Anfang Juli 2022 gab die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock die Übertragung des Eigentumsrechts an Kunstgegenständen aus Benin an Nigeria bekannt. Im Dezember wurden die ersten zwanzig Bronzen zurückgegeben. Weitere sollen folgen. Das Ereignis wurde als Akt der Wiedergutmachung gross gefeiert.
Mehrere Tausend Objekte sind 1897 bei der blutigen Eroberung des Königreichs Benin durch die britische Kolonialarmee aus dem dortigen Königspalast gestohlen worden. Wenig später gelangten die Werke auf den Kunstmarkt. Zwischen Museen und Privatsammlern entbrannte ein Wettstreit um die besten Stücke. Deutschland konnte sich mit 1’100 Benin-Bronzen den grössten Anteil sichern.
Akt der Wiedergutmachung
Die Deutschen also hatten die kunsthistorisch herausragenden Gegenstände aus Bronze, Elfenbein und anderen Materialien nicht selbst geraubt, sondern auf dem Kunstmarkt gekauft. Durch die Sensibilisierung für die Raubkunstthematik aber war es zunehmend untragbar erschienen, geplünderte Gegenstände zu besitzen und öffentlich auszustellen.
Als kürzlich aber bekannt wurde, die nigerianische Regierung habe die restituierten Benin-Bronzen an den Oba (König) von Benin weitergereicht, brach eine Welle der Empörung los.
Statt eines staatlichen Museums kommt ein afrikanischer Potentat in den Genuss von millionenschweren Werken. Zudem einer, dessen Herrscherhaus bekanntermassen durch Sklavenhandel immens reich geworden war.
Die Benin-Bronzen dienten der Demonstration dieses Reichtums. Lief es am Ende also darauf hinaus: Bronzen für Bonzen?
Sogar der «Spiegel» titelte: «Benin-Bronzen. Warum ließ sich Annalena Baerbock für dumm verkaufen.»
Zugleich ist unverkennbar, dass viele nun die Gelegenheit gekommen sehen, die Rückgabe von Raubkunst zu blockieren.
Das Thema betrifft auch die Schweiz, immerhin befinden sich auch in der Schweiz zirka hundert Objekte aus dem geplünderten Palast.
Schräge Optik
Tatsächlich sieht es schon etwas schräg aus, Kunst zurückzugeben, die gekauft, nicht gestohlen wurde, öffentlich ausgestellt war und nun als Privatbesitz in den Händen einer früheren Sklavenhändlerfamilie landet.
Wie so oft lohnt aber auch hier ein genauerer Blick.
Zum einen gibt es eine lange Geschichte der Herablassung gegenüber indigenen Repräsentant:innen, die in europäischen Museen anklopften und Ansprüche auf Rückgabe ihres kulturellen Erbes erhoben. Dazu gehörten neben Delegationen aus Afrika und Australien auch Vertreter:innen der First Nations der USA.
Zum anderen versäumten öffentliche Kulturinstitutionen jahrzehntelang die Aufarbeitung der eigenen Geschichte.
«Der Oba von Benin läuft seit Jahren herum und fordert die Benin-Bronzen zurück und überall erntet er nur Herablassung», erklärte mir vor zirka sieben Jahren der namhafte Kurator Bonaventure Ndikung.
Westliche Arroganz
Der Oba (König) von Benin, erzählte der Kurator aus Kamerun, müsse sich immer wieder anhören:
«Ihr habt doch in Afrika keine Museen mit funktionierenden Klimaanlagen und Luftfeuchtigkeitsmessern.»
Nun existiere aber in Benin-City bis heute der seit der Plünderung durch britische Kolonialtruppen leer geräumte Palast.
«Die Bronzen könnten an den Ort zurückkehren, wo britische Kolonialsoldaten gemordet und geplündert haben.»
Forderungen wie jene des Oba wurden schlicht nicht ernst genommen, weil es keine offiziellen Regierungsforderungen waren. Der Oba ist zwar politisches und religiöses Oberhaupt des Volkes der Edo. Aber Edo State befindet sich heute auf nigerianischem Territorium. Dominierende Religion in Edo State ist übrigens das Christentum. Bereits im 15. Jahrhundert missionierten dort portugiesische Missionare.
Museen mauerten
Nun erhob allerdings auch die nigerianische Regierung bereits in der Vergangenheit Ansprüche auf die Benin-Bronzen, erstmals in den 1970er-Jahren. Aber nichts geschah. Museen mauerten. Dann kam die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy; der französische Präsident Macron entdeckte das Thema Raubkunst und auf einmal bewegten sich auch Museen. Die wachsende Konkurrenz mit China um afrikanische Rohstoffe spielte hier auch eine, vielleicht die entscheidende Rolle.
In einem «Spiegel»-Interview machte der Präsident der Stiftung Preussischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, deutlich, dass die Rückgabe – selbstverständlich – nicht an Bedingungen geknüpft worden sei. Man könne Eigentümern von geraubtem Gut schwer vorschreiben, was mit zurückgegebenen Schätzen zu geschehen habe.
Aber kann eine Restitution an einen König aus einer Sklavenhändlerfamilie tatsächlich rechtmässig sein?
Die Benin-Bronzen und der Schweiss von Sklav:innen sind im wahren Sinn des Wortes verschmolzen. Die Bronzen wurden aus eingeschmolzenen Manillen gefertigt, also Messingarmreifen. Die Portugiesen nutzten Manillen als Geldersatz zur Finanzierung von Sklaveneinkäufen in Westafrika. Das Zinkerz, aus dem die Manillen gefertigt wurden, stammte teilweise aus deutschen Zinkgruben.
Palastmuseum
Oba Ewuare II möchte die Objekte in seinem Palast präsentieren. Dieses Projekt verfolgt er seit Jahren. Die Gegenstände seien bedeutsam im Zusammenhang des Ahnenkults seiner Familie.
«Wir planen ein Palastmuseum, wo die Stücke, die zu uns zurückkommen, sicher aufbewahrt und Besuchern zugänglich gemacht werden. Dorthin geben wir dann auch unser Archivmaterial, das wir seit langem im Palast gesammelt haben», zitierte etwa 2018 die «FAZ« den Oba.
Der Edo-Herrscher betonte im selben Interview:
«Ich sage bewusst, wir wollen einige der geplünderten Objekte zurück, nicht alle. Denn sie sind mittlerweile zu Botschaftern unserer Kultur auf der ganzen Welt geworden. Aber einige wollen wir schon zurück.»
Schon allein, weil viele afrikanischen Menschen aufgrund von Visa-Verweigerung heute nicht nach Europa kommen können, macht es grundsätzlich Sinn, dass Kunst nach Afrika zurückkehrt. Nur sehr wenige Werke sind auf dem Kontinent verblieben, das meiste gelangte in westliche Hände.
Gedankenexperiment
Ein Gutes hat diese Debatte aber bewirkt: Sie regt dazu an, mit mehr Kreativität darüber nachzudenken, an wen genau künftig restituiert werden sollte. Der Kulturwissenschaftler und Afrika-Experte Klaus Keuthmann brachte jetzt in der «Zeit» bezüglich der Benin-Bronzen ein «Gedankenexperiment» vor: Soll man an die Regierung Nigerias restituieren, an das Königshaus von Benin, fragt er, «oder an Nachfahren von Sklaven? In Afrika? In Amerika?»
Geschichte wird zunehmend als Global History (globale Geschichte) und Entangled History (verwobene Geschichte) in den Blick genommen. Damit verschieben sich Perspektiven und entstehen neue Blickwinkel auch auf Unrecht und Wiedergutmachung.
Man sollte darüber nachdenken, ob nicht Kunstwerke aus Benin, deren Wert hunderte Millionen Franken beträgt, in eine Stiftung überführt werden könnten. Gesellschaften, deren Wohlstand durch Sklavenwirtschaft mitbegründet wurde und/oder in denen gegenwärtig menschliche Arbeitskraft ausgebeutet wird, könnten in die Stiftung Kapital einbringen. Für das Entleihen und Abbilden der Kunst könnten Gebühren erhoben werden.
Das Geld könnte Projekten zugutekommen, die der Anerkennung historischen Unrechts und Bemühungen um Wiedergutmachung gewidmet sind.
Benin-Bronzen in der Schweiz:
Acht Schweizer Museen haben sich unter Federführung des Museums Rietberg zur Benin Initiative Schweiz zusammengeschlossen, um gemeinsam die Provenienzen ihrer Sammlungen aus dem Königtum Benin in Nigeria zu untersuchen.
Gedenkkopf eines Königs (Nigeria) im Ausstellungsbereich „Das Königreich Benin” des Ethnologischen Museums im Humboldt Forum © Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum, Eigentum an Nigeria übertragen am 25. August 2022 / Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, Foto: Alexander Schippel