Dein digitales Lagerfeuer
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 Lesedauer: 5 Minuten

Öl und Gas – ein Geschenk Gottes?

Ein Schmerzpunkt, lange und fest gedrückt, hört auf weh zu tun. Das muss aber nicht automatisch heissen, dass das Problem gelöst ist. Es kann auch einfach bedeuten, dass man an der strapazierten Stelle nicht mehr richtig fühlen kann.

Vielen Umweltbewegten wird es in den letzten Tagen so ergangen sein. Bei mir jedenfalls stellte sich nach der unüberraschenden Wiederwahl Trumps, der die Klimaproblematik bekanntlich offen und regelrecht stolz leugnet, ein Taubheitsgefühl ein.

Erst langsam kommt wieder Empfindungsvermögen zurück.

Aber was es wirklich bedeutet, wenn die USA, einer der grössten Klimasünder der Welt, erneut aus dem Pariser Abkommen ausschert, übersteigt mein Fassungsvermögen.

2024 wird das wärmste Jahr

Das Pariser Klimaabkommen ist seit acht Jahren in Kraft und sieht eine Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 2 und möglichst 1,5 Grad Celsius vor.

Laut einem aktuellen Bericht des EU-Klimabeobachtungsdienstes Copernicus Climate Change Service wird 2024 mit ziemlicher Sicherheit das erste Jahr sein, in dem die globale Durchschnittstemperatur mehr als 1,5 Prozent über dem vorindustriellen Durchschnitt liegt.

Zugleich wird 2024 das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gewesen sein.

Während seiner ersten Amtszeit zweifelte Trump wiederholt an, dass der Klimawandel durch menschliches Verhalten verursacht wird. Er sprach von «Schwindel». Im vergangenen Wahlkampf bezeichnete er den Klimawandel als «eine der grössten Betrügereien aller Zeiten».

Klima in Geiselhaft

Das erste Mal hat sich Donald Trump am 1. Juni 2017 vom Pariser Klimaabkommen verabschiedet, lauthals und von seinen Anhänger:innen beklatscht. Seit damals weiss alle Welt: Klimafragen stehen im Zentrum geopolitischer Streitpunkte.

Bereits 1992 hatte der mit der Erdölindustrie verwobene George Bush Senior in Rio klargestellt:

«Our way of life is not negotiable!»

Als Bush Junior 2001 amerikanischer Präsident wurde, sagte mein Nachbar, ein Auslandsamerikaner:

«Den hat die texanische Erdölindustrie mit dem Gabelstapler ins Amt gesetzt.»

Inzwischen ist das Klima im Kampf – oder vielmehr Krieg – um ökonomische, politische und militärische Vorherrschaft die Geisel geworden.

Das Klima wird auf der Schlachtbank nationalen Vorherrschaftsstrebens und dem kurzfristigen Profit ökonomischer Eliten geopfert.

Wofür ist das ein Symptom?

Der inzwischen verstorbene französische Anthropologe Bruno Latour kommentierte das erste Ausscheiden der USA aus der Klimaverantwortung in seinem 2018 erschienenen «Terrestrischen Manifest» so: Nun demonstriere Amerika, dass es nicht zu derselben Erde gehöre wie wir.

«Eure Erde mag bedroht sein, unsere nicht.»

Latour sah darin auch einen Abschied einer Elite von der «Last der Solidarität».

«Von der Reeling herab sehen die unteren, mittlerweile hellwachen Klassen, wie die Rettungsboote am Horizont verschwinden. Das Orchester spielt munter weiter sein ‹Näher zu dir, mein Gott!›, doch der Musik gelingt es nicht länger, das Wutgeheul zu übertönnen …»

Ja, Wut ist das richtige Wort!

Während die UN-Klimakonferenz in Baku noch lief – ausgerechnet im Petrostaat Aserbaidschan – kam die Meldung, der britische Erdölriese Shell habe einen von Umweltschützern angestrengten Klimaprozess gewonnen.

Klimaschützer weinen

Einer der grösste Umweltverschmutzer braucht nun keine Verantwortung für das Klima zu übernehmen.

Die Ernüchterung bei Umweltschützer:innen ist gross. Es flossen Tränen.

Einmal mehr wurde klar: Transnationale Konzerne entziehen sich weitestgehend der Regulierung und Verantwortung. Und sie betreiben nicht nur massiv Lobbyismus, sondern befördern auch Infokriege, nachgewiesenermassen.

Anfang der neunziger Jahre entschloss sich das Vorläuferunternehmen der heutigen ExxonMobil Corporation massiv in eine Kampagne zu investieren, die das Nichtvorhandensein der Bedrohung belegen sollte. In vollem Bewusstsein der Sachlage und nachdem es zuvor selbst wissenschaftliche Berichte über die Gefahren des Klimawandels veröffentlicht hatte.

Kabinett der Milliardäre und Öllobbyisten

ExxonMobil, eines der weltweit grössten Öl- und Gasunternehmen, hatte während der Präsidentschaft von Donald Trump enge Verbindungen zur US-Regierung, insbesondere durch Rex Tillerson. Trump machte Tillerson zu seinem Aussenminister.

Laut Medienberichten plant Donald Trump in Zukunft nicht nur weniger Klimaschutz, sondern zudem die Erschliessung neuer Öl- und Gasförderung.

Dabei sollen ihm zwei frühere Kabinettsmitglieder und namhafte Erdöl- und Kohlelobbyisten zur Hand gehen: Der Anwalt David Bernhardt, der von 2019 bis 2021 in Trumps erster Amtszeit Innenminister war, und der Jurist Andrew Wheeler. Sie verstünden sich laut «New York Times» hervorragend auf das «Zerlegen» von Klimavorschriften.

Gott Shell und Gott Exxon

Und nun wird auch noch «Gott» ins Spiel gebracht. Der autokratische Herrscher des mit Rohöl gesegneten und als korrupt geltenden Aserbaidschan bezeichnete auf der Weltklimakonferenz Öl und Gas als «Geschenk Gottes». Und warf westlichen Medien und Umweltorganisationen eine Verleumdungskampagne gegen sein Land vor.

Öl und Gas ein Geschenk Gottes? Das mag sogar sein, wenn auch sicher nicht für alle in dem von grosser Ungleichheit geprägten Land am Kaspischen Meer.

Und schon gar nicht gilt das für bitterarme Menschen in ölreicher Regionen, die systematisch mit Krieg überzogen werden. Da ist Öl eher eine Geissel Gottes.

Aber wenn schon «Geschenk Gottes», Herr Alijew, dann heisst das sicherlich nicht, dass man mit dem Öl und der Erde machen kann, was man will – und was gerade den grössten Profit verspricht.

Mich hat das unqualifizierte Statement aus der temporären Schockstarre gerüttelt.

Ich hätte fast Lust zu lachen, wäre es nicht so traurig.

PS: Die Schweiz, in der ich gut und gerne lebe, ist nicht nur weltweit der wichtigste Rohstoffhandelsplatz, sondern bezieht seit 2023 auch einen signifikant erhöhten Anteil an Rohöl aus Aserbaidschan.

Vom 11. bis 22. November 2024 läuft in Baku in Aserbaidschan die 29. UN-Klimakonferenz.

Foto von Saad Alawi auf Pexels

2 Gedanken zu „Öl und Gas – ein Geschenk Gottes?“

  1. PS: Im Kanton Zug, wo die Rohstoffhändler gut und gerne leben, sind sie mit ihren Kirchensteuern Hauptsponsoren unserer Landeskirche.
    Das nur nebenbei, ansonsten gebe ich dir vollkommen Recht.

    Antworten
    • Genau. Ich bin Teil des Ganzen. Ich sitze z.B. in einer gasbeheizten Altbauwohnung, durch deren Rohre wahrscheinlich auch russisches Gas fliesst. Ich ganz persönlich finanziere vielleicht, wenn auch nur mit ein paar Rappen, einen Krieg mit. Aber ich will nicht in der Kälte sitzen. Hauptwidersprüche, schwer aufzulösen. Kirche ist davon nicht ausgenommen.

      Antworten

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