Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 3 Minuten

Zurück zu mir

Wenn immer es geht, so vier- bis sechsmal die Woche, schnüre ich die Laufschuhe, ziehe Handschuhe und Mütze an und laufe los. Zu Beginn des Laufs finde ich das nie gut. Zu kalt, zu anstrengend, zu steif und ein bisschen zu wenig Luft. Aber das ist nur am Anfang so. Wenn ich geduldig weiterlaufe, stellt der Körper um: Er will mich nicht mehr in die warme Wohnung zurücktragen, sondern akzeptiert, dass wir nun eine Weile an der frischen Luft verbringen werden. Er wärmt auf, atmet leichter. Die Schritte gehen wie von selbst. Von selbst findet er seinen Rhythmus.

Was ich brauche

Wenn ich anderen Läuferinnen und Läufern begegne, grüssen wir uns wie Mitglieder einer verschworenen Gruppe. Es ist egal, wie schnell oder wie weit jemand läuft. Wir sind diejenigen, die jetzt draussen sind. Egal, wie weit oder wie schnell: Wir sind draussen. Dabei haben wir, anders als man vielleicht vermuten würde, nicht einen Kampf gegen einen inneren Schweinehund gewonnen. Uns verbindet nicht eine Härte gegen uns selbst. Wir gönnen uns Zeit für uns selbst. Haben uns beide gleichzeitig einen Moment aus dem Advents- und Wintertrott herausgenommen. Wir sind alle für ein paar Minuten oder Stunden in unserem Tempo unterwegs. Denken unsere Gedanken und manchmal gar nichts.

Besonders in Zeiten, in denen man aus guten Gründen Einschränkungen hinzunehmen hat, wird man leicht dankbar für einen Lauf. Ob die Betriebs-Weihnachtsfeier stattfinden kann? Ob wir alle wieder aus dem Home-Office arbeiten werden? Ob das Klausen-Fest im Quartier durchgeführt wird, ich die Weihnachtsgeschenke im Laden kaufen werde? Egal. Jetzt laufe ich. Jetzt ist der Blick nicht ängstlich oder wehmütig auf dem, was fehlt oder möglicherweise fehlen wird. In diesem Moment ist alles da, was ich brauche.

Es wird beiläufig

Längst habe ich mein Tempo gefunden. Das heisst, das Laufen geht wie von selbst. Es braucht keine besondere Aufmerksamkeit mehr. Es wird beiläufig. Und im Kopf entsteht eine Freiheit, das wahrzunehmen, was wirklich da ist: Das Geräusch unter der Sohle, der ruhige und regelmässige Atem, der das Halstuch aufwärmt. Der Geruch von Tannen, kalter Aare. Oder die erfrischenden Schneeflocken, die im Gesicht schmelzen.

So bei sich angekommen, vergeht die Zeit unbemerkt. Sie ist gleichzeitig voll und hat ganz viel Platz für mich selbst. Ich werde mir dankbar, dass ich mir diese Zeit gegeben habe, fühle mich verbunden mit dem, was gerade um mich ist und lebt. Da ist kein Druck mehr, sondern eine Offenheit für alles, was auf mich einströmt: Luft, Regen, Schnee, Holzduft oder den Gruss eines Spaziergängers.

Wenn ich danach am Bürotisch sitze oder an einer Sitzung teilnehme, mit Maske im überfüllten Tram sitze oder einkaufe, überkommt mich gelegentlich eine stille Freude: «Bald kannst du wieder raus. Zurück zu dir.»

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