, was dem Kaiser und Gott, was Gott gehört, dessen Reich nicht von dieser Welt ist, taugt schlecht zum Anführer einer Silver-Ager-Antifa-Bewegung.

Zu sagen, dass Jesus alle Macht bekämpft habe, ist und christliches Handeln eben darum darin besteht, das nun auch zu tun, ist schlicht Unsinn.

Theolog*innen sollten wissen, wie gross die Gefahr der Projektion eigener Wertvorstellungen, Wünsche und Phantasien auf Jesus Christus oder andere religiöse Symbole ist. Christ*innen sollen sich freuen, dass ihr Gott ihnen in ihren Lebenssituationen nahe kommt und ihr auch unsere begrenzten Ideen nicht zu eng sind, er auch darin wohnen kann. Aber beide — Theolog*innen und Christ*innen – sollten sich, gerade wenn es um Gott, um Christus und um Wahrheit geht, absoluter Aussagen enthalten. Denn wenn es etwas gibt, wofür Christus heute steht – man merke die Ironie! – dann vielleicht das, dass sich keiner von uns an Gottes Stelle setzen darf. Auch Josef nicht.

5 Kommentare zu „Jesus gehört auch nicht Josef“

  1. Stephan Schmid-Keiser

    Es wird lange dauern, bis das Adjektiv «christlich» seine Tage gezählt haben wird. Es wird noch zahllose Male wiederholt werden – wird dekliniert werden zu «christlicher» oder gar zum Superlativ «am christlichsten». Wer ist schon «christlich»? Man ist es nicht einfach so. Wer den christlichen Glauben wählt, wird seine Erfahrungen damit machen und u. a. dankbar sein für die Einsichten jener Person, die im 2./3. Jahrhundert an Diognet schrieb, wie mutig und frisch sich Christinnen und Christen ans Werk machten: «… Was die Seele im Körper ist, das sind die Christen in der Welt. Die Seele ist über den ganzen Körper verteilt und die Christen über alle Städte der Welt. Die Seele wohnt im Leib, aber sie hat dort nicht ihren Ursprung. Und die Christen leben in der Welt, aber sie haben dort nicht ihren Ursprung. Die Seele ist unsichtbar und in einem sichtbaren Körper eingesperrt. Auch die Christen leben sichtbar in der Welt. Doch ihre Religion bleibt unsichtbar…» (Diognetbrief 6, 1-5)
    Das ist nicht wenig in einer Welt wie heute, die bis in ihre letzten Ecken nach möglichst gutem Image ruft – bis in diese Spalten, wo wir einander den Ball zuzuspielen versuchen. Irgendwie jedoch fielen jene, die sich zu Christus bekannten, dennoch auf. So ganz unsichtbar blieben sie nicht. In der Frühzeit nannte man sie die Leute vom (neuen) Weg – versuchten also, sich an Jesus zu orientieren. Umso wichtiger wird es, dies in dürftiger und atheistisch gestimmter Zeit zu tun.
    Immer wieder wird es um Jesus und seine Sache gehen. Das wird von uns Theologen und Theologinnen je neu dasselbe verlangen – einzugehen auf die Situation, in der wir mit anderen und unserer Mitwelt mitsamt den Systemen, die uns beherrschen, stehen. Das bedeutet – und wenn es noch so Mühe bereitet –die Geister zu unterscheiden, die am Werk sind – auch beim Interpretieren der Worte und Taten des Jesus aus Nazareth. Nicht zuletzt greife ich über den Kreis der verfassten Kirchen hinaus zurück auf literarische Stimmen unserer Zeit. Sie helfen mir mit ihrem Blick weiter beim Unterscheiden. Darum hier ein Blick in den Rückspiegel unserer Zeit, durch welche wir immer schneller zu rasen scheinen. Es ist der Blick in einen der JESUS-Texte des Schriftstellers ERNST EGGIMANN, welche 1972 im Verlag der Arche in Zürich erschienen sind.
    jesus / in dieser welt voller berechnung / wo jeder / vor jedem / nur immer der erste / sein will / ist / jeder erfolg / der misserfolg / eines andern //
    blase / meinen ehrgeiz / in alle wolken / lass mich / der letzte sein / lächelnd leicht dinge tun / unberechenbar / kindisch / zum kopfschütteln //
    wenn jeden tag / dein reich kommt

    P. S. Es sind zwar keine ironischen Fragen, denen wir uns hier zu stellen haben. Wer Jesus wirklich war und welches Bild wir von ihm machen? Diese Fragen bleiben aktuell – solange wir uns von ihnen treffen lassen und unseren Beitrag an eine solidarische Welt zu leisten bereit sind – wo immer wir auch politisch stehen mögen.

  2. Vielen Dank, Herr Jütte, für den Beitrag! Nach der Lektüre hatte ich den Eindruck, ja so ist es. Man kann nicht viel dagegen sagen. Dann stellte sich aber doch ein unbefriedigtes Gefühl bei mir ein. Da fehlt etwas.

    Sie zitieren mehrere Glaubensrichtungen, die aus der Sicht eines aufgeklärten Christentums alle ein «Ismus» angehängt bekommen. Sie können das in einem Aufwasch tun, weil Sie nicht auf Inhalte eingehen. Sie wählen ihren Ansatz an der Wurzel, bei der Erkenntnistheorie: Wie kommen Glaubensätze überhaupt zustande? Sie sind konstruiert.

    So sagt der Konstruktivismus. Alle Religion ist konstruiert. Jeder ist verantwortlich für das, was er glaubt. «Das unterscheidet Biblizisten, Fundamentalisten und Ideologinnen von aufgeklärten Christ*innen: Sie ((letztere)) wissen, dass sie sich den Christus machen. Dass sie ihn konstruieren, aus alten Symbolen, tradierten Texten, zuvor gedachten Ideen und all das innerhalb einer Kultur tun, die uns vorgibt, was zu denken üblich und was abwegig ist. Wenn man das weiss, dann ist man für seinen Jesus, seinen Gott, seine Religion verantwortlich.»

    Der Konstruktivismus ist eine mächtige Stimme im Geistesleben. Stimmt es aber auch? Vielleicht spielt es auch eine Rolle, von welcher Position aus man spricht.
    Ich war 20 Jahre lang Gemeindepfarrer, für mich war es immer klar und nicht hinterfragbar, dass Kirche Verantwortung hat für die Menschen in ihrem Bereich, die den christlichen Glauben im Alltag leben. Da ist nicht alles erlaubt und nicht jede akademische Strömung eignet sich für eine Kirchliche Theologie.

    Vielleicht kann man es mit dem ersten Artikel des Heidelberger Bekenntnisses erläutern: Kriterium ist ein Glaube, mit dem sich leben und sterben lässt.
    Wie dieser Glaube aussieht, ist damit inhaltlich noch nicht bestimmt, es schlägt aber einen Pflock ein in der äusseren Realität, es verbindet die Glaubensrede mit dem Leben und den Notwendigkeiten des Lebens in der äusseren Welt. Es hebt die Beliebigkeit konstruktivistischer Ansätze auf. Ja, jeder kann glauben, was er will. Er kann sich alles Mögliche ausdenken, aber es ist die Frage, ob er damit leben und sterben kann. So ist im christlichen Glauben nicht alles relativ. Es gibt Inhalte, über die man streiten kann.

    Klar ist das Subjekt am Zustandekommen von Erkenntnis beteiligt. Das macht aber nicht jede Aussage sinnlos, weil es so etwas wie eine «Wahrheit» ohnehin nicht gäbe. Es gibt Unterschiede, wie Behauptungen zustande kommen und wie sie sich bewähren.

    Der Konstruktivismus enthebt uns nicht der mühevollen Aufgabe, im Einzelnen zu diskutieren, was der christliche Glauben an unserem Ort und zu unserer Zeit sein soll. Dabei muss der Abgleich nicht nur mit biblischen oder theoretischen Schriften erfolgen. Jeder Glaubenssatz muss sich auch im Leben bewähren.

    1. Herzlichen Dank! Ich finde mich besonders im Grundanliegen wieder. Es geht um mehr, als um überzeugende Konstruktionen von Gott und Welt. Es geht um einen Glauben, der aufs Ganze, also aufs Leben und aufs Sterben geht. Gerade solch ein Glaube erlebt sich selbst doch aber darin als Wunder, dass er über sich weiss, dass er keiner Notwendigkeit folgt und er nicht Wahrheit im starken Sinne beanspruchen kann und gleichzeitig doch die Wirklichkeit und die Weltdeutung von ihm abhängt. Genau darum: Jeder Glaubenssatz muss sich im Leben bewähren. Und die Währung ist Ver–Antwort–und 😉

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