Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 5 Minuten

Glaube ich eigentlich richtig?

Wieder mal lüften wäre nötig. Nicht nur wegen Corona. Die Luft im Wohnzimmer ist dick und ich fühle mich wie auf der Anklagebank. Meine Finger spielen mit einem Stück Mandarinenschale, vor mir steht ein Weinglas. Leer, leider – aber vielleicht auch gut so, denn so fallen keine Worte aus puren Emotionen heraus, die ich später bereuen würde.

Meine Gesprächspartnerin fordert mich ziemlich heraus: In einem wilden Themenritt, der von assistiertem Suizid („anmassend“) über vegane Ernährung („Ersatzreligion“) bis zur heutigen Gesellschaft („verloren“) verläuft. Obwohl ich am Tisch ihre einzige Mit-Christin bin, haben wir in vielen Bereichen völlig unterschiedliche Ansichten. Ihre Enttäuschung darüber ist spürbar. Suggestive Fragen und manchmal auch Unterstellungen kommen mir entgegen. Wir diskutieren nur noch zu zweit, die beiden anderen am Tisch hören interessiert-amüsiert zu.

Wölfin im Schafspelz

Argumentativ fühle ich mich sicher, sogar überlegen. Moralisch jedoch liegt die Sache anders. Indem mein Gegenüber die Diskussion mit den Worten beendet, dass wir ihr „ihren Jesus“ nicht nehmen können, zementiert sie ihr Selbstbild als Angehörige einer von der säkularen Gesellschaft bedrohten Minderheit. Und ich, die ich mich ebenfalls als Christin bezeichne, fühle mich als Wölfin im Schafspelz.

Der Abschied ist trotzdem freundlich. Ich habe sogar ein bisschen ein schlechtes Gewissen, dass sich die Person von mir bedroht gefühlt hat, obwohl ich mir wirklich Mühe gegeben habe, zurückhaltend zu sein und unsere eigentlich herzliche Beziehung nicht aufs Spiel zu setzen. Ich wollte sie nicht von ihrem Glauben abbringen. Aber ich kann und will in Fragen, die ich durchdacht und durchbuchstabiert habe, auch nicht nachgeben oder meine persönliche Überzeugung relativieren.

Das geschilderte Gespräch ging mir noch mehrere Tage nach. Nicht inhaltlich, aber emotional. Nur allmählich wurde mir klar, warum: Implizit hatte mir die Person den Glauben abgesprochen, die Echtheit und Ernsthaftigkeit meiner Beziehung zu Gott infrage gestellt. Dies, indem sie ihre evangelikale Art zu glauben als einzig richtige darstellte.

Mein Glaube ist genau so valide wie deiner

Ich würde mich weder als sehr progressive und erst recht nicht als liberale Christin bezeichnen. Dennoch finde ich mich immer mal wieder in solchen Gesprächen wieder. Vor allem mit Menschen aus Freikirchen. Auch hier im RefLab kommentieren Menschen, in deren Augen wir ketzerische Ansichten vertreten. Die einen Autor*innen mit ihrer an der historischen Kritik orientierten Bibelhermeneutik, die anderen mit moralisch nicht schwarz-weissen Meinungen, dritte mit dem Gendersternchen oder weiblichen Pronomen für Gott.

Natürlich ist das erlaubt. Wir haben uns ja „conversations“ auf die Fahne geschrieben.

Aber, liebe Lesende, es ist nicht so, dass diese Art von Rückmeldung nichts mit einem macht. Wenn mein Glaube relativiert oder mir der „richtige“ Glaube abgesprochen wird, schmerzt das. Denn es sind nicht nur irgendwelche theologischen Ansichten, sondern das, was mich tagtäglich begleitet, beschäftigt und trägt.

Aushalten, dass ich es nicht weiss

Ich will mich aber hier nicht meinerseits zur Märtyrerin stilisieren. Denn die Frage „Glaube ich eigentlich richtig?“ dürften die meisten religiösen Menschen kennen. Und es gibt häufig auch gar kein „richtig“ oder „falsch“ (auch wenn dies manche behaupten mögen). Wie also aushalten, dass man vieles nicht genau weiss?

Disclaimer:  Ich spreche jetzt weder von grundsätzlichen Zweifeln über die Existenz Gottes, noch von der Frage der Religionszugehörigkeit. Ich schreibe aus meiner Position als Christin, und es geht mir hier um Fragen in den Bereichen Exegese, Moral und Spiritualität. Die ja schlussendlich auch nicht unwichtig sind, weil man das Leben danach gestaltet.

Für mich gibt es drei wichtige Punkte im Umgang mit Unsicherheiten:

  1. Menschen glauben unterschiedlich
  2. Wenn eine Unsicherheit über längere Zeit besteht, gehe ich ihr auf den Grund
  3. Sollte ich in manchen Dingen falsch liegen, so wirft mich doch nichts aus der Beziehung mit Gott heraus

„S’git en Rägeboge, wo sich cha lah gseh“

Wenn jemand bei Worship-Musik fast in Trance fällt, denke ich, „ist nicht so meins“. Wenn jemand begeistert einen Instagram-Post macht und ein Wunder beschreibt, welches sich aufgrund ihrer Gebete ereignet hat, frage ich mich manchmal leise, ob ich etwas verpasse, weil mein Glaube weniger spektakulär ist. Aber ich bin überzeugt, dass die Art der Spiritualität auch Typsache ist. Charismatisch, nüchtern, mystisch – unsere Persönlichkeit zeigt sich auch in der Art, wie wir glauben.

Auch was uns im Leben begegnet, zustösst, inspiriert, prägt uns und die Weise, wie wir die Welt wahrnehmen. Jede*r hat einen anderen (Lebens-)Weg, und folglich glaubt auch niemand völlig gleich. Wie im Lied mit dem Regenbogen.

Nicht in Stein gemeisselt

Glaube ist ein Prozess: Er kann und soll sich im Laufe der Zeit verändern. Wenn eine Unsicherheit also über längere Zeit nagt, gehe ich ihr auf den Grund. In Gesprächen mit vertrauenswürdigen Menschen (die durchaus verschiedene Meinungen haben sollen). In Auseinandersetzung mit theologischen Büchern, Blogs, Podcasts. Und indem ich darum bete, dass sich Klarheit darüber einstellt, warum etwas so an mir nagt. Ich will ehrlich sein, flexibel bleiben, mein Glaube soll nicht in Stein gemeisselt sein. Und so kann es gut sein, dass ich meine Überzeugungen in gewissen Punkten im Laufe der Zeit ändere.

Meinung revidieren ist mehr als OK

Doch auch wenn ich mal Fehler mache, einen falschen Ratschlag gebe oder meine Meinung revidiere: Ich weiss, dass ich zu jedem Zeitpunkt ein geliebtes Menschenkind Gottes bin. Nichts kann mich da rauswerfen.

Photo by Daniel Gonzalez / Unsplash

3 Kommentare zu „Glaube ich eigentlich richtig?“

  1. Liebe Evelyne,
    Das Ref/Lab habe ich erst kürzlich durch das win-win-Ping-Pong von Kirstine und Andreas („Theologie des Zeitgeistes“) kennengelernt, und der Aufbruch-Charakter dieser Plattform macht mich an! Wenn ich nach meiner Religion gefragt werde, antworte ich kurz und knackig: „alle!“. Also bin ich AUCH Christ ;-). Und als solcher rufe ich Dir erfreut zu: Dein Glaube könnte gar nicht „richtiger“ sein, wenn ich zu diesem Thema etwas Wort-Archäologie treibe:

    Das griechische Wort im Neuen Testament, das meist mit Glaube übersetzt wird, lautet „pistis“. Pistis bezeichnet das gefühlsmässige Gegenteil von Angst, also so etwas wie Vertrauen, was weitgehend dem entspricht, was Psychologen unser Epoche „Urvertrauen“ genannt haben. Es ist ein Gefühl des unbedingten Geborgenseins, Getragenseins, Geliebtseins in der Göttlichen Gegenwart, das uns lebensfroh und guten Mutes voranschreiten lässt. Jesus hat, so kommt es mir vor, mit seiner Ausstrahlung, seinem Lehren und seinem Heilen, in den Herzen der Menschen um ihn herum eine vielleicht schon in Verzweiflung erkaltete Pistis wieder zum Glühen gebracht. Für die frühen Christen gesellte sich zur herzensmässigen Pistis dann noch die mehr geistige Gnosis, wörtlich Erkenntnis, verstanden als ein evolutionärer Prozess immer tiefer gehender und umfassenderer Einsichten in „das Reich Gottes“. Passt das nicht wunderbar zu dem, was Du als Deine Entwicklung von Glaube(nshalten) beschreibst?

    Das griechische „pistis“ wurde dann sprachlich angemessen in das damit stammverwandte lateinische Wort „fides“ übersetzt. Letzteres wurde dann allerdings uminterpretiert in ein „Credo“, was bedeutet: Ich glaube, halte für wahr. Während „pistis“ eine angstfreie Verfassung des Herzens beschreibt, handelt es sich beim „Credo“ um strikte Glaubenssätze im Kopf. Das griechische Wort dafür war „doxa“, Meinung, eben das, was wir so im Kopf haben. Der vorchristliche Philosoph Parmenides lässt die Göttin, die ihn in seinem Gedicht belehrt, deutlich unterscheiden zwischen dem, was wirklich IST (to on, das Seiende), und den Meinungen der Menschen über die Wirklichkeit (doxa), denen keine wahre Zuverlässigkeit innewohnt. Gerade in diesem Jahr können wir beobachten, wie unterschiedliche Meinungen, die für die absolute Wahrheit gehalten werden, uns Menschen entzweien. War das aber nicht schon immer so? Im 4. Jahrhundert wollte die Kirche dem ein Ende setzen, indem sie eine „Ortho-Doxie“, eine Recht-Gläubigkeit verordnete und alles andere als „Häresie“, Ketzerei, brandmarkte. Parmedides, der rund 800 Jahre vorher lebte, hätte darüber bestimmt laut gelacht.

    Quintessenz, liebe Evelyne: Erfreue Dich in Deiner Pistis daran, wie Dein Glaube sich wandelnd wächst!
    Liebe Grüsse aus Luzern, Claudio

    1. Evelyne Baumberger

      Lieber Claudio,
      danke für deinen interessanten Kommentar! „Pistis“ ist in der Tat ein spannendes, facettenreiches Wort (wie so viele griechische Begriffe, die im deutschsprachigen NT völlig selbstverständlich mit einem Wort übersetzt werden).
      Schön, dass du uns entdeckt hast und mitdiskutierst!
      Liebi Grüess, Evelyne

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