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 Lesedauer: 6 Minuten

Als Kind glaubte ich an Gott

Als Kind glaubte ich an Gott. Ich konnte mit ihm sprechen. Er hatte den Himmel mit all seinen Sternen gemacht. Und die Erde, mit allen Pflanzen, Tieren und Menschen, die auf ihr leben. Die ersten Menschen waren Adam und Eva. Sie lebten in einem Paradies. Dort durften sie aber nicht bleiben, weil sie die einzige Regel, die Gott ihnen gegeben hat, verletzt hatten und vom Baum der Erkenntnis (ich dachte dabei immer an einen Apfelbaum mit roten Äpfeln) gegessen haben. Von da an ging es steil bergab: Brudermord, Turmbau zu Babel, Sintflut bis zur Sklaverei in Ägypten. In meiner Welt stammten alle Menschen von Adam und Eva ab und mein Kindergartenfreund sprach italienisch, weil unsere Vorfahren es übertrieben hatten beim Turmbau.

Der grosse Manitu

In meiner Welt gab es Christen. Die würden gerettet werden. Und es gab andere, die halt nicht so viel Glück hatten. Das fand ich nicht weiter schlimm, bis ich auf meinen siebten Geburtstag einen Pfeilbogen und Häuptlingsfedern geschenkt bekam und fortan ein glühender Indianer-Fan geworden bin. Cowboys gegen Indianer. Ich wusste, wo ich dazu gehörte. Aber ich wusste auch, dass der grosse Manitu nicht für die Indianer am Kreuz gestorben ist und wir uns folglich nicht im Paradies treffen würden. Und das fand ich traurig.

Meine Welt hatte der liebe Gott in sechs Tagen gemacht und musste sich danach ausruhen. Nie hat jemand darauf beharrt, dass er genau sechs Tage dafür brauchte. Es hat mir aber auch niemand gesagt, dass es ganz sicher nicht so war. Viel eher zwinkerten die Erwachsenen und meinten: „Na ja, für Gott ist doch alles möglich.“ Und da fand ich es verwirrend, als ich meinen Dinosauriervortrag für die 5. Klasse schreiben sollte und feststellte, dass eigentlich niemand das glaubt. Ja stimmt es nun, oder nicht? Ist die Bibel wahr, oder stimmt, was mein Klassenlehrer mir sagt? Meine Welt bekam Risse.

Zwei Welten

Auf der Sekundarstufe lebte ich in zwei Welten: Eine bewohnte ich wochentags mit meinen Schulfreunden, die andere am Wochenende in der kirchlichen Jugendarbeit. Wochentags hatte ich Spass beim heimlichen Rauchen und offenen Rebellieren. Am Wochenende konnte ich Gott um Vergebung bitten. Ich musste ihn um Vergebung bitten.

Da wir aber sowieso alle Sünder sind und nur auf das Friendship-Ticket von Jesus hoffen können, kam es auf die eine Zigarette, das eine Schulschwänzen, das eine Demütigen eines Aussenseiters mehr oder weniger auch gar nicht an.

Spätestens auf dem Gymnasium und in einem Alter, in dem man von der Welt erwartet, sie begreifen zu können – vielleicht auch gerade weil man gar nichts versteht –, hatte sich mein Glaube völlig von meinem sonstigen Denken abgekoppelt. Ich liebte Existenzialismus, Zigaretten und Musik und diskutierte stundenlang mit meinen Freunden über „das System“, das uns normieren und anpassen will. Heute würde ich sagen, dass wir vor allem das Klassenbuch damit meinten. Intellektuell fand ich das Christentum reizlos. Und hätte ich nicht diesen Glutkern evangelikaler Angst vor der Hölle in mir getragen, wäre ich meinen Gott schnell losgeworden. Aber ich hing irgendwie in dem ganzen Christentum fest. Und an der kirchlichen Jugendarbeit, die mir in dieser Zeit mehr gab, als ich zurückgeben konnte.

Nichts gelernt

Ziemlich kurzentschlossen habe ich mich dann für das Theologiestudium angemeldet. Ich wollte es verstehen und ich war überzeugt, dass ich an der Uni Antworten auf meine Fragen finden könnte. In der ersten Vorlesung zum Alten Testament fragte der Professor, wer denn die Mose-Bücher geschrieben habe. Es war Montagmorgen und niemand reagierte. Ich dachte mir: „O.K. guter Moment, um leicht zu punkten“. Ich meldete mich: „Na, das ist doch logisch: Moses natürlich. Steht ja drauf.“

Das war kein vielversprechender Anfang. Ich habe mich sehr geschämt. Aber ich lernte schnell und ohne grössere innere Widerstände. Ich war kein biblizistischer Fundamentalist. Ich war nur komplett ungebildet. „Gut“, habe ich mir gesagt, „das mit dem Alten Testament kannst du nicht für bare Münze nehmen. Aber an Jesus und der Auferstehung wirst du nie zweifeln.“ Nie dauerte ziemlich genau ein Semester lang, bis auch Ostern Risse bekam. Damals hatte ich aufgehört zu beten. Und ich habe nichts mehr geglaubt. Ich fühlte mich betrogen:

Sonntagsschule, Religionsunterricht, Jungschar, Konfirmationsunterricht – ich musste hunderte Stunden damit verbracht haben und hatte doch nichts gelernt!

Warum lösen Eltern den Gag mit dem Osterhasen und dem Nikolaus irgendwann auf, während wir gleichzeitig einen ganzen Apparat organisieren, der uns diesen Quatsch glauben macht?

Mit dem Anfang anfangen

Wäre es nicht absehbar gewesen, dass die mühsamen Sprachen (Latein, Griechisch und Hebräisch) bald hinter mir liegen würden und wären nicht zwei ganz tolle Professoren gewesen, die sich rührend um mich und meine Fragen gekümmert hätten, wäre ich an dem Punkt wohl ausgestiegen. Als einer dieser Profs beim Unigottesdienst predigte, bin ich auch hingegangen. Ich wollte hören, was einer sagt, der das alles auch weiss und der es uns sogar lehrt! Keine Arche, keine Mauern vor Jericho, keinen Exodus, dafür viel Hellenismus, viel Adaptionen von Geschichten aus der Umwelt der Hebräer. Worüber will der reden?

Offen gestanden: Ich war enttäuscht. Er sprach über den Psalm, als hätte David ihn gesungen, las aus dem NT, als wäre es ein Evangelium und betete, als wäre da ein Gott. Ich musste ihn zur Rede stellen.

Er fühlte sich nicht ertappt. Er liebt diese Texte aufrichtig. Als Wissenschaftler steht er ihnen gegenüber, analysiert sie. Aber als Mensch lebt er in ihnen und von ihnen. Er hatte sich einen kindlichen Glauben bewahrt. Aber nicht einen Glauben an die Historizität der biblischen Geschichten, sondern den Glauben daran, dass der Gott, der sich in den Erfahrungen der Menschen, die sich diese Geschichten erzählen gezeigt hat, auch für ihn da ist. Es ist gewissermassen ein Glaube aus dem Glauben derer, die vor ihm geschrieben haben. Nicht an das, was sie geschrieben haben, sondern aus dem heraus, was sie hat schreiben lassen.

Ich glaubte ihm

Ich glaubte ihm. Und dieses Vertrauen eröffnete mir einen neuen Zugang zur Bibel. Neben dem Literalsinn – der wörtlichen, geschichtlichen Auslegung – gab es ein freies Feld für die Interpretation im Glauben. Plötzlich waren die Höllenbilder nicht mehr dunkel und ängstigend, sondern weckten mein Mitgefühl für einen Menschen, der Angst vor Verlust und Verlassenheit gehabt hat. Das „Heulen und Zähneklappern“ kannte ich auch. Auch ich hatte Angst verlassen zu werden, alleine zu bleiben, verloren zu gehen.

Die Autor*innen der biblischen Texte stiegen von ihren Sockeln und wurden Mitmenschen.

Wir teilen Ängste und Hoffnungen. Und ich konnte aufhören, nach dem zu suchen, was biblische Texte vom Rest der antiken Literatur unterscheidet, was sie heilig und besonders macht und stattdessen die Kreativität und Gelehrsamkeit bewundern, mit der die Autor*innen die Stories ihrer Umwelt einbauten, konterkarierten oder adaptierten.

Heute hoffe ich wieder auf Gott. Sie spricht nicht mehr zu mir. Aber jene vor mir, deren Texte in den biblischen Kanon aufgenommen worden sind, sprechen bis heute zu mir. Und ich hoffe, dass wir zusammen staunen werden, wie anders und besser und grösser Gott sein wird, als unsere Geschichten uns hoffen machen. Die biblischen Geschichten erzähle ich meinen Kindern auch. Aber eher wie Märchen: Als überlieferte Erzählungen, hinter denen wir Wahrheit erwarten. Erfundene Geschichten, also? Besser wäre: Als Geschichten, in denen wir uns finden können.

4 Kommentare zu „Als Kind glaubte ich an Gott“

  1. Lieber Stephan

    Welcher aber dieser scheinbar allwissenden „Bestattungs-Profis“, die ihre Glaubwürdigkeit an theologischen Fakultäten ganz gerne mit dem Titel „Professor“ untermauern und nicht selten fleissig und stolz darum bemüht sind, jeglichen kindlichen Glauben ihrer Auszubildenden so frühzeitig wie nur möglich zu Grabe zu tragen – genauso eben, wie schliesslich ja auch ihr eigener Glaube eines Tages von einem anderen „Profi“ zu Grabe getragen wurde – und die auch nicht davor zurückschrecken, Theologen mit anderer Meinung und Erfahrung auf ihren Social-Media-Kanälen schon mal namentlich als „geistige Tiefflieger“ zu verspotten, kann einen bedrängten Menschen im Moment seines tiefsten Zweifels und seiner totalen Verunsicherung dazu auffordern:
    „Leg deinen Finger auf meine durchbohrten Hände und sieh sie dir an! Gib mir deine Hand und leg sie in die Wunde an meiner Seite!“ Und DARUM: „Zweifle nicht länger, sondern glaube!“?

    Mit herzlichem Gruss
    Thomas Prinz,
    ehemaliger Studierender der Theologie an der Uni Bern

    1. Lieber Thomas,
      das wäre aber auch eine reichlich selbstüberschätzende Antwort! Müssten Profs Christus selbst sein?! Oder wolltest du das gar nicht behaupten! sondern deine Frustrationen, die du an der Theologischen Fakultät erfahren hast, loswerden?
      Es geht nämlich wenigen so wie dir. Ein aktuelles tolles Beispiel? Alisha Pfenninger von der Uni Bern: https://christchind.li/uni-studium-verdirbt-den-glauben-mit-alisha-pfenninger/
      Lieber Gruss, Stephan

  2. Lieber Stephan

    Danke für Deine Antwort.

    Mein – zugegebenermassen nicht ganz ohne Schärfe formulierter Beitrag – soll vor allem ein kurzes Plädoyer für die Glaubwürdigkeit der Botschaft Jesu – und der Bibel – sein.

    Seit vielen Generationen von Menschen unterschiedlichster Herkunft geglaubt, bewährt und in ihrer Wahrheit persönlich erlebt, verfügt sie auch heute noch über dieselbe erfahrbare und verändernde Kraft und auch verbindliche Gültigkeit für ein Individuum, das sich ihr vertrauensvoll und – auch wenn Du es vermutlich nicht gerne lesen wirst – in kindlichem Glauben zuwendet.
    Gerade auch inmitten aller persönlichen Zweifel und Fragen und jenseits aller – auch „professionellen“ – Destruktionsbemühungen!

    Und so heisst es dann auch anschliessend an die beiden Jesus-Worte aus dem Johannesevangelium, Kapitel 20, die ich in meinem ersten Beitrag erwähnte:
    „Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Wie glücklich können sich erst die schätzen, die mich nicht sehen und trotzdem (Anmerkung: der Verkündigung) glauben!“
    Mit herzlichem Gruss
    Thomas

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