Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 5 Minuten

Herr, du kennst all mein Begehren…

Prolog

Manchmal höre ich Schlagermusik. Ich schäme mich nicht dafür. Einfacher Rhythmus, tolle Texte. Und so eingängig. Einen Stern, der Deinen Namen trägt… und schon hat man den Ohrwurm. Über Würmer will ich heute nicht schreiben, sondern über Sterne. Und zwar den Genderstern. Dieser * hier steht aber nicht für einen Stern, viel mehr ist es ein Asterisk, der auf eine Erklärung hinweist, die Sie unterhalb des Textes finden. So vermeiden Sie Überraschungen beim Lesen.

Sorgen über meine Blase

Wie üblich starte ich mit dem Verhörer der Woche, und zwar ist es diesmal ein Verschreiber: Mein Natel auto-korrigierte «Safenwil» auf «Komasaufen» um.

Da stellen sich mir einige Fragen. Muss ich mir Sorgen machen über meine Internet-Blase? Wie steht es um die Lebern der Dorfjugend im schönen Ort Safenwil? Und wie alt ist dieses Bloggy, wenn es noch Natel schreibt?

Nun, ich mag einfach den Begriff vom «nationalen Autotelefon» besser als «Handy», weil das heisst nichts Anderes als «praktisch» auf Englisch, und praktisch sind die Dinger ja nun wirklich nicht. Wie obiges Beispiel zeigt.

Apropos Alter. Die ersten 40 Jahre meines Lebens war ich der Meinung, ich hätte der Welt nichts zu sagen. Als ich vor zwei Monaten angefragt wurde, für das Reflab zu Bloggen, erlaubte ich mir einen Moment der Schwäche und sagte zu. Darüber bin ich rückblickend sehr froh, denn dieses öffentliche Schreiben ist unglaublich bereichernd. Ich meine damit die Reaktionen darauf, in Form von Kommentaren und Schreiben. Man erfährt einiges über den Zustand der Volksseele. Ich glaube heute besser sagen zu können, was das Schweizy bewegt.

Damit auch Sie, geneigtes Lesy, erfahren, wie es um die Gefühle unserer Bevölkerung bestellt ist, hier eine lose Zusammenfassung:

«Lea nimmt immer Mokka.»

Die Illusion der Macht

Verschiedene Leute sind an mich getreten. Besonders das Dilemma der Joghurtwand scheint den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Person Lea nimmt immer Mokka und Erdbeere, fertig, seit Jahren, es sei ihr schlicht zu blöd. Person Jan schreibt, sie hätte das Thema an der Uni mal gehabt. Die Menschys wollen möglichst viel Auswahl, entschieden sich dann aber letztlich doch für Aprikose. Die Aprikose hätten sie auch bei weniger Auswahl genommen.

Aber die schiere Masse gaukelt ihnen vor, sie hätten freiwillig den besten Entscheid gefällt, nach reiflichem Abwägen. Und bei wenig Auswahl wäre es eben eher ein Müssen gewesen, und weniger frei.

Insofern ist die Joghurtwand eine Parabel für den menschlichen Drang nach Freiheit.

Haben sie diese endlich erlangt, wollen sie aber dann das gleiche wie in der Unfreiheit. Ich bin mir da noch nicht ganz sicher und ziehe mich für weitere Überlegungen zurück. In eine Höhle, wie im Gleichnis nach Person Platon, und starre an die Wand, mir Schatten von Joghurtbechern vorstellend.

Hilfreiche Denkanstösse dazu liefert  auch – und damit sind wir bei der Empfehlung der Woche – der  Roman von Person Sibylle Berg «GRM Brainfuck». Sie schreibt auf Seite 105:

»Entscheidungen sind die Illusion, Macht zu haben.«

Hilfreicher Algorithmus

Person Daniel Lehmann aus Burgdorf hat sich übrigens auch gemeldet (Vielleicht erinnert sich noch jemand: ich habe Danis Postizäddel kopiert). Per Mail fragt sie nach meiner Telefonnummer. Ich gebe sie ihr. Fühle mich verpflichtet. Schliesslich habe ich ja einfach ihren Namen verwendet. Dann klingelt es. Mir ist bang, doch ich freue mich gleichzeitig auf das Gespräch.

Sie sei kein Migros- sondern Coop-Kind, ausserdem sei ihr das Problem mit den Joghurts fremd, sie kaufe alles online. Wegen Corona, frage ich. Nein, sie wohne in einer WG und dort hätten sie so eine App. Ja, aber ob in der App nicht auch eine Riesenauswahl an Joghurts käme? Theoretisch schon, aber ein Algorithmus schlägt ihr ihre Präferenzen vor, wohl aufgrund von Aktionen, letzten Einkäufen, etc.

Womit wir wieder bei der Internet-Blase sind. Man kann diese übrigens auch täuschen. Vielleicht haben Sie, liebe Lesys, das auch schon gemacht. Einfach mal das Geschlecht ändern. Ich meine nicht gleich eine Operation. Sondern im Netz. Es ist doch wunderlich, warum ich bei einer schlichten Bestellung von Kaffeekapseln eine Anrede wählen muss. Und mein Alter angeben. Zum Gspass – und auch um zu zeigen, wie ernst mir das Ganze ist – klicke ich dort seit einigen Monaten immer «Frau» an.

Die per Retargeting geschalteten Banner und Ads verändern sich tatsächlich. Meine Internet-Blase ist neuerdings ziemlich verwirrt. Und auch ich selbst weiss nicht mehr recht, wer ich bin. Schlägt meine digitale Identität auf meine echte offline-Identität über? Wem soll ich eher trauen: den Algorithmen – schliesslich sind diese neutral und vorbehaltlos – oder mir selbst?

Und wie steht es mit Ihnen: Trauen Sie nur Texten mit Rechtschreibfehlern, weil Sie denken, wenn es fehlerfrei ist, hat es ein Bot geschrieben? Googlen Sie mit Inkognito-Funktion, um die Internet-Blase zu verfälschen?

Sachdienliche Hinweise hierzu gerne an lukas.meyer@memail.com.

* Wie versprochen ist diese Kolumne nun endlich entgendert, und zwar nach Hermes Phettberg. Ich finde es die vernünftigste Lösung und bin ziemlich überzeugt, sie setzt sich durch.

Mollis, 23.07.2021

Lukas Meyer ist Life-Style Empfehler, Analog Manager und Gründer der Mir-Partei.

 

Bild: Mika Baumeister auf Unsplash

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