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 Lesedauer: 4 Minuten

Die Entrüstung über die «Klimakleber» ist reine Bequemlichkeit

In Berlin haben Klimaaktivist:innen letzte Woche den Verkehr gestört. An Karfreitag klebten sich Aktivist:innen für eine halbe Stunde auf die Gotthard-Autobahn.

Die Entrüstung ist gross. Absurd gross im Verhältnis zur Gleichgültigkeit der Allgemeinheit gegenüber der Klimakrise.

«Nicht das richtige Mittel»

Ich weiss, was viele von euch denken. «Das Anliegen ist ja gut und legitim, aber für unbescholtene Menschen den Verkehr lahmzulegen, ist nicht das richtige Mittel.»

Um dieses gängige Argument gleich am Anfang zu thematisieren: Jede Person, die das Anliegen für richtig, aber zivilen Ungehorsam für falsch hält, fordere ich auf, dieses Jahr klimafreundlich abzustimmen und zu wählen. DAS ist nämlich das einzige «richtige», demokratische, wirkungsvolle Mittel.

Die eigene politische Stimme Menschen zu geben, die sich für den Klimaschutz einsetzen (oder zumindest nicht aktiv dagegen), ist so viel wichtiger, als ob man nun zweimal im Jahr in die Ferien fliegt, ein paar Mal die Woche Fleisch isst oder an Ostern mit dem Auto in den Süden fährt.

Wer aber die eigene Verantwortung nicht wahrnimmt, bei dem ist die vordergründige Zustimmung zu den Anliegen der Klimaaktivist:innen nicht mehr als eine faule Ausrede.

Die wirklich Betroffenen sind nicht auf der Autobahn

Die Empörung, ja, der Hass, der den «Klimaklebern» entgegenschlägt, ist rational nicht nachvollziehbar. Es macht mich wütend und traurig, wie drastisch sie beschimpft werden.

Die meisten von uns kriegen das Ganze nur über die Medien mit. Die paar Tausend Menschen an Karfreitag im Gotthard-Stau (für den die «Betroffenen» notabene ohnehin einige Stunden Wartezeit in Kauf nehmen), machen immer noch einen verschwindend kleinen Anteil der Bevölkerung aus.

Die wirklich Betroffenen – und zwar tagtäglich, und existenziell – sind enorm viel mehr.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass allein 2022 in Europa 15’000 Menschen mehr wegen der Hitze im Sommer gestorben sind als im Vergleichsjahr 2019. Millionen von Menschen verlieren jährlich wegen Überschwemmungen, Stürmen oder Dürre, welche durch die Klimaerhitzung ausgelöst oder verstärkt werden, ihre Existenz oder sogar ihr Leben.

Nun befinden sich diese Betroffenen halt nicht auf unseren Autobahnen und stören den Verkehr, sondern sterben leise in Spitälern und Altersheimen. Oder verhungern, verdursten oder ertrinken im globalen Süden.

Prophetische Zeichenhandlungen

Die Entrüstung ist nicht nachvollziehbar, schrieb ich am Anfang. Doch sie hat Geschichte.

Die Klimakleber:innen sind die Prophet:innen unserer Zeit. Unter Einsatz ihres Körpers (theologisch nennt man das «prophetische Zeichenhandlung») setzen sie sich für Transformation ein, weil sie sehen, was die Zukunft sonst bringt. Denn die Prognosen sind eindeutig und wissenschaftlich gut belegt.

Unter Angst, Aufregung, Zittern, wie sie in einem Interview mit der «Republik» beschreiben, und im Wissen, dass sie mit unglaublich viel Hass konfrontiert werden, führen sie ihre Aktionen durch. Von normalen Mitmenschen werden sie für ihren zivilen Ungehorsam verbal aufs Übelste angegriffen und teilweise sogar körperlich angegangen.

Ihr Anliegen überschattet ihr ganzes Leben – sie können nicht mehr anders, als aktiv zu werden. Sie agieren nicht parteipolitisch, sondern für das Überleben aller.

Die «richtigen Mittel» werden wirkungslos

Die wirklich Betroffenen stehen nicht im Stau. Und die wirklich Anzuklagenden sind nicht die Klimakleber:innen. Ich bemühe jetzt aber nicht den billigen Verweis auf «die Konzerne».

Vielmehr sind die wirklich Verantwortlichen alle, die sich hierzulande in den letzten zehn Jahren nicht um klimapolitische Anliegen geschert haben. Alle, die sagen, «Ich kann das Anliegen nachvollziehen, aber es ist nicht das richtige Mittel», und dann doch nicht klimafreundlich wählen.

Die «richtigen» Mittel sind wirkungslos, weil die Macht- und Profitverhältnisse klar sind.

Weil klar ist, welche Menschen mit welchen Interessen Millionen in eine Abstimmungskampagne gegen das CO2-Gesetz gebuttert haben, um es zum Scheitern zu bringen. Welche Partei laufend effektiven Klimaschutz über den «richtigen» Weg verhindert, und dies auch dieses Jahr beim Klimaschutzgesetz wieder versuchen wird.

Damit die Erkenntnisse von wissenschaftlichen Studien, die Beschlüsse von Klimakonferenzen von Politik und Wirtschaft weiterhin ignoriert werden können.

 

Die Illustration zu diesem Beitrag stammt von Sarah Staub und wurde ursprünglich in einem Instagram-Post veröffentlicht. Sarahs Gedanken darin haben einige Überlegungen für diesen Artikel mitgeprägt.

Zum RefLab-Dossier «Climate Chance»

Zum Artikel «Die Augen der Letzten Generation» von Johanna Di Blasi

8 Kommentare zu „Die Entrüstung über die «Klimakleber» ist reine Bequemlichkeit“

  1. Danke Evelyne für deine Worte. Es sind gewichtige und herausfordernde und sie führen mir mein eigenes Unvermögen deutlich vor Augen. Gleichzeitig macht es mir Angst, was mit unserer Erde passiert und wie wenig es uns zu kümmern scheint. Chli wärmer isch ja agnähm ide ide Schwiiz… dass so viele Menschen nicht mehr oder noch nie in angenehmen Umgebungen leben, sollte uns doch einfach aufrütteln. Die Klima Aktivist*innen tun genau das und bezahlen dafür einen (zu) hohen Preis.

  2. Imma Mag. Lammer

    Danke! Mir aus dem Herzen geschrieben. Der Bogen zu den Prophet*innen des AT ist so wichtig. Eines fehlt noch, dass die Menschen umkehren und die „König*innen“ sich in die Asche setzen und ein Fasten ausrufen.

  3. Jürgen Friedrich

    Die Logik der Klima-Kleber ist ebenso wie die der Kommentatoren völlig frei von Erkenntnissen, wonach ein Klimawandel zum Besseren erheblich sinnvoller ist als „nur“ den seit Jahrtausenden anhaltenden Trend von Wüstenwachstum verlangsamen zu wollen.

  4. Liebe Eveline
    Ich sehe diese Problematik so konträr zu dir, das ich auf diesen Beitrag fast antworten muss. Es ist klar, wir erleben zur Zeit einen drastischen Klimawandel, an dem wir Menschen einen sehr grossen Anteil haben. In meinen25 Jahren als Förster sehe ich diese Veränderung und Folgen fast täglich.
    Es ist aber einfach so, dass Angst der mächtigste, aber in den meisten Fällen auch ein schlechter Ratgeber ist. Wenn du mit Angst operieren kannst, hast du schon fast gewonnen.
    Funktionierte im Mittelalter mit der Hölle schon perfekt und funktioniert jetzt mit den Zukunftsängsten auch wunderbar. Vokabular ist ja fast gleich: Jetzt machen wir den Menschen einfach Angst mit der Klimahölle. Die ganze Klimabewegung operiert fast ausschließlich mit dieser Motivation. Aber das Schöne ist, haben wir auch die Lösung von diesem Problem aus dem Mittelalter übernommen: Ablasshandel!
    Ich mache dir mal ein paar Beispiele von diesem Ökoablasshandel: Vor 30 Jahren war es jedem einigermassen verantwortungsvollen Westeuropäer klar, das Holz aus Brasilien nicht unbedingt die beste Sache ist. Dann hat man das Ablasszertifikat FSC erfunden. Und schwupp ist es kein Problem mehr Holz aus Brasilien zu verwenden, die Herkunft ist egal, es steht ja FSC darauf. Ich hatte vor 10 Jahren mit einem Holzeinkäufer der Papierindustrie Kontakt, der unbedingt FSC Holz brauchte. Seine Ansage war relativ klar: „Du musst einfach im gleichen Preis wie der Eukalyptus aus Brasilien sei, der ist auch FSC“. Länderspezifische Standart ist was wunderbares… Mit Ökolabels kann ich mich wunderbar aus meiner Verantwortung stehlen. Und sorry, wenn unsere Landeskirche zwei Wochen nach dem Suppensonntag, Rosen aus Äthiopien, oder Kenia verkauft, nützt auch das Fairtrade Zeichen daran nicht. Die Rosenindustrie schadet der Bevölkerung dieser Länder, fertig. Und wenn ich sehe wie Firmen (z.B. SGS), die eigentlich nichts produzieren, nur Zertifikate verkaufen, einen Milliardenwert an der Börse haben, dann muss ich echt sagen Ablasshandel funktioniert immer noch wunderbar.
    Doch, es kommt darauf an, dass wir selber Verantwortung übernehmen, doch es kommt darauf an, dass ich darauf verzichte um mit dem Flieger in die Ferien zu verreisen. Um diese Verantwortung geht es auch schlussendlich im unserem Umgang mit unserer Erde. Wenn wir dieser Verantwortung nicht nachkommen, ist das einfach unter unserer Würde als Menschen. Es geht nicht um die Angst um unsere Erde, die überlebt den Menschen locker, die hat schon Eiszeiten etc. überlebt, da unterschätzen wir die Natur total. Und zwar in ihrer Resilienz, wie auch in ihrer zerstörerischer Kraft. Und gleichzeitig überschätzen wir uns Menschen in unserem Einfluss auch stark. Und wenn ich unsere Gesellschaft in ihrem Verhalten in der WC-Papierlikrise beobachtet habe, traue ich ihr gar nichts mehr zu.

    1. Roland Portmann

      Endlich mal eine kritische Stimme dazu, danke! Ich teile die Meinung, dass man zuerst mal sein eigenes Zimmer aufräumen muss, bzw. bei seiner eigenen Ökobilanz anfangen muss bevor man mit dem Finger auf andere zeigt; und natürlich muss man dann als BürgerIn verantwortlich wählen: aber wie schon Vorrednerinnen angemerkt haben: wen oder was genau? Eine Partei, die sich gegen alle Öko-Vorlagen wehrt wohl nicht… aber dann all die anderen? Bekanntlich führen viele Wege nach Rom- welcher ist denn jetzt der richtige? Und welcher politisch realistisch? Bei einem komplexen Thema wie der KlimaKrise nicht einfach…
      Dennoch traue ich unseren StimmbürgerInnen zu, selber denken zu können, ohne ihnen Bequemlichkeit vorwerfen zu müssen- uups, ein alter Slogan der Kirche😁
      Und nein, „festkleben“ ist nicht okay, sondern eher Nötigung: es darf friedlich Demonstriert und öffentlich Debattiert werden, es darf politisch agiert werden und man kann auch mit Flashmobs oder Kunstinstalationen daraufhin weisen… die Festklebeaktion aber schadet der Sache eher und führt zu keinem fruchtbaren Dialog sondern zu Polizeieinsätzen…
      So und das ist weder Mansplaining oder Denken in verchrusteten Strukturen sondern ebenso eine kritische Stimme für das Klima😁.

  5. Wie wählt man denn „klimafreundlich“? Und wen? In Deutschland gibt es keine einflussreiche Partei, die da noch zur Wahl stünde, wie man leider (und das ist auch das Fazit bspw von FFF oder der Letzten Generation) seit der neuen Regierung feststellen musste.
    Ich habe zwar eine kleine klimafreundliche Partei für mich entdeckt, die ich seit ein paar Jahren wähle, weil sie die einzige ist, die mit meinen Werten auch in anderen Bereichen außer beim Klima übereinstimmt, aber die hat höchstens auf lokaler Ebene hier und da ein, zwei Abgeordnete. Auf Bundesebene ist meine Stimme dann eigentlich „verloren“.

  6. Ich bin für Umweltschutz, für Tierschutz, für achtsamen Umgang mit allen Menschen. Kann man das Klima schützen? Was passiert, wenn sich die Temperatur verändert und wie viel Einfluss hat der Mensch darauf? Das sind wichtige Fragen, die man sich von unterschiedlichen Fachleuten beantworten lassen muss und sich dann eine Meinung darüber bilden muss. Um verantwortungsvoll zu handeln braucht es gesunden Menschenverstand, Rücksichtnahme, auch den Willen nicht immer alles haben zu müssen und Weisheit. Die Klimakleber tun mir so leid, weil sie in so grosser Angst leben. Der Angst kann man unter anderem damit entgegentreten indem wir nicht alle Prognosen und drastischen Meldungen unhinterfragt glauben schenken. Bereits in den 70iger Jahren vom letzten Jahrhundert titelten Zeitungen mit Bildern von überschwemmten Innenstädten. Mit Angst lässt sich Geld machen. Ich vermisse etwas den Diskurs über die Schwere, die Gründe und die unterschiedlichen Lösungsansätze der momentanen Erwärmung der Erde. „Wenn alle dasselbe schreiben, soll man aufhorchen“, hat mal eine weise Frau gesagt. Ich wünsche uns offene Diskussionen und Wertschätzung. Dazu gehört auch, sich nicht lustig zu machen über die Klimaaktivisten oder über sie herzuziehen. Auch wenn ich ihre Aktionen nicht in Ordnung finde.

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