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 Lesedauer: 4 Minuten

Möchten Sie auch ein glanzvolles Leben führen?

Ich plädiere in diesem Beitrag für ein glanzvolles Leben, wenngleich etwas anderer Art. Dafür greife ich auf eine alte, abgründige Geschichte zurück. (Die Quellenangabe finden Sie am Schluss des Textes.)

Die Frage nach dem wahren Leben

Ein reicher junger Mann geht zu einem spirituellen Meister und fragt ihn: Was muss ich tun, um «ewiges Leben» zu erhalten. «Ewiges Leben»? Ja, bitte lesen Sie weiter, das ist nichts, vor dem man intellektuell erschrecken müsste.

Ich glaube nicht, dass wir diesen Ausdruck heute wirklich verstehen. Ein «Leben nach dem Tod», das verstehen wir doch darunter, Fromme wie weniger Fromme. Besser würden wir von einem Leben reden, das schon vor dem Tod bedeutungsvoll ist. Ein Leben, das gelingt, etwas professoral gesagt, ein wahres Leben. Sagen wir es salopper: Thema ist, was im Leben wirklich zählt.

Befolge die moralischen Gebote!

Die Antwort des Meisters auf die Frage des reichen Mannes? Ganz prosaisch: Halte dich an die bekannten Gebote der Moral! Töte nicht, stiehl nicht, lüge nicht, verleumde nicht, betrüge nicht!

Ehrlich gesagt, mich enttäuscht diese Antwort: Natürlich, moralische Gebote zu befolgen ist nötig, damit sich unser Leben in Respekt und ohne Verletzungen vollziehen kann. Aber haben wir damit wirklich gelebt? Soll das Ticket zum wahren Leben im Befolgen moralischer Normen bestehen? Fehlt diesem Leben nicht der Glanz?

Ein verrücktes Angebot

Der junge Mann allerdings hat kein Problem mit der Antwort. Er behauptet die moralischen Normen vollumfänglich zu befolgen. Es fällt auf, dass der Meister diese Aussage nicht hinterfragt. Er mag den Reichen, und erwidert: Ja, wenn das so ist, dann fehlt dir eigentlich nur etwas. Gib deinen Reichtum auf, verkauf was du hast, gib deine Güter den Armen. Lass uns gemeinsam durchs Land ziehen, da wohin das Leben uns treibt, den Menschen begegnen, mit ihnen Brot und Wein teilen, und ihnen Geschichten über das wahre Leben erzählen. Glaub mir, so wirst du erleben, was ein Leben wirklich reich macht.

Ich frage Sie: Wer würde sich denn auf so etwas Verrücktes einlassen? So überrascht es nicht, dass der junge Mann in gedrückter Stimmung weggeht.

Trügerischer Glanz

Wie reagiert der Meister? Er wendet sich an die Anwesenden: Ja, für die Reichen, die Menschen, die viel haben, ist es wirklich schwer, ein wahres Leben zu führen. Er fährt fort: «Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in das Reich Gottes».  Auch wenn es ein sehr archaisches Bild ist, die Sache ist klar. Wenn es um das geht, was im Leben wirklich zählt, stehen die Reichen auf der Verliererseite. Wer sein Herz an Reichtum, Macht und Erfolg hängt, wird vielleicht ein glamouröses Leben führen, aber dieser Glanz kann trügen.

Die entscheidende Frage

Einige sehen in der Aussage des Meisters eine grundsätzliche, moralische Kritik am Reichtum. Die Lebenslüge des reichen Mannes, aller reichen Menschen, würde also darin bestehen, dass sie diese moralische Kritik nicht kapieren. Der Glanz des Geldes blendet sie. Stimmt das wirklich?

Es kann, jedenfalls in dieser Geschichte, schon deshalb nicht stimmen, weil der Meister die moralische Integrität des jungen Mannes nicht bezweifelt. Dass dieser auf seinen Reichtum nicht verzichten mag, ist kein moralisches Problem. Er befolgt ja die moralischen Gebote. Die Geschichte fokussiert darauf, dass der junge Mann sich auf das Angebot des Meisters nicht einlässt.

So geschehen lautet die entscheidende Frage: Wie können wir uns auf das, was im Leben zählt, wirklich einlassen? Müssen wir resignieren und scheitern wie der Mann in der Geschichte?

Die paradoxe Intervention

In der Geschichte folgt, wie ein Blitzstrahl, diese Antwort: «Bei Menschen ist es unmöglich, nicht aber bei Gott. Denn alles ist möglich bei Gott.» Was für eine Versuchung, das subversive Erleuchtungspotenzial dieses Satzes durch unsere Interpretationen zu verhindern.

Er macht keine metaphysische Aussage über die Allmacht Gottes. Er lässt stattdessen unsere moralische Logik ins Leere laufen. Er unterläuft die Erwartungen bezüglich dessen, was im Leben wirklich zählt. Punkt.

Er sagt, was im Leben zählt, ist doch immer schon da, es funkelt, leuchtet und glänzt, aber vielleicht nicht so, wie ihr es erwartet. Macht die Augen auf, lasst euch darauf ein. Punkt.

Was im Leben wirklich zählt

Ich beginne, und Sie machen weiter? Die gelungenen und weniger gelungenen Begegnungen mit unseren Lieben, der Spaziergang durch einen sonnendurchfluteten Morgenwald, das Krachen der Kruste eines frisch gebackenen Baguettes, die Riffs einer Gitarre, die sich wie klirrende Eiswände auftürmen, die poröse Haut eines sterbenden Menschen, das politische Einstehen für das, was im Leben wirklich zählt, der höfliche Blick eines Junkie, dem ich eine Münze gebe, der erfolgreiche Abschluss eines ambitionierten Projektes mit Berufskolleg*innen, und ja, auch dies: der Gegner, der mich klein machen will … Nichts hindert uns zu sagen, gerade dies gebe dem Leben Glanz.

Möchten Sie auch ein glanzvolles Leben?

 

PS: Wer die Geschichte nachlesen will, kann das im Neuen Testament, im Markusevangelium, Kapitel 10, 17-27.

 

Photo by Hope Aye from Pexels

5 Kommentare zu „Möchten Sie auch ein glanzvolles Leben führen?“

  1. Schöner und anregend Text!
    Andere Traditionen kennen ähnliche Überlegungen, Offenheit, Aufnahmebereitschaft, schärfen des Sensoriums – und dann ist alles schon da. Geschehen lassen – und es geschieht. So heisst es im Tao Te King: „Handle das Nicht-Handeln. Bewältige die Aufgabe der Aufgabenlosigkeit. Schmecke das Geschmacklose. Nehme das Kleine für gross. Nehme das Wenige für viel.“ (Ausgabe von Hans-Georg Möller, Kap. 26)

    1. Markus Huppenbauer

      Danke für diesen Kommentar. Dieser gefällt mir umso mehr, als ich den Eindruck habe, dass Jesus in dieser Geschichte in der Art einer der religiösen Lehrer auftritt, wie wir sie aus der frühen taoistischen und der zen-buddhistischen Weisheitsliteratur kennen.

  2. Spannende Geschichte Markus, es reicht offensichtlich nicht, nur die moralischen Grundsätze zu befolgen. Du beschreibst einige Dinge, die im Moment auftreten und die ich, wenn ich sie bewusst wahrnehme, auch wertschätzen kann. Glanzvoll hat etwas mit glänzend, strahlend, leuchtend zu tun, das ist mehr eine äußere Qualität. Wie steht es mit einem erfüllten, sinnvoll erlebten Leben, mehr eine innere Qualität. Wie kann ich diese mehr erreichen?

    1. Markus Huppenbauer

      Danke, für diesen Kommentar, Thomas, der einen guten Punkt aufnimmt. Ich würde innen und aussen nicht so stark trennen, wie du es vorschlägst. Das Wahrnehmen (!) des Glanzes, der auf den Dingen liegt, hebt m.E. die Unterscheidung von Innen und Aussen gerade auf. Ein Problem für meine These liegt natürlich darin, dass das Leben nicht immer glänzt, oft grau und schwer ist. Was dann? Wenn es Menschen gelingt, solche Situationen zu bewältigen, sie in ihr Leben zu integrieren – könnte man das nicht auch eine Form des Glanzes nennen? Ein Aufscheinen von Sinn im Fragmentarischen und Gebrochenen? Aber vielleicht stösst man hier an die Grenzen der Metapher.

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