Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 4 Minuten

Die beste Strategie bei Online-Konflikten

Du kennst das sicher: Hässliche Diskussionen in Social-Media-Kommentarspalten. Gerade bei politischen Themen kann das richtig heftig werden.

Das Problem: In diesem Setting bleiben Argumente und Fakten völlig wirkungslos.

Deshalb braucht es eine andere Strategie – wenn man sich überhaupt auf Social-Media-Diskussionen einlassen möchte. Welche Strategie das ist, und warum sie ganz anders ist als das, was man intuitiv tun würde: Darum geht’s hier.

Und am Schluss als Bonus noch 5 Besonderheiten von Konflikten im digitalen Raum.

Das «Wer hat Recht?»-Spiel

In Diskussionen fällt man intuitiv ins «Wer hat Recht?»-Spiel: Argumente vorbringen (oder vor allem Gegenargumente…), schlagfertig sein, Punkte sammeln.

Ganz in der Tradition der Streitgespräche in der Wissenschaft: Fakten und Argumente sollen die andere Person überzeugen. Hat man ein gutes Argument parat, ist das zudem gut fürs Ego.

Das Spiel endet damit, dass eine Person gewinnt und die andere verliert.

Jetzt nicht falsch verstehen: Natürlich braucht es in Diskussionen Fakten und gute Argumente. Ich liebe zum Beispiel  hitzige theologische Diskussionen, bei denen man kognitiv wirklich herausgefordert wird.

Der Punkt ist jedoch: In den Instagram- und Facebook-Kommentarspalten funktioniert diese Strategie nicht. Ausserdem steht hier eine begrenzte Zeichenzahl zur Verfügung.

Diskussionen auf Social Media sind eher emotional. Und deshalb funktioniert eine andere Strategie besser. Sie ist aber auch schwieriger.

Die andere Strategie

Und zwar geht es um ehrliches Interesse an der anderen Person. Das braucht Zeit, Geduld und die Fähigkeit, sich selbst einen Moment zurückzunehmen.

Das fällt nicht immer leicht. Aber wenn man sich die Zeit nimmt, gibt es damit gute Erfahrungen zu machen. (Und wenn die Zeit fehlt, ist es vermutlich ohnehin der richtige Zeitpunkt, um das Smartphone aus der Hand zu legen oder vom Bildschirm aufzustehen.)

In solch einer Diskussion stelle ich Fragen, anstatt Gegenargumente zu bringen.

Kürzlich kommentierte jemand einen meiner Instagram-Beiträge in einem aggressiven Ton. Ich stellte die Frage: «Warum ärgert Sie das so?» Die andere Person antwortete erneut – und bat für den Tonfall um Verzeihung.

Gefühle herausfinden statt Sachfragen stellen

Auch in Direktnachrichten versuche ich, zu verstehen, warum mein Gegenüber für seine Position kämpft. Durch Nachfragen wird klar, worum es wirklich geht.

Zum Beispiel, dass jemand Schwierigkeiten mit gesellschaftlichen Veränderungen hat. Oder einen inneren Konflikt zwischen dem, was die Person glaubt, und dem, was sie als Mainstream wahrnimmt.

Wichtig ist hier: keine Sachfragen stellen. Stattdessen versuchen, Gefühle und Bedürfnisse herauszufinden.

Kennt man die Bedürfnisse hinter den Anliegen, wird das Gespräch direkter und angenehmer. Die andere Person fühlt sich gesehen.

Auf Augenhöhe bleiben

Die eigenen Argumente muss man in dieser Situation gar nicht mehr vorbringen. Das empathische Zuhören macht einen glaubwürdiger – und die Position, gegen die die andere Person ursprünglich argumentiert hat, damit auch.

Es braucht Offenheit und Empathie und Zeit – das ist nicht zu unterschätzen. Doch dafür funktioniert diese Strategie oft. «Funktionieren» im Sinne von, es gewinnt am Ende niemand und die andere Person verliert, sondern man hat das Gefühl, dass man auf Augenhöhe bleibt und sich gegenseitig sieht.

5 Besonderheiten von Konflikten im digitalen Raum:

1. Zeit

Mal eben noch schnell, schnell eine Diskussion zum Instagram-Post führen oder auf Rückmeldungen zu einem eigenen Post eingehen: Dass Social Media einfach nebenher laufen, ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Auch bei Organisationen wie Kirchgemeinden, die so andere Nutzer:innen ansprechen möchten.

Social Media brauchen genauso viel Zeit, Geduld, Empathie und Professionalität wie Kommunikation im analogen Raum.

2. Shitstorm-Gefahr

Postings können geteilt werden – und zwar nicht nur dann, wenn sie jemand gut findet. Sondern auch, um eine Position zu diskreditieren.

Dazu braucht es nicht einmal einen öffentlichen Account; über Screenshots können Inhalte auch aus dem eigenen Netzwerk hinaus verbreitet werden. Screenshot führen auch dazu, dass, was einmal öffentlich ist, nicht mehr zurückgeholt werden kann.

3. Machtverteilung und Algorithmen

Während in der analogen Welt immer noch Institutionen und Konzerne Macht besitzen, sind die Verhältnisse im digitalen Raum ungeordneter. Eine grosse Reichweite können grundsätzlich alle erreichen, die sich mit den «Spielregeln» und Funktionsweisen von Online-Plattformen auseinandersetzen und Inhalte produzieren, welche für Interaktionen sorgen (positive und negative).

Letzteres wird von den Plattformen registriert und Algorithmen wirken als Katalysatoren. So können Inhalte viral gehen.

4. Block-Funktion etc.

Zwar gibt es auf Social Media bei den eigenen Posts die Möglichkeit, Kommentare zu löschen, auszublenden oder Accounts zu sperren. Dieser Schuss kann jedoch nach hinten losgehen, wenn ein Account dies publik macht und nur ein Hauch von Unfairness oder Zensur vermutet werden kann.

Besser ist es in jedem Fall, zuerst den Dialog zu suchen.

5. Emojis statt Körpersprache 😇

Mimik, Stimme, Gestik – im digitalen Raum fehlen wichtige nonverbale Kommunikationssignale. Diese können mit Emojis teilweise nachgeahmt werden.

Das sorgt jedoch nicht immer auch für mehr Klarheit: Emojis können genauso missverständlich sein wie nonverbale Signale.

 

Kurse der Empathie Initiative (am 9. März auch am RefLab-Festival mit einem kostenlosen Workshop!)

«Nonviolent Communication» von Marshall B. Rosenberg auf Spotify

4 Kommentare zu „Die beste Strategie bei Online-Konflikten“

      1. Hey, danke für deinen Beitrag. Ich habe tatsächlich aufgehört online zu diskutieren, da es meiner Erfahrung nach häufig bei einem aufzählen der gegenseitigen Argumente bleibt und der Diskussionsverlauf dann auch schwerer wird sobald sich da dann mehrere Personen beteiligen. In meinem persönlichen Umfeld nutze ich die Gelegenheiten die sich bieten um sinnvolle Diskussionen, dann auch eher nach dem zweiten von dir beschriebenen Schema zu führen. Online war das leider noch nie wirklich erfolgreich oder so, dass ich jetzt sagen würde, dass wir die Diskussion einander zugewandter beendet haben als wir sie angefangen haben.
        Bei Beiträgen die mir nicht passen kommentiere ich immer mal wieder, dann aber eher als Statement, dass das nicht die einzige mögliche Sichtweise oder eine verkürzte Darstellung ist. Mir geht es da dann mehr darum, dass die Menschen die das lesen dann sehen, dass es auch verschiedene andere Sichtweisen gibt.
        Manchmal bleibt es aber auch einfach bei einem sarkastischen Kommentar, weil der Beitrag meiner Meinung nach so unterirdisch ist, dass ich da nicht ernsthaft reagieren aber trotzdem kritisieren möchte.
        In vielen Fällen ist glaube ich leider der Zeitaufwand den man bei einer derartigen Diskussion in Anbetracht des möglichen Ergebnisses hat zu hoch.

        1. Evelyne Baumberger

          Hey Jonas, danke fürs ausführliche Erzählen deiner Erfahrungen! Das kann ich gut nachvollziehen. Der Zeitaufwand ist tatsächlich sehr hoch; wie generell bei der Verwendung von Social Media… „Choose your battles“ wäre eine gute Devise. Liebe Grüsse!

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