Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 5 Minuten

Im Flow

Diese Geschichte hat mir schon immer gut gefallen. Sie schildert die Begegnung zweier Männer. Eine Begegnung, die abhebt. Oder anders: Es «fägt» zwischen den beiden. Dabei deutet – von aussen betrachtet – erstmal nichts darauf hin, dass sich die beiden treffen und gut verstehen würden.

Die Geschichte

Zachäus, Chef des Zolls von Jericho, den er in einer Art Franchising betreibt, hat sich seinen Reichtum nicht nur mit legalen Mitteln erworben. Als er erfährt, dass Jesus in die Stadt gekommen ist, will er ihn unbedingt sehen. Ein nicht ganz einfaches Unternehmen, denn das Gedränge ist gross und Zachäus ist klein. Es sieht so aus, als ob Zachäus schon Übung darin hätte, seine Kleinwüchsigkeit zu kompensieren. Er überlegt, auf welcher Route Jesus durch die Stadt läuft, sucht sich einen Maulbeerfeigenbaum an der Strecke und klettert hinauf.  Als Jesus zum Maulbeerfeigenbaum kommt, schaut er hoch und sagt zu Zachäus: Los komm herunter, ich komm heute zu Dir. Und Zachäus kommt sofort herunter und nimmt ihn voller Freude mit nach Hause.

Es passt

So unvorhersehbar die Begegnung war, so reibungslos ist sie verlaufen. Kein Hindernis, kein Missverständnis. In meiner Fantasie feiern die beiden bei Zachäus zu Hause ein Fest der ungetrübten Begegnung, bei der Zachäus die Rolle des grosszügigen Gastgebers und Jesus die Rolle des aufgeräumten Gastes einnimmt.

Es gibt diese Begegnungen, in denen beide im anderen das Versprechen erkennen, das sie füreinander sind.

Man freut sich aneinander und ist offen füreinander. Beide senden und empfangen auf derselben Wellenlänge. Die Themen fliegen ihnen nur so zu. Man versteht sich, regt sich an, spielt sich gegenseitig die Bälle zu. Essen und Trinken tragen das Ihre zum Gemeinschaftlichen bei. Alles passt. Es fliegt. Glück pur.

Es ist, wie es ist

Was genau Zachäus bei Jesus gesucht hat, wird nicht erklärt. Das scheint nicht wichtig zu sein. Er will ihn einfach unbedingt sehen. Vielleicht war Jesus eine Art Promi für ihn, von dem er gehört und über den man geredet hat. Vielleicht hat Zachäus das Schillernde an Jesus angezogen. Die einen haben ihn bewundert, die anderen über ihn geschnödet. Die einen sehen in ihm einen Heiligen, die anderen einen Landstreicher, der den Leuten die Zeit stiehlt und für Unruhe sorgt. Menschen, die polarisieren, sind interessant. Ich verstehe, dass Zachäus ihn sehen will, wenn er schon mal in der Stadt ist.

Warum Jesus hochschaut und Zachäus entdeckt, weiss man auch nicht. Auch das scheint nicht wichtig zu sein. Vielleicht haben sich die Blätter bewegt und er hat hochgeschaut und gedacht: Was macht der denn da oben?

Was wichtig ist

Wichtig ist, dass beide aufeinander aufmerksam werden: Zachäus auf Jesus, den er darum unbedingt sehen will. Und Jesus auf Zachäus, den er darum vom Baum herunterholt.

Eigentlich braucht es gar nicht so viel, damit eine Begegnung stattfinden kann, die die Beteiligten glücklich macht und das Leben zum Fest werden lässt.

Eine Portion Offenheit und Neugier von beiden Seiten. Und die Bereitschaft, die gewohnten Bahnen zu verlassen.

Für das, was es zu gewinnen gibt, ist der Einsatz überschaubar: eine Geste der Selbstermächtigung. Ein Anstoss von aussen.

Reality-Check

Ich habe die Geschichte noch nicht zu Ende erzählt. Nach dem Flow der Begegnung kommt die Landung, und mit ihr der Reality-Check: Was ist da gerade passiert?

Darauf gibt es eine doppelte Antwort. In den Augen derer, die die Szene mitverfolgt haben, hat sich Jesus mit dem falschen Typen eingelassen. Sie sind höchst unzufrieden.

In den Augen von Zachäus selbst hat sich Jesus ebenfalls mit dem falschen Typen eingelassen, nämlich mit ihm. Aber das soll nicht so bleiben. Er ist mehr als zufrieden.

Auch die Realität will verstanden werden

Der Reality-Check führt in beiden Perspektiven zum gleichen Ergebnis: Zachäus ist ein falscher Typ. Doch es werden daraus sehr unterschiedliche Schlüsse gezogen. Während die Zuschauer sich mit spitzen Fingern von Zachäus distanzieren, weil sie mit so einem nichts zu tun haben wollen, wird die gleiche Erkenntnis bei Zachäus zum Bekenntnis zu sich selbst: «Stimmt, ich habe ein Vermögen angesammelt, während andere arm sind. Stimmt, einiges davon habe ich mit unlauteren Mitteln erpresst. Aber das soll nicht so bleiben. Ich teile mit den Armen und das Erpresste gebe ich vierfach zurück.»

Reiner Überschwang

Zachäus wächst über sich selbst und über sein Vermögen hinaus in ein überschwängliches Geben.

Es ist der Flow der Begegnung, der angesichts der Realität nicht crashed, sondern der die Kraft hat, die Realität zu verändern.

Eine parteiische Geschichte

Die Geschichte schlägt sich auf die Seite von Zachäus. Sie hat es darauf angelegt, dass auch die Leserinnen und Leser vom Flow dieser Begegnung erfasst werden. Es ist eine Verführungs-Geschichte.

Die Geschichte würde sich nicht so verhalten, wenn sie nicht wüsste, dass es im Alltag für ein distanzierendes und strategisches Verhalten vernünftige Gründe gibt. Sie plädiert für einen Übermut, der seinen Preis hat; und seinen Gewinn.

Die Geschichte sagt: Im Übermut liegt das Heil. Eine steile These. Mir gefällt sie.

 

Wer die Geschichte nachlesen will; sie findet sich: Lukas 19, 1-10

In der Bibel gibt es dazu eine Gegengeschichte, über die Markus Huppenbauer neulich einen wunderbaren Blogbeitrag geschrieben hat. Den finden sie hier.

 

Photo by Armand Khoury on Unsplash

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