Gefrorener Frischkäse zum Frühstück, das geht noch. Lauwarmes Bier zum Feierabend schmeckt zwar nicht, aber erfüllt seinen Zweck. In unserer fünfer WG haben wir zwei Kühlschränke. Einer funktioniert. Der andere ist rot. Der rote Kühlschrank schwankt auf seiner Identitätssuche gerade zwischen Vorratsschrank und Gletscher.
Ich mache ihm keinen Vorwurf. Er hat uns jahrelang gute Dienste geleistet. Er kann nichts dafür, dass er unzuverlässig wird.
Deshalb bringe ich es auch nicht übers Herz, ihn abzustellen. Aber wie das so ist, wenn man misstrauisch wird, vertraue ich ihm die wirklich wichtigen Inhalte nicht mehr an: Das stichfeste Schoko-Joghurt und der vegane Rahm wandern in den reibungslos funktionierenden Kühlschrank. Bis irgendwann nur noch Tomaten übrig bleiben.
Nur noch Smalltallk
Während ich den Lebensmitteln beim Umzug helfe, denke ich an eine Freundin. An unsere nächtlichen Telefonate, wo ich mich ausheulte, weil all die fehlgeschlagenen Dates an meinem Selbstwertgefühl knabberten. Damals erzählte ich ihr auch noch von Buchideen und Lebensträumen. Doch dann begann sie immer öfter, meine persönlichen Informationen zu anderen durchsickern zu lassen – und diese bei Bedarf noch etwas anzupassen.
Wenn wir uns jetzt treffen, erzähle ich nur noch von lustigen Begegnungen und Texten, die ich bereits geschrieben habe.
Die wirklich wichtigen Inhalte, die so nahe an meinem Herzen sind, dass sie den Gefrierpunkt nicht überstehen würden, behalte ich für mich.
Ich mache ihr keinen Vorwurf. Unsere Freundschaft hat mir jahrelang gute Dienste geleistet. Ich bringe es nicht übers Herz, die Beziehung abzustellen. Aber auf einmal frage ich mich: Lohnt sich eine Freundschaft, in der ich nur noch Tomaten aufbewahre?
Vertrauen ist flauschig
Ich erschrecke ein wenig über diese Frage. Eine innere Stimme, die verdächtig nach meiner Sonntagschullehrerin klingt, sagt:
«Entscheide dich doch einfach, ihr wieder zu vertrauen.»
Vertrauen ist gut, habe ich gelernt. Deshalb möchte ich mich auch für einen vertrauensvollen Menschen halten. Manchmal ist mein Vertrauen so gross und flauschig, dass man es kaum noch von Naivität unterscheiden kann: Ich lasse meinen Rucksack unbeaufsichtigt stehen oder kaufe sorglos Dinge auf Tutti.
Ich will nicht misstrauisch sein. Ich möchte nicht zu diesen Menschen gehören, die in jedem Stirnrunzeln ein Urteil sehen und hinter jedem Lächeln eine Grimasse vermuten.
Am liebsten würde ich im Blümchenkleid über die Wiese hüpfen und Vertrauensflocken um mich streuen – aber stattdessen verkrieche ich mich oft mit dem Fernglas hinter eine Mauer. Um vertrauen zu können, braucht es offenbar mehr als eine Entscheidung.
Beziehung am Gefrierpunkt?
Ich entscheide mich, dem roten Kühlschrank nochmals eine Chance zu geben. Aber so wie bisher kann es nicht weitergehen. Ich suche das Gespräch mit ihm – oder vielmehr mit einem Elektrofachmann.
Wir finden heraus, was kaputt ist, wägen ab, ob sich die Kosten für eine Reparatur lohnen und gehen sie an.
Mein Vertrauen wächst. Mein roter Freund hat sich auf die Veränderung eingelassen. Doch ich bleibe vorsichtig. Zuerst Kartoffeln und Eier, dann Frischkäse und Orangensaft, und erst wenn sich das bewährt hat, kommt vielleicht auch mein Lieblingsjogurt wieder an seinen gewohnten Platz.
Natürlich sind Beziehungen nicht wie Kühlschränke. Sie sind warm, hell und riechen nicht so komisch. Trotzdem sollte ich ab und zu kontrollieren, was ich eigentlich darin aufbewahre. Denn leere Freundschaften verbrauchen viel zu viel Energie.
Foto von Ernest Brillo auf Unsplash
2 Gedanken zu „Leere Freundschaften und Kühlschränke“
Wunderbare Bilder und ein überraschender und umso treffender Vergleich zwischen Kühlschrank und Freundschaft!
Herzlichen Dank dafür!
Katharina
Toller Text, liebe Anna, inhaltlich und sprachlich! Er hat mir sehr gefallen.