Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 7 Minuten

Jesus Christ Superstar

Eine schillernde Persönlichkeit

Eine Abendveranstaltung. Menschen sammeln sich in Grüppchen um das Buffet. Die Gläser klirren, leeren sich, füllen sich, klirren. Sehen und gesehen werden, dabei nicht negativ auffallen und bestenfalls mit den wichtigen Menschen ein Wort gewechselt haben. Dabei warten sie alle nur auf diesen einen Gast.

Jesus ist dieser eine Gast. Der eventuell kommt, von dem alle gehört haben, mit dem jeder schon mal reden wollte, den man sehnsüchtig erwartet. Der allein durch seine Anwesenheit die ganze Veranstaltung aufwertet.

Jesus in seiner Transzendenz und Immanenz übt eine Faszination aus, die verarbeitet werden will.

Wie würde er heute aussehen? Was würde er heute tun? Wie könnte ich ihm begegnen? Mit wem würde er heute anstossen? Wer oder was ist der Jesus unserer Zeit?

Alles Fragen die sowohl mehr als auch minder religiös interessierte Menschen umtreibt. Grund genug sich popkulturell mit Jesus auseinanderzusetzen.

Metaphorisch gesprochen: Er ist der gern gesehene Gast auf dem Get Together der Popkultur der letzten Jahrhunderte. Jesus als Superheld in Comics, ebenso wie als Figur in der Kunst. Die Opferthematik wird in etlichen Filmen der letzten 100 Jahre aufgegriffen, Jesus als Erlöserfigur, ein Aussenseiter, der zum Helden wird. The list goes on…

Die Referenzen sind vielfältig. Auch die Popmusik kommt nicht ohne ihn aus. Die Liste der Künstler:innen, die sich in ihren Songs seines Namens bedient haben, ist lang.

Late to the party

Namedropping in der Popmusik ähnelt der anfangs beschriebenen imaginären Abendveranstaltung. Wenn der Name fällt, wenn dieser eine Gast erscheint, verändert sich die Bedeutsamkeit der ganzen Veranstaltung.

Oder im Falle von Popmusik, die Bedeutsamkeit und Autorität des jeweiligen Songs. Spätestens mit Jesus kommt die Glaubwürdigkeit. Jesus funktioniert als stiller Relevanz-Pusher für die Botschaft des Songs.

Wenn Jesus drin steckt, muss es den Musiker:innen ernst sein.

Late to the Party ist vermutlich jede:r, der/die noch keine Jesus-Bezüge in seiner Musik verarbeitet hat. Da muss man sich nur mal den Spass machen und bei Spotify «Jesus» in die Suchmaschine eingeben. Von Marylin Manson über Depeche Mode bis hin zu Genesis und Florence and the Machine. Es gibt sogar einen eigenen Wikipedia Eintrag zu Jesus in der Popmusik.

Dabei changiert die inhaltliche Bandbreite zwischen Figuren, die mit Jesus parallelisiert werden, wie in «Jesus of Suburbia» von Green Day, bis hin zu Liedern, die der Figur gewidmet sind, wie «Jesus» von Queen. Oder ganze Alben, die religiös geprägt sind, so Kanye West mit «Jesus is King» und Lady Gaga mit «Born This Way».

My personal Jesus

Spiritualität ja, Kirche nein. Religion schwierig, aber einen Jesus kann man immer irgendwie mit reinnehmen. Jemand, auf den sich alle einigen können, oder zumindest an ihm abarbeiten. Sei es durch persönliche biografisch-religiöse Prägung oder den Wiedererkennungswert der biblischen Figur und Geschichte.

Jesus löst etwas aus in den Menschen. Ob das nun positiv oder negativ ist, sei dahingestellt. Jesus ist eine Referenzfigur, durch welche die im Songtext verarbeiteten Inhalte, manchmal auch die eigenen Erfahrungen, in einen spirituellen oder religiösen Kontext gesetzt und dadurch um eine weitere Deutungsebene bereichert werden.

Wenn The Lumineers in «Sleep on the floor» von dem Ausbrechen aus festgefahrenen Strukturen singen, beschreiben sie dieses wie ein Weltuntergangsszenario und konstatieren:

«If the sun don’t shine on me today/ If the subways flood and the bridges break/ Jesus Christ can’t save me tonight»

Hier wird dem Rettungsmotiv aus dem Glauben die Eigenverantwortung gegenübergestellt.

Jesus wird auch zur Reflexionsfläche für menschliche Bedürfnisse und damit auch Projektionsfläche für die Künstler:innen. Durch ihn können sie sich mit dem zuweilen als unzulänglich empfundenen, eigenen menschlichen Verhalten versöhnen. Oder zumindest die eigenen Ambivalenzen besser aushalten. Lady Gaga singt in ihrem Song:

«I wanna love you/ But something’s pulling me away from you/ Jesus is my virtue, Judas is the demon I cling to, I cling to.»

Jesus loves me

Sein Name kann zu einem Ausdruck einer externalisierten Annahme des literarischen Ichs werden. Wenn Jesus mich annimmt, so wie ich bin, besonders wenn ich es selbst nicht kann, erfahre ich das, wonach wohl jedem Menschen dürstet. Bestätigung von aussen, die ich mir selbst nicht geben kann. Wenn ich mit Jesus auf einer Party bin, kann ich mich in dem Glanz seiner Anwesenheit und Grossmütigkeit sonnen.

Oder um mit Genesis zu sprechen:

«Jesus he knows me and he knows i’m right.»

Der Song kritisiert sogenannte «Fernsehprediger», welche die Autorität der Figur hernehmen, um das eigene Handeln, egal wie fragwürdig es ist, zu rechtfertigen.

Dem gegenüber stehen Texte, die die Menschlichkeit und damit auch Bedürftigkeit von Jesus ins Zentrum stellen. Ein Gott, der auch Mensch ist und  auf uns als Menschen angewiesen ist. In dem Song «Jesus etc.» heisst es:

«Jesus, don’t cry/ You can rely on me, honey/ You can combine anything you want/ I’ll be around»

Es geht in dem Song nicht nur um die Frage des Gottverhältnisses, sonder auch um den Umgang der Menschen miteinander, der von biblischen Lehren und Jesus als ethischem Vorbild mitgeprägt wurde.

If you believe

Während Jesus ohne weiteres und auf unterschiedlichste Art und Weise für Songtexte benützt werden kann, sind die Themen Glaube, Gott und persönliche Bekenntnisse aus rein wirtschaftlicher Sicht für Musiker:innen nicht besonders ertragreich.

«Wenn ein Künstler bei uns über Gott und Glaube singt oder erzählt in der Öffentlichkeit, dann sind die Menschen direkt unangenehm berührt. Wer sich musikalisch zu seiner Religion bekennt, der wird nicht mehr so ganz ernst genommen, und kann den großen wirtschaftlichen Erfolg direkt vergessen.» (Buchautor Renardo Schlegelmilch)

Musik muss kompatibel sein. Die Inhalte sollten für ein breites Publikum anschlussfähig bleiben und dürfen dabei trotzdem etwas provozieren. Persönliches religiöses Bekenntnis jedoch provoziert nicht, sondern führt eher zu Abgrenzung und Irritation. Besonders deutlich zeigt sich dies bei dem deutschen Künstler Xaiver Naidoo, der sich durch radikal-religiöse Positionierung viel Kritik eingehandelt hat.

Take me to church?

Die institutionalisierte Glaubensausübung ist als Thema für Popsongs natürlich total unsexy. Die Kirche ist für viele schon lange nicht mehr cool. Kritik an der Institution ist gemeinhin akzeptiert. Audio 88 thematisiert in dem Song «Halleluja» auf ironische Weise die von vielen Religionsgemeinschaften vorgegebenen Verhaltensvorschriften.

«Erhebe niemals die Hand gegen deinen Nächsten/ Es sei denn, er bewegt sich zu langsam auf dem Gehweg/ Es ist ein Irrglaube! Verlasset nicht den Pfad der Tugend/ Und esset euren Döner draußen und nicht in der U-Bahn/ […] Ich empfing diese Worte aus den Wolken (Amen)/ Wollt ihr dorthin, solltet ihr mir folgen (Amen)/ Oben ist für alle genug da und ich hab hier unten meine Ruhe (Halleluja!)»

Provozieren ist erlaubt und wer religionsunabhängig über seine persönliche Glaubenspraxis spricht, kann auch mit mehr Wohlwollen rechnen.

Die Menschen setzen sich heute individualistisch und vielfältig mit ihrer Spiritualität auseinander und holen sich, was für sie funktioniert. Das befördert auch, dass Popsongs individuell gedeutet und als spirituelle Ressource genutzt werden können.

One of us

Die Verarbeitung von Glaubens- und Religionsthemen in der Popmusik bleibt genauso aktuell, wie im positiven Sinne diskussionswürdig. Jesus als all time favourite, wird wohl immer wieder seinen Weg in die Texte der Popmusik finden. Ebenso wie Menschen wohl niemals aufhören werden zu fragen, nach Jesus, Gott und der Welt.

«If god had a face what would it look like/ and would you want to see/ if seeing meant that you would have to believe/ in things like heaven and in jesus and the saints/ and all the prophets»

Foto: Mads Schmidt Rasmussen @unsplash

Ein Interview mit Renardo Schlegelmilch zu Religion in der Popmusik: «Zwischen Vatican Blues und Himmelstür.»

«Man kann gläubig sein und KISS hören», ein Gespräch mit Prof. Dr. Stefan Greif.

2 Kommentare zu „Jesus Christ Superstar“

  1. Jesus ist halt ein Reizwort, auf das man hinhört. Ich habe das Gefühl, viele Songwriter:innen reflektieren das gar nicht so genau. Wichtiger ist das gute Gefühl bei der Aussage. Gerade beim letzten zitierten Songtext «What if God was one of us» ist man am Schlus doch ziemlich ratlos, was die Texter damit sagen wollten. Und dieser Effekt ist sicher so gewollt. Es geht ums Kratzen an der Oberfläche.

  2. Seitdem ich vor zwei Jahren nach einem zweiundfünfzig Jahre währenden Leben in bis dahin kompletter Blind – und Taubheit sehend und hörend für das Evangelium werden durfte, wundert es mich nur noch, wie hilflos der Mensch herumrudert in dem Meer der Heilsversprechen und das EINFACHSTE nicht versteht:
    Wir sind sündige Menschen in einer gefallenen Welt, wir brauchen Gemeinschaft mit Gott, um seiner Gnade teilhaftig zu werden. PUNKT.
    Und das tut erstmal weh denn dann ist es vorbei mit Lügen, Betrügen, sich für toll halten oder sich vom Menschenfeind , dem Teufel Songtexte in die Feder diktieren lassen etc.
    Aber man wird belohnt. Mit einem überwältigenden Frieden und einer wunderbaren Ruhe. Das kann dir keine Yogastunde, kein Wellnesswochenende und keine Droge dieser Welt schenken. Der Mensch ist NICHT Gott, sondern eine Marionette des Teufels. Und der Herr ist dermaßen cool und souverän und geduldig, dass er sich Zeit lassen kann, bevor er wiederkommt und dem schrecklichen Treiben ein Ende macht. Bis dahin gilt Epheser 5,14.

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