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Der angekommene Pilger

Als Papst Benedikt XVI. als erster Papst der Neuzeit am 28. Februar 2013 zurückgetreten ist, bezeichnete er sich als «ein Pilger, der die letzte Phase seiner Pilgerreise auf dieser Erde beginnt». Diese Reise hat nun am letzten Tag des Jahres 2022 am Gedenktag eines seiner Vorgänger im Amt, Silvester, ihr Ende gefunden und der Pilger ist nun mit den Worten «Jesus ich liebe dich» am Pilgerort angekommen. Meinerseits kann ich ihm nur wünschen, dass er diese Liebe Jesu in seiner Fülle spüren und nun seine letzte, ja ewige Ruhe finden möge.

Die Pilgerreise begann schon am Karsamstag, den 16. April 1927, im kleinen bayrischen Dorf Marktl am Inn. Und dies im doppelten Sinne, da der leibliche Geburtstag Joseph Ratzingers in gleicher Weise sein spiritueller war, weil er direkt nach seiner Geburt getauft worden ist.

Später wird Joseph Ratzinger selbst über seinen Geburtsort schreiben: Es ist «der Ort, an dem mir meine Eltern das Leben geschenkt haben; der Ort, an dem ich getauft worden bin am Karsamstagmorgen und so Glied der Kirche Jesu Christi wurde».

Nähe zur orthodoxen Kirche

Dieser Übergang von Karsamstag auf den Ostersonntag, vom Tod in das Leben hinein, wird Joseph Ratzinger sein ganzes Leben lang prägen.

Es ist in diesem Sinne kein Zufall, dass er in seiner Theologie das Wort «Leben» ganz gestützt auf das Neue Testament und die griechischen Kirchenväter verstanden und so zwischen Bios und Zoe unterschieden hat, wobei das Bios (Bio-logie) das irdische Leben meint und Zoe als das eigentliche Leben verstanden wird, das den Menschen von Gott geschenkt wird.

Die Fülle des Lebens ist somit ohne Spiritualität und die Einheit mit Gott für ihn nicht möglich. Die Transformation des Bios zur Zoe, was in der Orthodoxen Theologie als Theosis (Vergöttlichung) bezeichnet wird, war somit eine grundlegende Aussage in der Theologie Ratzingers und nicht nur darin war er ein Pontifex, ein Brückenbauer zwischen Ost und West.

Er war einer der wenigen westlichen Theologen, die die orthodoxe Theologie ontologisch verstanden haben. In seiner Theologie hat er es geschafft, die ostchristliche Theologie «westlich» zu entschlüsseln.

Es verwundert nicht, dass Ratzinger besonders eine Vorliebe für die orthodoxen Theologie hatte und dies, weil er verstanden hat, dass sie nicht einfach eine archäologische Theologie ist, sondern gestützt auf die Tradition eine Theologie für die Zukunft. Das Motto lautete somit nicht einfach zurück zu den Kirchenvätern, sondern vorwärts mit den Kirchenvätern und -müttern. Die Fülle der spiritualen Erfahrung in der Geschichte sollte somit nicht einfach in Vergessenheit geraten, sondern als ein Pool von Erfahrungen für den spirituellen Aufschwung der heutigen Zeit dienen, von dem die Gläubigen schöpfen konnten.

Dialog mit Protestantismus

Somit versuchte Ratzinger die Theologie der Kirchenväter für das 20. und 21. Jahrhundert zu entschlüsseln und den Menschen näher zu bringen. Dass Ratzinger jedoch auch der Dialog mit der protestantischen Welt wichtig war, hat sich vor allem durch verschiedene symbolische Akte gezeigt.

Er war der erste Papst, der in Erfurt eine Wirkungsstätte Martin Luthers besuchte.

Bei der Neubesetzung des «Ökumeneministers» im Vatikan, nach dem Ende der Amtszeit von Kardinal Kasper bestimmt er den Bischof von Basel Kurt Koch für dieses Amt. Dieser kannte den Protestantismus nicht nur aus Büchern, sondern von der Praxis her. Somit konnte er für diesen Dialog einen wichtigen Beitrag leisten.

Kommen wir jedoch zurück zum Pilgerweg. Es waren turbulente Zeiten, in denen Joseph Ratzinger in Deutschland aufgewachsen ist, wo er die Brutalität eines totalitären NS-Regimes und die Opposition die seine Eltern gegen dieses hatten miterleben konnte.

Es verwundert deshalb nicht, dass er in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag 2011 gegenüber Parlamentarierinnen und Parlamentariern immer wieder betonte, dass letztendlich auch das Recht und das Gesetz beziehungsweise die Gesetzgebung der Ethik unterworfen sind und nicht willkürlich beschlossen werden können.

Die Karriere ging für den begabten Wissenschaftler und Kleriker nach dem Krieg steil bergauf: Priesterweihe, Promotion, Habilitation, unter anderem Professuren in Bonn, Tübingen und Regensburg, die Ernennung zum Erzbischof von München und Freising, später den Erhalt der Kardinalswürde und die Beförderung zum Präfekten der Glaubenskongregation und schliesslich Papst.

Joseph Ratzinger war jedoch nicht bei allen beliebt. Vor allem galt er in manchen Kreisen als Kardinal, aber später auch als Papst als ein Bremser von Reformen in der Katholischen Kirche, wo ihm schon als Kardinal der Titel des «Panzerkardinals» – des Bewahrers des Glaubens gegeben wurde.

Der Mensch hinter der Medienfigur

Wer mit Joseph Ratzinger – Papst Benedikt XVI. jedoch persönlich zu tun hatte wusste, dass diese Titel und die Vorwürfe keinen wirklichen Inhalt hatten.

Ich persönlich werde ihn als einen sehr demütigen und gläubigen Menschen in Erinnerung behalten, der sehr gut zuhören konnte und in gleicher Weise eine Theologie aus seinem Herz verbunden mit der Vernunft des Glaubens lebte und propagierte.

Dies war wohl eine seiner spirituellen Stärken: seine Demut, die er nicht nur bei vielen theologischen Diskussionen unter Beweis stellen konnte, sondern letztendlich auch durch seinen Rücktritt im Jahre 2013, wobei er dem Papstamt somit nochmals seinen Charakter gegeben hat.

Man kann sagen, dass Joseph Ratzinger-Benedikt XVI. nicht versucht hat, die Kirche ins 21. Jahrhundert zu führen, aber das 21. Jahrhundert zur Kirche.

Seine Theologie wurde von vielen missverstanden und als eine Rückkehrtheologie empfunden. Joseph Ratzinger war jedoch ein Kenner der kirchlichen Theologie und wusste, dass die Theologie nicht einfach eine Philosophie ist, die mit der Zeit einfach so mitgeht. Vielmehr hat er immer wieder versucht, das Ewige in der Geschichte jeder Epoche aufzuzeigen.

Sein theologisches Erbe ist gross und seine zahlreichen Schriften und Monographien werden für die zukünftigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber vor allem für die Gläubigen eine Quelle des theologischen Diskurses des 20. und 21. Jahrhunderts sein. Und ein Ort, wo Glaube und Vernunft harmonisch miteinander in Einklang gebracht wurden.

Bei all den Fehlern, die jeder Mensch auf Erden macht, bleibt den Hinterbliebenen immer nur eins: für die Menschen zu beten, die den Heimgang angetreten haben. Somit möge auch ihm der Herr seine menschlichen Verfehlungen verzeihen. Möge er in der Obhut des Heilands Jesus Christus seine Ruhe finden.

Abschliessend möchte ich nur die Worte sagen, die man in der Orthodoxen Kirche bei dem Heimgang eines Menschen sagt: «Möge das Gedächtnis an ihn ewig sein».

 

Stefanos Athanasiou, geboren 1981 in Hanau/Deutschland, ist ein Theologe und Pfarrer an der griechisch-orthodoxen Gemeinde Agios Dimitrios in Zürich. Der verstorbene emeritierte Papst lud ihn immer wieder ein zu persönlichen Treffen und schätzte den theologischen und freundschaftlichen Austausch mit ihm. Beim letzten Treffen der beiden vor wenigen Monaten war Benedikt bereits schwer von Krankheit gezeichnet.

Stefanos Athanasiou war auch schon in einer Folge des RefLab-Podcasts TheoLounge zu Gast: Gibt es einen Krieg der Kirchen?

Foto: Papst Benedikt und Stefanos Athanasiou, Quelle: privat

3 Kommentare zu „Der angekommene Pilger“

  1. Albrecht Grözinger

    Dass ausgerechnet reflab einen solchen Beitrag veröffentlicht, finde ich bemerkenswert. In der Fülle der Nachrufe habe ich so etwas bisher nicht gelesen wie diesen Beitrag aus der Perspektive der östlichen „Orthodoxie“. Ganz herzlichen Dank.
    Und eines habe ich jetzt gelernt: Offensichtlich konnte dieser Papst und Theologe die östliche Orthodoxie dem „Westen“ „entschlüsseln“ – den Protestantismus konnte er dagegen ganz offensichtlich nicht einmal für sich selbst „entschlüsseln“.

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