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Zwiespältiges Erbe

Unter dem Stichwort «Slavery» stösst man im Online-Archiv von Mission 21 (früher: Basler Mission) auf Gruppenfotos befreiter Sklavinnen und Sklaven. Darunter sind auch Kinder. Es wird spürbar, dass diese gedemütigten Menschen nach ihrer Befreiung nicht einfach aufatmen konnten. Die Unfreiheit und die schwere körperliche Arbeit lasten spürbar weiter auf ihnen: als Tiefenverletzung.

Versklavte Menschen bildeten im 18. und 19. Jahrhundert gewissermassen das Schmiermittel einer auf Billigrohstoffe getrimmten transnationalen Handelswirtschaft. Die Schweiz mischte in dem Geschäft von Beginn an mit. Man spricht daher bezogen auf die Schweiz auch von «Kolonialismus ohne Kolonien».

«Kolonialismus ohne Kolonien»

Mit auf dem Bild befreiter Sklavinnen und Sklaven aus Kumase (Goldküste) ist ein väterlich wirkender Basler Missionar mit Patriarchenbart: Friedrich August Louis Ramseyer sowie seine Frau. Denselben Missionar, der sich für Sklavenbefreiung einsetzte, sieht man auf anderen historischen Fotografien bei seinen Reisen durch den Urwald.

Ramseyer liess sich, wie auch andere europäische Reisende der damaligen Zeit, von einheimischen Trägern in der Hängematte tagelang durch den Dschungel, über Steppen und über Flüsse tragen.

Der christliche Missionar gibt das Bild des weissen Herrn ab, der schwarze Menschen für sich schwitzen lässt.

Black Lives Matter

Spätestens seit der «Black Lives Matter»-Bewegung wird noch einmal schärfer auf Ambivalenzen christlicher Missionsprojekte während der Hochphase des europäischen Imperialismus und Kolonialismus geblickt. Auch um das häufig unbewusste Fortwirken der kolonialen DNA besser zu begreifen, das seinen Ausdruck bis heute in Formen von Rassismus und Diskriminierung findet.

Das Archiv der Basler Mission ist für internationale Forscher:innen ein besonders reichhaltiger Fundus. Es ist bereits seit den 1970er-Jahren öffentlich zugänglich. Die Organisation ist glaubhaft um Transparenz bemüht. Die kritische Aufarbeitung gerade der Verflechtungen von Mission und Sklaverei aber befinde sich erst in der Anfangsphase, sagt Magdalena Zimmermann, die stellvertretende Direktorin von Mission 21.

Wiedergutmachung

Grundmotivation der Gründung der Basler Mission im Jahr 1815 war laut Zimmermann die «Wiedergutmachung des Unrechts», das Menschen in der Sklavenwirtschaft angetan worden sei.

Bislang ist ein einziger Fall eines Basler Missionars bekannt, der nachweislich Sklaven ausbeutete: Andreas Riis. Die Missionsleitung kritisierte diesen, beorderte ihn nach Basel und entliess ihn 1846 nach einer Anhörung.

Daneben hatten an der Goldküste verschiedene Missionsmitarbeiter nachweislich Sklav:innen in ihren Häusern (Domestic Slaves); Basel protestierte, aber akzeptierte die Praktik schliesslich als «lokalen Brauch».

Mansfield Park

Ein prominentes Beispiel für Verbindungen einer Pfarrerfamilie zur Plantagensklaverei bietet die Familie der prominenten englischen Schriftstellerin Jane Austen. In ihrem Roman «Mansfield Park» reisst die Autorin das Thema der Sklaverei kurz an.

«Did not you hear me ask him about the slave trade last night?», fragt eine Romanfigur. Die Reaktion des Befragten ist statt einer Antwort: «dead silence» – tödliche Stille.

Vor einigen Jahren wurde bekannt, dass der Vater der Autorin, ein Pfarrer der Church of England, Mitverwalter einer Heiratsvereinbarung gewesen ist, bei der es um die Verteilung von Gewinnen aus einer Zuckerplantage auf den Antillen ging.

Jane Austens Bruder war in der Abolitions-Bewegung aktiv, der von christlichen Gruppierungen wie den Quäkern ausgegangenen Forderung nach Abschaffung der Sklaverei.

Pfarrer als Sklavenhalter

Einige wenige Fälle von protestantischen Pfarrern sind bislang bekannt, die versklavte Menschen für sich arbeiten liessen; so etwas der Zürcher Pfarrer Heinrich Grob im südamerikanischen Surinam. Als Dank für eine Kindestaufe bekam Grob von einem Ratsherrn einen Sklaven geschenkt.

Die Ethnologin Andrea Scholz erforschte als Kuratorin des Ethnologischen Museums Berlin Verstrickungen der Herrnhuter Brüdergemeinde ebenfalls in Surinam.

Scholz schreibt:

«Das Betreiben von Plantagen, auf denen versklavte Menschen zur Arbeit gezwungen wurden, erscheint gerade im Missionszusammenhang befremdlich, war in der damaligen Zeit aber verbreitet. Auf diese Weise wurde die für die Missionstätigkeit notwendige Infrastruktur finanziert.» [1]

Salvation or Slavery?

Gerade die Herrnhuter waren für ihre egalitäre Haltung und Ablehnung der Sklaverei bekannt. In Surinam aber scheint die Brüdergemeinde sowohl unfreiwillige Arbeiter auf Plantagen eingesetzt zu haben, als auch sogenannte Maroons, das sind Sklaven, denen die Flucht gelungen war, mit Versuchen der Missionierung und Wiedereinbindung in strikte Arbeitsverhältnisse bedrängt zu haben.

Ähnlich gelagert scheint der Fall der Franziskanermission unter den indigenen Einwohnern Kaliforniens zu sein. Hier scheint Taufe teilweise mit einem Verbot verbunden gewesen zu sein, die Missionsstationen zu verlassen. Christianisierung und Formen von Arbeitszwang gegriffen ineinander, Salvation und Slavery.

Sklaverei begegnet in der Geschichte des Kolonialismus auch als vorgeschobenes Argument. Mit dem Verweis auf das Vorhandensein innerafrikanischer und arabischer Sklavenmärkte, die bereits vor Ankunft der Europäer existierten, wurde Kolonisierung in Gebieten wie beispielsweise Deutsch-Ostafrika zu rechtfertigen versucht. Hier bedeutete Christianisierung nicht zuletzt Frontstellung gegenüber dem Islam.

Totgeschwiegener antikolonialer Widerstand

Nicht selten kam es zu Aufständen Einheimischer, die zur Plantagenarbeit gezwungen nicht mehr Zeit und Kraft fanden, ihre eigenen Felder zu bestellen. Dies war etwa in Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) Auslöser des in Europa lange Zeit als Maji-Maji-Aufstand verharmlosten antikolonialen Kriegs. Auf afrikanischer Seite fanden schätzungsweise 200’000 bis 300’000 Menschen den Tod.

Vom antikolonialen Widerstand wissen wir im Westen viel zu wenig. Wir sitzen zum Teil bis heute Vorstellungen auf, die Zivilisation sei mit den weissen Kolonisatoren eingezogen, obwohl es oft umgekehrt ein Einzug der Barbarei gewesen ist. So etwa, wenn mit Maschinengewehren auf traditionell bewaffnete Krieger geschossen wurde.

Ambivalente Haltung

Wie ambivalent die Haltung seitens christlicher Akteure mitunter war, lässt sich beispielhaft an Christian Ignatius Latrobe ablesen. Dieser war ein Geistlicher und langjähriger Sekretär der Herrnhuter Brüdergemeinde in London.

Latrobe entstammte einer prominenten transnationalen Familie aus Händlern, Politikern und Missionaren. Bei ihm verband sich das Grauen über die menschenverachtende Behandlung von Sklav:innen mit einer quietistischen Haltung, die Missionsprojekte nicht gefährden wollte. [2]

Eine theologische Rechtfertigung fand diese Haltung in einer Trennung von geistlichen und weltlichen Belangen. In der sogenannten Reich-Gottes-Arbeit auf der Grundlage der Überzeugung, dass alle Erdenkinder vor Gott gleich sind, ging es primär um «spirituelle Befreiung der Sklaven». Erst nachgeordnet kam die Befreiung aus irdischer Drangsal.

In Einzelfällen wurden Missionsstationen, die auf Letzteres drängten, von aufgebrachten Plantagenbesitzern zerstört.

Konfessionelle Netzwerke

Neue historische Forschungen zeigen, dass Schweizer Bürger:innen und Unternehmer stärker als bisher angenommen in die Sklavenwirtschaft verwickelt waren und konfessionelle Netzwerke eine Rolle spielten.

Schweizer:innen der alten Eidgenossenschaft waren gemäss aktuellen Recherchen im Zuge des transatlantischen Sklavenhandels an der Versklavung von etwa 172‘000 Menschen beteiligt. Dies macht zirka 1,5 Prozent der geschätzten 11 bis 12  Millionen versklavten Menschen aus, was für ein kleines Land wie die Schweiz eine grosse Zahl ist.

Aktivitäten von Missionshändlern

Bereits im 19. Jahrhundert herrschte in der Schweizer Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Greuel der Sklaverei. Gleichzeitig aber schien deren Abschaffung vielfach ausserhalb des Denkbaren zu liegen. Man fürchtete einen Komplettzusammenbruch gerade jener Wirtschaftszweige, denen die Schweiz wesentlich ihren Reichtum verdankte.

Die ersten Aktionäre der Basler Handelsgesellschaft BHG (gegründet 1859 als Missions-Handlungs-Gesellschaft) waren erweckungsbewegte wohlhabende Basler Bürgersöhne. Ihre Familien hatten immensen Reichtum im sogenannten Dreieckshandel erzielt. Darin waren Sklavenhandel und -haltung eingebunden.

Man darf bei den involvierten Akteuren Wissen um Zustände und schlechtes Gewissen gleichermassen annehmen.

Colonialism Revisited

Der Versuch der «Wiedergutmachung» durch den Aufbau eines alternativen Handels, der Einheimischen faire Erwerbsmöglichkeiten bieten sollte, mündete mit dem enormen ökonomischen Erfolg der BHG seinerseits in fragwürdige Praktiken. Dies zeigt die Historikerin und NZZ-Redakteurin Lea Haller in einem Webinar vom 4. Mai 2023 der erhellenden Reihe «Colonialism Revisited» von Mission 21 auf.

Die bis Mitte Juli laufende Zürcher Ausstellung «Blinde Flecken – Zürich und der Kolonialismus» klärt über die Situation in Westafrika unter dem Stichwort «Schweizer Schoggi» auf:

«Dort wurde der Kakao unter menschenunwürdigen Bedingungen und teilweise durch den Einsatz versklavter Menschen auf Plantagen angebaut. Schweizer*innen waren von Anfang an stark involviert. So war etwa die Handelsgesellschaft der Basler Mission eine der Hauptexporteurinnen von Kakao.»

Auch der nachfolgende Satz gibt zu denken: «Ein Grossteil der Kakaobäuer*innen lebt auch heute noch in grosser Armut.»

 

[1] Andrea Scholz, Missionare als Sammler in Surinam, in: Kunst und Kirche. Magazin für Kritik, Ästhetik und Religion, 2019/2, Hefttitel: Das Humboldt Forum. Konfrontation mit dem Kolonialen Erbe, Hg. Johanna und Luca Di Blasi, S. 28-33. https://kunst-religion.de/kunst-und-kirche-heft-2-2019/

[2] Gibbs, Jane M.: Micro, Meso, and Macro Missions and the Global Question of Slavery. The Case of Christian Latrobe in Saxony, Great Britain, and South Africa, in: Ratschiller, L./ Wetjen, K.: Verflochtene Mission. Perspektiven auf eine neue Missionsgesichte.

 

Veranstaltungshinweise

Im Zuge der Ausstellung «Blinde Flecken. Zürich und der Kolonialismus» (bis 15. Juli im Stadthaus Zürich) laden die Züricher Landeskirche und das Institut für interreligiösen Dialog ZIID am 25. Mai (18.30-21 Uhr) zu einer Podiumsdiskussion zum Thema «Christliche Mission und Sklaverei» ins Kulturhaus Helferei in Zürich ein.

Inputreferate von Magdalena Zimmermann, Mission 21, und Frank Schubert, Universität Zürich. Der Historiker ist Co-Autor der von der Stadt Zürich in Auftrag gegebenen Studie «Die Beteiligung der Stadt Zürich sowie der Zürcherinnen und Zürcher an Sklaverei und Sklavenhandel vom 17. bis ins 19. Jahrhundert» (2020). Moderation: Felix Reich, Redaktionsleiter von «reformiert» und im RefLab mitverantwortlich für den Podcast «Stammtisch».

Ausstellungstipp: «Look Closer», bis 17. September im Museum Rietberg in Zürich, richtet den Blick auf den Kunstethnologen und Sammler Hans Himmelheber (1908–2003). Dieser reiste 13 Mal nach West- und Zentralafrika. Himmelhebers Forschungs- und Sammeltätigkeit umspannen einen Zeitraum von der Kolonialzeit über die Unabhängigkeit bis in die 1970er Jahre. Er gehört zu den ersten, die sich nicht nur für Kunst aus Afrika interessierten, sondern auch für die Menschen, die diese erschufen.

Literaturtipps

 

Weiterführende Links

Forschungsarchiv Mission 21

Cooperaxion Datenbank Verbindungen Personen aus der Schweiz mit transatlantischem Sklavenhandel

Alfred Escher Briefedition

 

Grafik: Sklaventransport, unbekannter Zeichner, undatiert. Quelle: Forschungsarchiv Mission 21. Disclaimer: «All historical documents and images (including titles) on www.bmarchives.org are provided solely for the purpose of information about historical processes and events. They are presented unchanged and are intended to be used for research purposes only. They reflect the norms and attitudes of their time and may be found offensive. They are in no way an expression of the convictions and attitudes of Mission 21 and the Basel Mission in the present. The transparent and scientific reappraisal of mission history is an important concern of Mission 21 and the Basel Mission.»

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