Dein digitales Lagerfeuer
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Freude: ein Akt des Widerstandes

Vergangenen Sonntag schrieb mir eine Freundin, dass ihr Partner sich nach einer monatelangen „Pause“ definitiv von ihr getrennt hat. Vor einigen Tagen, während wir uns im vietnamesischen Restaurant einen Papaya-Salat teilten, hatte sie mir noch erzählt, dass sie hoffte, er würde zu ihr zurückkommen.

Wenig hilft gegen ein gebrochenes Herz

Ich konnte sie nicht sofort treffen, so telefonierten wir. Der Zug von Bern nach Zürich war voll, und ich schaute dem kleinen Mädchen mir gegenüber zu, wie sie hellgrünen Slime in ihren Händen knetete, während ich am Telefon war. Meine Freundin weinte während 30 Minuten nonstop. Es zerriss mir fast das Herz. Aus der Distanz kann man jemanden nicht einmal umarmen, sondern nur da sein, zuhören, still sein, aushalten.

„Hast du irgendetwas, das dir heute Freude machen würde?“, fragte ich sie, bevor sie sich verabschiedete.

An einem Sonntag, wo man sich nicht mit Arbeit ablenken kann, hilft wenig gegen ein gebrochenes Herz. Aber vielleicht kann ein winziges Stückchen Freude einen Lichtschimmer bringen, der sich in den Tränen bricht und einen Regenbogen entstehen lässt. Zum Beispiel ein frischer Smoothie oder eine Blume, die man sich selber schenkt.

Denn Freude und Leiden sind nicht Gegensätze, sondern Geschwister: „Das Gegenteil von Freude ist Verzweiflung, nicht Leid.“ Das sagt die amerikanische Theologin Angela Gorrell. Beides gehöre zusammen: Auch in Momenten tiefster Trauer und schweren Leidens können Lachen, Freude, Freundschaft, Platz haben. Dies heisse nicht, dass man umfassend glücklich sei, dass die eigene Situation objektiv gesehen toll sei oder dass man das Leiden ignoriere.

Freude als Schlüssel zum Leben

Angela Gorrell hat an der Universität Yale zu „Theologie der Freude und des guten Lebens“ geforscht (“Theology of Joy and the Good Life”). Freude und ein gelingendes Leben sind zwei Seiten derselben Medaille, lautete ihre These: „Freude ist die emotionale Dimension des guten Lebens, und das gute Leben ist eines, das von Freude geprägt ist.“ Fehlt jedoch echte Freude, dann ist das Leben flach und grau.

Wir werden täglich mit Unterhaltung, Action und Ablenkung überflutet. Nicht zu verwechseln mit Freude: Diese kann auch durch etwas ganz Kleines, Unscheinbares, Kostenloses ausgelöst werden – wenn man es denn sieht und ihm Raum gibt.

Freude schafft Gemeinschaft. Freude hilft, Wunden zu heilen, denn auch etwas Kleines kann für einen Moment Trost bringen. Freude kann ein Fixpunkt im Leben sein, zu dem man immer wieder kommt – eine Ressource der Kraft.

Um diese Ressource zu erschliessen, plädiert Angela Gorrell dafür, Freude als spirituelle Tugend zu üben: Sich immer wieder darauf zu konzentrieren, was einem in einer Situation Freude gibt, Freude auch bewusst zu suchen. Sich an Schönes zu erinnern und Dankbarkeit zu üben. Räume schaffen, in denen überhaupt Platz für Freude ist. Das heisst auch, sich und anderen überhaupt die Erlaubnis geben, Gefühle zu haben.

Ein Akt des Widerstandes

Das bedingt, dass man die Komplexität des Lebens akzeptiert und es nicht schwarz-weiss sehen will. Dass man es aushält, dass Freude manchmal mitten in einer Situation der Trauer oder des Leidens aufkommt. Angela Gorrell erzählte in einem Referat, wie sie mit ihren Schwestern um ihren Bruder trauerte, der sehr plötzlich verstorben war, und Erinnerungen sie zwischen den Tränen des Verlusts schallend lachen liessen.

Freude vertreibt Leiden und Trauer nicht. Und Freude soll auch nicht dazu dienen, Missstände, die sich ändern müssen, schönzureden oder zu übertünchen. Im Gegenteil. Der Theologe Willie Jennings sagt: „Ich sehe Freude als einen Akt des Widerstandes gegen die Kräfte der Verzweiflung.“

Trauer schliesst Freude nicht aus – und umgekehrt

Eine amerikanische „Mumfluencerin“ verlor kürzlich ganz plötzlich ihren jüngsten Sohn. In der gleichen Offenheit, mit der sie schon vorher ihr Leben auf Instagram teilte, tat Brittani Boren Leach dies auch in dieser Zeit. Einige Wochen nach dem Tod des Kleinen postete sie ein Bild, das sie und ihren Mann beim Blutspenden zeigt. Einige Kommentare griffen sie dafür an, dass sie auf dem Foto lächelte.

„Trauer ist nicht wie ein gebrochener Knochen, der wieder heilt. Trauer ist chronisch“, antwortete Brittani Boren Leach in einem späteren Instagram-Post. „Zu trauern heisst, dass man traurig und glücklich sein kann, im gleichen Jahr, in der gleichen Woche, im gleichen Atemzug.“

Zitate von Angela Gorrell aus ihrem Referat an den Studientagen Fribourg 2019.

Photo by Will Malott on Unsplash.

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